Funktionsmode:Zwirnforschung

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Die italienische Marke Stone Island ist bekannt für Hightech-Jacken aus Kevlar oder Glaskügelchen - und einen ziemlich entspannten Chef: Carlo Rivetti.

Von Bernd Dörries

Carlo Rivetti hockt auf einer Bordsteinkante mitten in der Emilia-Romagna und raucht eine Zigarette nach der anderen. Andere Modemenschen trifft man in klimatisierten Büros, die so kühl sind wie die Antworten, die man von ihnen bekommt. Mit Carlo Rivetti kann man Wein trinken und beim Essen in einem kleinen Lokal über Fußball reden, die Nachbarn, die Politik, den Terror der Roten Brigaden. Oder man kann mit ihm auf dem Parkplatz vor seiner Firma Stone Island sitzen und darüber sprechen, wie es weitergeht, mit ihr und der italienischen Mode. Mit Italien überhaupt. Denn das Kleine ist für Rivetti immer auch das Große. "Wenn wir weiter innovativ sind, dann gibt es eine Zukunft. Wenn wir nur noch kopieren, eher nicht", sagt er.

Seit fast dreißig Jahren sucht er für Stone Island ständig nach etwas Neuem, aber nur für Männer, eine Frauenkollektion gibt es bis heute nicht. Und auch keine Parfums oder andere Lizenzprodukte, mit denen sich gutes Geld verdienen lässt. Stone Island ist vor allem Jacke, Pullover und Hose. "Wir sind nicht immer cool, weil wir nicht versuchen, dem Modezyklus zu folgen. Wir machen das, was wir wollen. Und alle paar Jahre überschneidet sich das mit dem, was gerade angesagt ist."

Stone Island hat Jacken aus rostfreiem Stahl produziert. Oder welche mit Stoffen, die ihre Farbe mit der Temperatur verändern. Es sind Spielzeuge für erwachsene Jungs, bei denen es darum geht, immer neue Grenzen zu überschreiten, Materialien tragbar zu machen, die es vorher nicht waren. Stone Island ist oft mehr Industriedesign als klassische Mode.

Auf dem Parkplatz trägt Rivetti eine Daunenjacke der Winterkollektion, die "Hidden Reflective", sie schimmert silbern, wenn sie im Dunkeln von einem Licht getroffen wird. Man kann das etwas albern nennen, wenn ein Mann von 62 Jahren so durch die Emilia-Romagna rennt. Oder eben schon Kunst, eine wandelnde Installation. Zum 30-jährigen Bestehen von Stone Island wurde der alte Bahnhof von Florenz zum Schauplatz einer monumentalen Show, mit Schaufensterpuppen, die die Kollektionen aus dreißig Jahren trugen. Es sah aus, als hätte sich eine Armee aus Terrakottafiguren mal eben in Schale geworfen. Im Jubiläumsbuch stand nicht etwa ein Vorwort, das davon handelte, wie groß und toll die Firma doch sei, sondern der Zukunftsaufsatz eines Soziologen: Globalisierung, Internet, ein Zyklon an Veränderungen.

Rivetti sagt, er sehe ständig, wie Geschäfte verschwinden, die über Jahre seine Marke verkauft haben. Weil der Staat es ihnen mit immer neuen Gesetzen immer schwieriger mache. Und weil Online-Shops natürlich den Markt verändern. Hin und wieder kauft er so ein Geschäft und macht eine Stone-Island-Filiale daraus.

Im Archiv der Firma hängen über 20 000 Kleidungsstücke - alle, die je produziert wurden

Es ist gerade eine gute Zeit für Rivetti. Seine Kollektionen und der Zeitgeist haben sich mal wieder überschnitten. Obwohl oder vielleicht gerade weil die Marke eine breite Käuferstruktur hat: Auf Sylt verkauft ein Flagship-Store an Leute, die sich gerne die Pullis über die Schultern legen. In New York gibt es Stone Island im eher jugendlichen Anti-Establishment-Laden "Supreme". Bei Lodenfrey in München hängt gerade eine streng limitierte Lodenjacke in den Regalen.

Jacken, die kunstvoll verrosten, und Stoffe, die mit der Temperatur ihre Farbe ändern: Firmenchef Carlo Rivetti mag Mode-Experimente. (Foto: Sportswear Company, Stone Island)

"Wir können uns unsere Kunden nicht aussuchen", sagt Rivetti. Er spricht aus Erfahrung. Es gab da mal eine sehr unschöne Zeit, in der englische Hooligans die Marke als eine Art Dienstkleidung benutzten. Als 1985 im Brüsseler Heysel-Stadion vor dem Spiel von Liverpool gegen Juventus Turin 39 Menschen starben, weil Fans eine Tribüne stürmten und Panik ausbrach, war Rivetti selbst im Stadion. So manchem Hool saß er danach gegenüber, um auf ihn einzureden. Letztlich konnte er nur warten, bis die Mode vorüberging und eine neue kam.

Rivetti hat sie alle archiviert, die Trends der vergangenen Jahrzehnte. Auf dem Firmengelände hat er sich eine riesige Halle gebaut, die wie ein Flugzeughangar aussieht. 20 000 Kleidungsstücke hängen da auf den Bügeln, alles, was Stone Island je produziert hat. Es gibt eine Sonderabteilung, in denen er alte Militäruniformen sammelt, Taucheruniformen, Flieger-Overalls und japanische Kampfmonturen. Als der Designer Massimo Osti die Marke 1982 gründete, waren Anleihen bei Uniformen, die weit über den Bundeswehrparka hinausgingen, etwas völlig Neues.

In einem Symposium an der Parsons School of Design in New York wurde neulich daran erinnert, was durch Stone Island alles Mainstream wurde: Die Marke war eine der ersten, die Jeans bleichen ließ, Parkas herstellte und Daunenmäntel mit Pelzkragen, die in den vergangenen Wintern die Straßenbilder Europas dominierten.

Es ist schwierig geworden, auf der Überholspur zu bleiben. Mittlerweile experimentiert man bei Stone Island deshalb mit Stoffen, auf die kleine Glaskügelchen gesetzt werden, die bei Licht reflektieren, oder mit welchen aus der Nanotechnologie. Solche Produkte entstehen schon lange nicht mehr im Atelier, sondern in der Forschungsabteilung in dem kleinen Ort Ravarino. Dort stehen Geräte, die aussehen wie überdimensionierte Waschtrommeln und Jacken mit Nylana färben, einem Metall-Lack, der normalerweise für Panzer benutzt wird. "Stone Island ist eine Referenz bei den Stoffherstellern. Sie fragen, ob sie für uns arbeiten können, nicht umgekehrt", sagt Rivetti.

Die fertige Kleidung und vor allem die Kampagnen der Marke mit düster dreinblickenden Models wirken eher unterkühlt. Ihr Chef ist das Gegenteil. Mitarbeiter schwärmen von Rivetti, der aus einer reichen Textilhändlerfirma kommt, aber mit Mitte 60 noch in Jogginghosen und Sneakers herumläuft. Man könnte ihn auch einen Knuddelbär nennen, etwas untersetzt und mit Bart. Wenn er durch die Hallen seiner Firma läuft, zuckt niemand zusammen, die Leute drehen sich mit einem Lächeln zu ihm um.

Die Kampagnen von Stone Island wirken unterkühlt, die Models blicken düster. (Foto: Sportswear Company, Stone Island)

Die Emilia-Romagna in Norditalien ist eigentlich eine Region, in der das Handwerk der Wollweber eine lange Tradition hat, auf die vor allem die jungen Leute aber scheinbar nicht mehr viel Lust haben. "Jeder will Giorgio Armani werden, aber nur wenige Schneider", bedauert Rivetti. Er hat deshalb damit begonnen, mit dem Bus über das Land zu fahren und höchstpersönlich um Lehrlinge zu werben.

Draußen auf dem Parkplatz vor der Firma steht sein Volvo. Seine Kleidung soll im Schnitt so lange halten wie die Fahrzeuge des schwedischen Automobilherstellers: 19 Jahre. Das ist eine ganze Menge und ein Gegenentwurf zur Wegwerfmode von Primark oder H&M. Obwohl Europa in der Krise steckt, laufen die Geschäfte. Gerade dann, sagt Rivetti, würden die Menschen lieber etwas mehr Geld für Qualität ausgeben. Günstig sind seine Jacken nämlich nicht, Parkas können schon mal an die 900 Euro kosten. Sie können aber auch eine lohnende Investition sein: Auf Ebay und in speziellen Sammlerforen werden manche gebrauchten Stücke sogar für einen höheren Preis gehandelt als neu.

Stone Island hat mittlerweile eine große Fangemeinde. Ein Musiker schreibt Rivetti seit Jahren aus jeder Stadt, in der er gastiert, eine Postkarte und erklärt, in welchen Läden er das Label gesehen hat. In einem Ort nahe Fürth hat ein Fotograf eine Sammlung mit Kleidung der Firma, die aus 1200 Teilen besteht. So loyal wie die Fans sind auch die Mitarbeiter. Im Hauptquartier bei Bologna trägt selbst der Pförtner die Marke. "Woanders gehen die Angestellten einfach aus dem Büro. Bei uns machen sie sogar das Licht aus", sagt Rivetti. Das sei in Italien eher ungewöhnlich.

Im vergangenen Jahr hat er überlegt, ob er einen Investor mit an Bord nehmen soll, um weiter zu wachsen. Sogar die Diesel-Gruppe soll zu den Interessenten gehört haben. Letztlich habe ihm aber keines der Angebote wirklich gefallen. Das Unternehmen soll aus eigener Kraft weiter wachsen. Ein Umsatz von 120 Millionen sei eine schöne Größe, sagt Rivetti, eine Größe, die das Unternehmen krisensicher mache. Mehr, finden sie bei Stone Island, müsse es eigentlich gar nicht sein.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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