Heritage-Mode:Bitte nicht schon wieder!

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Das Denim-Label Closed hat gerade wieder Jeans aus den Achtzigerjahren im Programm. (Foto: Closed)

Hipster haben Traditionsmarken für sich entdeckt und so einen Retro-Boom ausgelöst. Neu aufgelegte Klassiker gelten inzwischen als Schlüssel zum Kunden, manche Marken machen sich sogar älter als sie sind.

Von Dennis Braatz

Das Wort "Heritage" ist ein gutes englisches Wort, so grundsolide wie das, was es bezeichnet: Erbe. Moderedakteure allerdings suchen inzwischen panisch das Weite, sobald das Wort fällt; Subtext: Bitte nicht schon wieder! Wahrscheinlich reimt sich Heritage nicht ohne Grund auf "Vintage", den vorherigen Albtraum-Begriff, der irgendwann inflationär über allen Kollektionen, Modestrecken und Streetstyle-Helden schwebte. (Ursprünglich bedeutete Vintage ja mal, dass ein Mensch stolzer Besitzer eines Kleidungsstücks aus längst vergangenen Zeiten war; aber das geriet schnell in Vergessenheit.)

Bei der grassierenden Aufregung um das Heritage-Thema geht es nun darum, dass Kleidungsstücke aus längst vergangenen Zeiten leicht angepasst oder original wieder in die Läden gespült werden. Die Modekritikerin Suzy Menkes prophezeite schon vor fünf Jahren, dass Heritage auf dem Weg sei zum Massenphänomen. Und genau das ist es jetzt.

Mit der Erhaltung und Wiedervermarktung ihrer Klassiker haben Luxushäuser bekanntlich schon immer sehr gut Geld verdient. Chanel und das Parfum No.5, Burberry und der Trenchcoat, Hermès und die Kelly Bag: Diese Paarungen sind unkaputtbar, ganz egal, woher der Zeitgeist gerade weht; sie garantieren das Grundeinkommen. Den restlichen Teil des Umsatzes macht man mit Produkten, die wirklich fashion sind, saisonal verkauft werden und danach aus dem Sortiment fallen. Daran gibt es auch erst mal überhaupt nichts auszusetzen.

Traditionsmarken, die von den Hipstern entdeckt wurden

Angestoßen wurde der Heritage-Boom von Traditionsmarken, die plötzlich cool wurden, weil die Hipster mit ihrer ewigen Sehnsucht nach der guten, alten Zeit sie für sich entdeckten. Zum Beispiel Redwing: Die amerikanischen Arbeiterboots aus steifem Leder wurden bereits vor 110 Jahren in Minnesota gefertigt, 2014 aber erlebten sie ihr erfolgreichstes Geschäftsjahr. Oder Hunter, der Hersteller für Gummistiefel: Er feiert nächstes Jahr sein 160-jähriges Bestehen, und aktuell ist die Nachfrage so hoch, dass rund um diesen Stiefel ganze Kollektionen für Männer und Frauen entwickelt und in London während der Fashion Week präsentiert werden.

Wo man hinschaut in der Mode, überall wird gerade recycelt. Monclers Bestseller ist eine Daunenjacke namens "Maya" geworden, die auf das allererste Modell von 1954 zurückgeht. Closed legt erfolgreich Jeans aus den Achtzigerjahren neu auf. Auch Nicolas Ghesquière, Kreativdirektor bei Louis Vuitton, springt auf den Heritage-Zug auf: Er hat die "Petite Malle" lanciert, eine Schultertasche mit abnehmbarem Henkel, deren Form und Design auf einen Vuitton-Koffer aus dem Jahre 1929 zurückgehen. "Know-how, Beständigkeit und Qualität", sagt Sebastian Haufellner, Bereichsleiter der Herrenabteilung von Lodenfrey, "das schätzt der Endverbraucher nun mal am meisten."

Dsquared2 legt T-Shirts neu auf, die Madonna 2001 trug. (Foto: Dsquared)

Die Beschwörung der Vergangenheit, die sich hinter einem gediegenen Namen verbirgt, sei der Schlüssel zum Kunden von heute. Dessen Markenbewusstsein nehme nämlich immer mehr ab. Kein Wunder - wer hat im wuchernden Dschungel der Marken eigentlich noch den Überblick?

Manche Firmen laden Produkte historisch auf

Albern wird es nur, wenn die Marke gar nicht alt genug ist, um wirklich schon so etwas wie Heritage produziert zu haben. Dsquared2 etwa verkauft zum 20. Firmengeburtstag gerade eine Kollektion, die aus den wichtigsten Stücken seiner überschaubaren Geschichte besteht: neben Lastwagenfahrer-Caps auch ein T-Shirt, das Madonna 2001 auf dem Cover des In terview-Magazins trug. Die gute, alte Zeit vor 14 Jahren? Der Schuhmacher Roger Vivier bietet derweil alle Lieblingsmodelle des Designers Bruno Frisoni an, die er seit 2004 schon einmal aus dem Archiv gezogen hat. Das ist nicht Heritage, sondern Einfallslosigkeit.

Wie das Prinzip mittlerweile pervertiert wird, zeigen auch einige Jeans-Waschungen von Superdry und Carhart. Sie heißen zum Beispiel "Heritage Sanded" und "Dark Heritage Washed", dabei gibt es gar keine Vorlage. Sie sind völlig neu. Und der Heritage-Schal von Balenciaga? Das Einzige, was an ihm wirklich schon mal da war, ist das aufgedruckte Schwarz-Weiß-Motiv eines Saals in der alten Firmenzentrale. Die Marke hat es in all ihren Entwürfen zuvor aber nicht ein einziges Mal benutzt.

Mittlerweile wird also selbst das mit Historie aufgeladen, was noch gar nicht historisch ist. Streng genommen ist das Betrug am Kunden, der viel Geld ausgibt und glaubt, klassisches Design zu erwerben. Aber auch die Häuser, die echtes Heritage anbieten, müssen sich eine Grundsatzfrage gefallen lassen: Muss das wirklich sein? Ist es nicht langsam genug mit all den Retro-, Archiv-, Vintage-, und Heritage-Wellen? Fällt denn niemandem mehr zur Abwechslung mal etwas ein, das noch nicht generationenübergreifend für gut befunden wurde, etwas. . . Neues?

Die Mode ist immer noch eine Disziplin, die allein durch Fortschritt bestehen kann. Es reicht nicht aus, zweimal im Jahr neue alte Dinge zu zeigen, weil irgendwann selbst die so alt sind, dass sie keiner mehr sehen will. Oder, wie Karl Lagerfeld sagen würde: "Ich schaue immer nach vorne, nie zurück. Die Vergangenheit interessiert mich nicht." (Wobei man einwenden kann, dass er bei Chanel seit 31 Jahren Cocos altes Tweedkostüm veredelt.)

Unter Branchenexperten gibt es aktuell zwei Fraktionen: Die eine fordert ein radikales Umdenken, hin zu mehr Innovation und einem zukunftsgewandten Design. Die zweite will nichts ändern, solange der Kunde die Remakes kauft. Und dafür hat er natürlich auch seine Gründe: Heritage-Stücke vermitteln den meisten Menschen das Gefühl, modisch auf der sicheren Seite zu sein. Allerdings will keiner rumlaufen wie eine Sechzigerjahre-Karikatur, genauso wenig wie als Vorbote des nächsten Jahrtausends. Wie wäre es also mit einer Mischung aus beidem? Das Heritage-Stück als Bühne für den modischen Fortschritt. Am Ende tut ein bisschen mehr Mut wohl allen ganz gut.

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(Foto: Louis Vuitton)

Bei Louis Vuitton gibt es eine Tasche,...

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(Foto: Louis Vuitton)

...die auf einen Koffer von 1929 zurückgeht.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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