Kunst:Der Arbeiter

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Sterling Ruby zählt zu den begehrtesten Künstlern der Gegenwart. Nun will der Amerikaner mit einem eigenen Label auf dem Catwalk Kunst und Mode vereinen.

Von Catrin Lorch

Als Künstler erhält man selten echten Beifall, also Applaus oder begeisterten Jubel. Dass seine Entwürfe auf offener Bühne beklatscht wurden, war also durchaus neu für Sterling Ruby, obwohl er in der internationalen Kunstszene seit Längerem gefeiert wird. Der im Jahr 1972 geborene Amerikaner gilt als einer der begehrtesten und teuersten unter den zeitgenössischen Stars. Aber "feiern", das ist ja selten mehr als das freundlich gemurmelte "I love your show", die bei Vernissagen fast wie eine Grußformel hingeworfene Bemerkung, dass man die Ausstellung schätzt.

In diesen Tagen fragen sich viele Kunstkenner, warum Sterling Ruby gerade über Schnittmustern grübelt oder Ballen von Jeansstoff einfärbt, statt Leinwände zu bemalen oder seine gewaltigen Keramiken mit dem Gabelstapler in Brennöfen zu fahren. Die Antwort liegt nahe: Es gab da diesen magischen Moment im Januar 2014 bei der Pariser Männermodewoche. Es war mehr eine Spielerei, ein großes Ding, das zwei Kumpel miteinander drehten: Sein Freund, der Designer Raf Simons, hatte mit ihm gemeinsam eine Kollektion entworfen, nachdem schon die von Ruby gestalteten Stoffe bei Dior als "legendär" apostrophiert worden waren. Der Catwalk des Labels "Raf Simons & Sterling Ruby" war dann eine Sensation: "Alle sind aufgestanden, um uns zuzujubeln", erinnert sich der Künstler. "In dem Moment dachte ich: Vergiss das Künstlerdasein. Das hier ist einfach wundervoll."

Er wird es nun noch einmal versuchen mit der Mode. Kürzlich kündigte Sterling Ruby an, erstmals mit einem eigenen Label "S.R. STUDIO" am Modezirkus teilzunehmen. Für die Premiere hat er einen Laufsteg bei der Pitti Uomo in Florenz gebucht. Das ist mutig. Denn Italien ist das Zentrum der Herrenmode, die Show keine fotogene Location, bei der man ein paar Prints oder Accessoires inszeniert. Sondern der Auftritt vor einem eleganten, sachkundigen, aber eben auch gehässigen Fachpublikum. Damit unterscheidet sich Sterling Ruby von anderen Prominenten, die ihre Marken mit einem Auftritt in der Mode abrunden, vom Musiker Pharrell Williams, unter dessen Namen Chanel eine Capsule Collection vermarktet, oder den "Kollaborationen", bei denen Louis Vuitton Künstler wie Jeff Koons oder Takashi Murakami dazu einlädt, das ikonische Muster des Handtaschenlabels zu veredeln.

Sterling Ruby liebt die Arbeit mit Stoffen und Schnitten. Er habe sich "schon immer für die prägende Kraft von Kleidung" interessiert, teilt er mit. Das ist sicher keine Übertreibung. Die ersten Ausbrüche von Kreativität ihres 13-jährigen Sohnes lenkte Sterling Rubys Mutter in Richtung ihrer Nähmaschine. Die Familie Ruby lebte im ländlichen Pennsylvania, fernab der Kunstzentren New York und Los Angeles. Während seine Freunde Football trainierten, stichelte Sterling Stoffreste zusammen, in Anlehnung an die Quilt-Kultur der in der Nachbarschaft lebenden Amisch. Bei Ausflügen in die Punkszene Washingtons erkannte das Arbeiterkind, "dass Kleidung etwas mit Haltung zu tun hatte. Egal ob es sich um die Jäger in der Nachbarschaft handelt, die sich ein mit leuchtenden Neonstreifen überzogenes Camouflage-Outfit anziehen, oder einen Künstler wie Henry Rollins, der auf der Bühne nur seine Turnhose trägt".

Sein Zeichentalent brachte ihn, mit einer Mappe voller Katzenbilder, an eine lokale Kunstschule, wo er dann Stillleben malte und Aktzeichnen übte. Erst eine Retrospektive von Bruce Nauman begeisterte ihn für zeitgenössische Kunst. Drei Jahre, nachdem er das Pasadena College of Art verlassen hatte, zeigte das Museum of Contemporary Art in Los Angeles seine Ausstellung "Supermax". Woraufhin Sterling Ruby mit seinen weichen, aus Stoff zusammengenähten Skulpturen sofort von Galerien wie Sprueth Magers und Gagosian unter Vertrag genommen wurde. Auf Messen balgen sich Großsammler seither um seine in tiefen Tönen getränkten Leinwände, auf die Ruby andere Farben oder Texturen schon mal als Flicken heftet. Seine strahlend bunte Patchwork-Kunst erinnert an Experimente wie die von Rosemarie Trockel, Louise Bourgeois und Eva Hesse. Sammlern gefällt das.

Sein riesiges Atelier in Los Angeles lässt sich eher als Fabrikgelände beschreiben. Es irritiert fast, wie sparsam in den hochmodernen Hallen mit Material umgegangen wird; Reste landen nicht im Müll, sondern werden sorgfältig verwertet. Sterling Ruby hat sich auch als Großverdiener das Arbeitsethos seiner Kindheit bewahrt. Auf Youtube kann man sehen, wie er mit einer Farbrolle voller Pigment auf einer Leinwand herumschrubbt. Das Gemälde ist auf dem Boden vor den metallenen Rolltoren ausgebreitet wie die alten Lappen, die man bei der Autoreparatur unterlegt, um den Zement des Werkstattbodens vor Ölspritzern zu bewahren. "Ich mache Arbeit", sagt er stolz in die Kamera, und dass es ihm darum gehe, den "Aspekt körperlicher Arbeit einzubauen" in seine Kunst.

Man kann sich vorstellen, wie dieser sympathische Typ mit dem offenen Gesicht sich abends aus seiner verschwitzten Montur schält: olivgrüne Basecap, T-Shirt und Jeans. Aber kurz darauf überlegt man schon, ob da nicht ein Schauspieler gecastet wurde, den Künstler zu geben. Die Sache sieht einfach zu gut aus: Auf dem grauen Shirt mit den kräftigen Nähten stehen über einem Labyrinth die Worte "Inmate" und "Primitive", darüber leuchtet ein kräftiger roter Farbklecks, und der Gelbton der leicht verschossenen Jeans kontrastiert wirkungsvoll mit den weiten, weichen Schäften der camouflagegrünen Gummistiefel.

Seit 2008 schneidert Ruby auch Kleidung für die Mitarbeiter seines Ateliers

Das ist kein Zufall. Seit 2008 schneidert Sterling Ruby für sich und seine Mitarbeiter "Workwear". Es hat wohl nicht nur mit PR, sondern auch mit seiner Überzeugung zu tun, dass er dabei die bei der Kunstproduktion abfallenden Stoffreste verwendet. Das erinnert an László Moholy-Nagy, der sich bei seinem Dienstantritt am Bauhaus sofort einen Arbeiter-Overall als Uniform schneiderte. Ruby beschwört auch ein neues Bild vom Künstler, als sei die Factory von Andy Warhol, als sei die ganze Pop-Art nur eine erste Testphase gewesen. Es geht ihm durchaus um den Erfolg seiner Produktion in der Warenwelt, nicht um ihre Kunstwerdung. Die von ihm entworfenen Jeans, Jacken und Shirts hängte er in die Londoner Filiale seiner Händler Sprueth Magers, wo sie wirkten wie der Filzanzug von Joseph Beuys, den White Cube aber auch wieder in ein Ladengeschäft verwandelten. "Ich wollte, dass die Fenster der Galerie wie eine altmodisches Auslage aussehen."

Was die Kunstwelt nicht ahnte: dass Sterling Ruby da schon an der Transformation des Labels Calvin Klein arbeitete, das sein alter Freund Raf Simons als Designer übernommen hatte. Umgekehrt wurde es den beiden womöglich zum Verhängnis, dass das Modevolk ästhetische Anspielungen, raffinierte Verweise nicht wirklich zu schätzen weiß. Obwohl die Vision von zeitgenössischer amerikanischer Folklore und radikalen politischen Zitaten in den Medien gefeiert wurde, beendete die Marke Calvin Klein die Zusammenarbeit.

Sterling Ruby stilisiert sein Experiment mit der Mode zum Gegenentwurf seines Künstlerdaseins. Bekannte hätten ihn davor gewarnt, erzählt er ("Lass das sein!"). Doch die Art und Weise, wie Kunst jetzt Teil der Warenwelt geworden sei, habe ihn nur noch mehr befeuert. Die Frage, "Kann der das?", wird in der Mode offenbar nicht mehr gestellt: Man ist vorbehaltlos bereit, Workwear aus extrem zerschlissener Baumwolle, verätzten Farben und sehr grellem Pink zu beklatschen. Und, vielleicht, ein paar coole Schnitte, die Raf Simons dem Atelier - in alter Freundschaft - an die Westküste gemailt hat.

© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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