Grüne Welle:Blüte trifft Platte

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Zwischen Erlebnisgewächshäusern, urbanen Wasserspielen und Nutzpflanzen für Hipster: Die Internationale Gartenausstellung in Berlin-Marzahn will die Natur mit der Großstadt versöhnen.

Von Titus Arnu

Vom "Wolkenhain" aus schaut man auf ein Meer aus Beton. Rund um die Aussichtsplattform auf dem Kienberg sind die Wohnhochhäuser von Marzahn und Hellersdorf zu sehen, die größten Plattenbausiedlungen Deutschlands. Es ist überraschend grün zwischen den grauen Wohnblöcken. Der sogenannte Berg ist umgeben von Kleingartenanlagen, Parkflächen, Wälder und einem Fluss, der Wuhle. Neben einem graubraunen Teich grasen Dülmener Wildpferde.

"Ein Mehr aus Farben" heißt das Motto der Internationalen Gartenausstellung Berlin. Die Aufwertung der tristen Außenviertel im Nordosten Berlins ist Programm. Anwohner und Organisatoren sind mächtig stolz auf die neue IGA-Seilbahn, sie führt von der dachbegrünten Talstation auf den 102 Meter hohen Kienberg, mit der 20 Meter hohen Plattform "Wolkenhain" nun eine der gewaltigsten Erhebungen Berlins. Für die Hauptstädter ist die Fahrt auf den Mini-Hügel eine Riesenattraktion. Die Leute drehen regelrecht durch. "An gut besuchten Tagen müssen wir sie bitten auszusteigen, sonst fahren sie immer weiter im Kreis", sagt Sabine Wacker, Sprecherin der IGA.

Gartenschauen sind eine Chance für die Stadtentwicklung, aber auch ein Risiko. Die Gartenbaulobby verspricht ein grünes Konjunkturprogramm, doch meistens bleiben Städte und Länder auf Defiziten sitzen. Die IGA 2003 in Rostock hatte 2,6 Millionen Besucher, doch sie schloss mit einem Fehlbetrag von fast 20 Millionen Euro ab. Auch bei der verregneten Buga 2005 in München musste die Stadt am Ende draufzahlen. In Erlangen haben die Bürger gerade gegen eine Landesgartenschau in ihrer Stadt abgestimmt. Auch in Berlin gab es schon im Vorfeld viel Kritik an dem Großprojekt. Für die IGA würden Steuergelder verbuddelt, die man für soziale Zwecke besser verwenden könne, hieß es, und NABU-Vertreter waren der Meinung, dass durch die Baumaßnahmen vor allem Natur zerstört werde. Zweifel sind also angebracht, und es geht dabei auch um die Frage, ob Gartenschauen eine Stadt in jedem Fall schöner und lebenswerter machen.

Orchideen sind für alle da: Neue pflegeleichte Sorten zieren nun den Vorgarten

In Marzahn lautet die Antwort ganz klar: ja. Das 100 Hektar große Parkgelände ist von Discount-Märkten, Autowaschanlagen, Brachflächen und vierspurigen Ausfallstraßen umzingelt. Die Trostlosigkeit der Trabantenstadt ist aber schnell vergessen, wenn man die Blumenhalle beim Haupteingang betritt. Zwei rosarote Elefanten begrüßen die Besucher - elefantenförmige Gestecke aus Vanda-Orchideen. Wochenweise werden andere Pflanzen in den Ausstellungsräumen präsentiert: Hortensien, Kräuter, Bonsai-Bäume, Rosen, Kakteen, Rhododendren. Eine Jury der Bundesgartenschau-Gesellschaft bewertet die Wettbewerbsbeiträge von Gärtnereien und Züchtern aus ganz Deutschland mit Bronze,- Silber- und Goldmedaillen.

Gold erhält zum Beispiel Marei Karge-Liphard von Orchideengarten Karge in Dahlenburg. Sie bepflanzte zwei überdimensionale rote Stöckelschuhe mit Frauenschuh-Orchideen. "Phalaenopsis Wolfi" hat zwar keine Medaille, dafür einen prominenten Paten: Die Orchidee mit den weiß-roten Blüten wurde von Wolfgang Joop getauft, der nach eigenen Angaben einen "grünen Daumen" hat, seine Großeltern führten eine Gärtnerei. Im Forum "Die Grüne Ecke" gleich nebenan hält die "offizielle deutsche Blumenfee" Corinna Krause einen Orchideen-Workshop ab. Garten-Blogger berichten live und in blumigen Worten. Die Botschaft: Orchideen sind für alle da! Neue pflegeleichte Sorten, die fürs Freigelände gezüchtet wurden, zieren nun auch den Vorgarten.

"Naturnahes Gärtnern, knallige Farben, robuste Pflanzen", das sind laut Renate Behrmann, Ausstellungsbevollmächtigte der Deutschen Bundesgartenschau-Gesellschaft (DBG), die Haupttrends in Privatgärten. Die deutschen Hobbygärtner wünschen sich sozusagen die eierlegende Wollmilchsau auf pflanzlichem Gebiet: Der Garten soll gepflegt aussehen, aber auch ein bisschen wild, er soll wenig Arbeit machen, aber trotzdem Gemüse und Kräuter abwerfen, eine Mischung aus Park und Freiluft- Wohnzimmer sein. Dementsprechend unterschiedlich, um nicht zu sagen chaotisch, sehen Privatgärten dann eben aus.

Was heute als neuer Öko-Trend gefeiert wird, kann morgen schon Kompost sein

Ein Garten ist immer ein Stück abgegrenzter, gezähmter Natur. Innerhalb dieser Grenzen jedoch ist gestalterisch allerhand möglich, vom streng strukturierten japanischen Zen-Garten, an dem jeder Kieselstein einen bestimmten Platz und eine spirituelle Bedeutung hat, über den Spießergarten mit rechtwinkliger Thujenhecke, gemauertem Grillplatz und Gartenzwergen bis zum wildromantischen Öko-Garten. "Der typisch deutsche Garten existiert nicht", sagt Christoph Schmidt, Geschäftsführer der IGA Berlin; hierzulande orientierten sich Stadtplaner und Landschaftsarchitekten schon immer an französischen, englischen oder asiatischen Gartenstilen. Der Hobbygärtner richtet sich aber meistens nicht nach der Avantgarde der internationalen Landschaftsarchitektur, schon aus Platz- und Kostengründen.

"Der Geschmack wird von den Bau- und Gartenmärkten vorgegeben", sagt IGA-Chef Schmidt, der eine "regelrechte Verseuchung durch Gabionen und Plastik-Pavillons" beklagt. Veranstaltungen wie die IGA wollen stilbildend sein, bei den Machern keimt die Hoffnung, die hässlichsten Auswüchse der Gartenmarkt-Massenwaren bekämpfen zu können. Das künstlerisch wertvolle Gegenprogramm der Landes-, Bundes- und Internationalen Gartenschauen kommt beim Publikum allerdings nicht immer nur positiv an.

Rund 100 Millionen Euro haben Bund und Land in die Gartenschau investiert. Mit dem Geld will man nicht nur blühende Landschaften präsentieren, die Gartenschau hat auch einen pädagogischen Anspruch. Schulklassen sollen Gemüse anpflanzen und die Ernte gemeinsam verspeisen. Im sogenannten Erlebnisgewächshaus ziehen Gärtner Tomaten und Bohnen, an den Hängen des Kienberges weiden Skudden und Coburger Füchse, vom Aussterben bedrohte Schafrassen. Eine landwirtschaftliche Lehrstunde mitten in der Stadt. Kräuter und Gemüse für den Eigenbedarf findet man allerdings nicht leicht auf dem riesigen Gelände, mit einiger Mühe entdeckt man beim neuen Englischen Garten ein paar Mohrrüben, Schalotten und Kohlköpfe.

Der größte Teil des Geländes wird künftig als Volkspark für die Berliner erhalten bleiben

Der Trend zum naturnahen Pflegeleicht-Garten spiegelt sich zum Teil in den Modellgärten wider, in denen sich die Besucher Gestaltungsideen für zu Hause holen können. Auf jeweils 100 Quadratmetern haben Gartenbaufirmen verschiedene Szenarien entworfen: den "Präriegarten" mit Steppengras, grau verwittertem Holz und Feuerstelle etwa, den ornamentalen Garten mit verklinkertem Boden fast ohne Grün oder den "Naschgarten" mit Erdbeeren im Hochbeet, Paprika und Chili in Töpfen. Urbane Bio-Gärtner fühlen sich vielleicht im Aquaponik-Garten zu Hause, in dem sie in einem geschlossenen Kreislauf Salat ziehen und Fische züchten können. Eine flexible Variante, Großstadt-Hinterhöfe zu begrünen, zeigt der Modellgarten "Move me" auf: Hochbeete und Pflanzkübel stehen auf Paletten mit Rollen, Sitzmöbel aus Sperrholz sind mit Kunstrasen überzogen, alles lässt sich hin und her schieben und schnell entsorgen, falls es nicht mehr gebraucht wird - oder einem irgendwann doch potthässlich vorkommt. Was heute als Öko-Hipstertum gefeiert wird, kann morgen schon Kompost sein.

Das andere Extrem erlebt man beim Spaziergang durch die "Wassergärten" und die "Internationalen Gartenkabinette". Formale Strenge, viel Beton, Glas und Metall, die Pflanzen dienen als Kulisse für die künstlerische Aussage des jeweiligen Landschaftsarchitekten. Kurator Robert Schäfer hat die weltweit bedeutendsten Gartengestalter eingeladen, ihre Vision eines landestypischen Gartens umzusetzen. Ein bisschen will man auch eine grüne Documenta sein. Der chinesische Landschaftsarchitekt Zhu Yufan reduziert die Natur zu einem meditativen Spiegel-Kabinett mit metallenem Wasserlauf; der thailändische Betrag ist ein "Garten des Geistes" aus Wasserflächen, Spiegeln und Stein. Der deutsche Künstler Martin Kaltwasser hat einen Parkplatz in Los Angeles originalgetreu nachgebaut, inklusive Palmen, einer acht mal neun Meter großen Rasenfläche und geparkten Autos mit kalifornischem Nummernschild - eher ein akkurat umzäunter Witz als ein Garten.

Ähnlich wie bei Haute-Couture-Schauen, bei denen es ja auch nicht vorrangig um Alltagstauglichkeit geht, haben diese künstlerischen Gartenentwürfe eher eine avantgardistische Funktion. IGA-Geschäftsführer Christoph Schmidt geht es dabei um Kunst und Kommunikation, ein Gedanke, der auch den "Gärten der Welt", die schon vor der IGA in Marzahn existierten, zugrunde liegt. "Gärten waren ursprünglich abgeschlossene Orte", sagt Schmidt, "Verständigung setzt gegenseitige Einladungen und Motivation voraus, sich verstehen zu wollen." Die "Gärten der Welt" wurden nach den Terroranschlägen in New York im Jahr 2001 gegründet mit dem idealistischen Gedanken, den Dialog zwischen den Kulturen sozusagen durch die Blume zu fördern. Für die IGA neu errichtet wurde ein Pavillon, der von Vertretern aller Weltreligionen als Ort für Gebete und Gespräche genutzt werden kann.

Man wünscht sich nur, dass niemand den australischen IGA-Beitrag "Cultivated by Fire" zu Hause nachmacht; es handelt sich um eine Ansammlung von abgefackelten Bäumen auf einer Schotterfläche mit halbvertrockneten Eukalyptusbüschen. Mehrere positive Effekte wird die IGA dennoch haben, wenn sie nach 186 Tagen im Herbst schließt, das steht bereits fest. Der größte Teil des IGA-Geländes wird in Zukunft als Volkspark erhalten bleiben, wovon vor allem die Anwohner profitieren. Die Seilbahn und der "Berg" mit seiner Naturrodelbahn haben sich bereits jetzt zu einem Ausflugsziel für Berliner und Touristen entwickelt. Das Umwelt-Bildungszentrum und Schulprojekte werden ebenso bestehen bleiben wie die neuen Gartenkabinette. Und in Marzahn wächst jetzt Wein. Die Rebstöcke wurden extra für die IGA gepflanzt. Die Rotweinsorte heißt "Regent" - in ein paar Jahren vielleicht eine sinnvolle Alternative zur Berliner Weiße mit Schuss.

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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