Funktionskleidung aus Merinowolle:Hightech im Schafspelz

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Aus Schafswolle kann man nicht nur Socken stricken, sondern Hightech-Sportkleidung herstellen. (Foto: PR)

Früher wurden aus Merinowolle Anzüge gefertigt. Heute ist es der Stoff, aus dem die ultimative Sportklamotte entstehen soll. Die Frage ist nur: wie?

Von Laura Hertreiter

Und schließlich, nach limettengrünen Laufleggins und neongeringelten Radlerhemden, wirft Ercolo Botto Poala einen schwimmbadblauen Skianzug auf den Marmortisch. Er legt eine Kunstpause ein, breitet die Arme aus und sagt in wohlbetontem Italienerenglisch: "Das, meine Damen und Herren, ist der erste Skianzug aus reiner Merinowolle."

Es ist das Ass, das der Chef des Textilunternehmens Reda seinen Kunden in der alten Firmenvilla auf den Konferenztisch blättert. Das Ass sieht aus, wie Skikleidung derzeit auszusehen hat: Hose und Jacke in schmalem Schnitt, wind- und wasserabweisende Beschichtung, weiches Innenfutter, natürlich alles in Signalfarbe. Aber statt der üblichen Poly-Kunstfasern hat Reda eben reine Schafswolle so lange bearbeitet, bis sie aussieht, als wäre sie superfunktionale Synthetik.

Richtig in Serie gehen soll der Anzug nicht. Er soll vielmehr der Beweis dafür sein, dass sich aus einem Berg frisch geschorener Schafswolle die ultimative Hightech-Sportklamotte bauen lässt. Denn genau das versucht die alte Stofffabrik in Biella, wo zahlreiche Traditionswebereien in Familienbesitz angesiedelt sind, seit knapp fünf Jahren.

Nichts an den Stoffen erinnert an Wolle

"Von Funktionskleidung haben wir noch nicht so viel Ahnung wie andere", sagt Poala, der am Marmortisch Platz genommen hat. "Aber wir kennen uns mit Merinowolle aus wie kaum sonst jemand auf der Welt." Seit 150 Jahren produziert seine Firma Anzugstoffe aus Merinowolle für heute mehr als 600 Kunden. Darunter sind nahezu alle deutschen Herrenschneider und auch große Namen wie Brioni, Armani oder Boss.

In den ersten fünf Jahren der neuen Funktionslinie "Rewoolution", die noch keine schwarzen Zahlen schreibt, hat Reda von jeder Sparte etwas in die europäischen Läden gebracht: ein bisschen Running, ein bisschen Golf, ein bisschen Yoga, jede Menge Wandern und Bergsteigen - und vieles, das man laut Firmenchef "beim Sport genauso wie auf die Straße anziehen kann". Also Kapuzenpullis, Longsleeves und T-Shirts, alles preislich mit der Kunstfaserkonkurrenz vergleichbar. 50 Euro für ein Shirt, 80 für lange Sportunterhosen. Nur der Skianzug würde 1600 Euro kosten. Die Stoffe sind mal elastisch und schimmernd, mal weich und fleeceartig. Aber nie erinnern sie an Wolle im Sinne von Stricksocken und Kratzpullovern.

"Die meisten anderen, die mit Merino arbeiten, rauen die Fasern ihrer Sportkleidung leicht an, damit man ihnen ansieht, woraus sie gemacht sind." Die "Rewoolution" aber, sagt Poala, solle vor allem extrem technisch aussehen.

Von uralten Maschinen verarbeitet

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(Foto: PR)

Was die italienische Textilfirma Reda aus ihren Merinoschafen macht, soll statt oller Wolle nach Hightech und Performance aussehen: Ob Shirts...

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(Foto: PR)

...Hosen...

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...oder Overalls.

Die beiden Werke seiner Firma stehen inmitten der Hügellandschaft des Piemont. Dazwischen liegt eine halbe Stunde Autofahrt und irgendwie auch eine Zeitreise. Werk eins steht gelbgetüncht wie ein altes Bauernhaus an einem Fluss, eingehüllt in den süßlich-schweren Geruch von Schafen. Innen rattern Maschinen, von denen einige hundert Jahre alt sind. Das Hauptwerk ist ein grauer Gebäudekomplex mit dampfenden Schornsteinen, moderner Technik, Ledersofas und Modemagazinen auf Glastischen.

Ursprünglich stammt die Wolle aus Neuseeland, auf der Südinsel besitzt Reda eine Merinozucht mit 30 000 Schafen. Deren Fell landet in dicken Büscheln, wie sie ihnen die Schäfer vom Leib rasieren, in der italienischen Provinz. In der Halle des alten Werks türmen sich sägemehlfarbene Gebirge. Die landen später in einem Container, der sie stundenlang wirbelt und mischt wie Flocken in einer Schneekugel.

Die Flocken werden über ein Band in einen zwanzig Meter langen Holzbottich befördert, in dem schmiedeeiserne Zinken die Fasern in einem Gemisch aus dampfend heißem Wasser, Seife, Natriumcarbonat und Reinigungsmittel verrühren. Hundert Jahre alt sei die Maschine, erzählt einer der siebzig Arbeiter im Werk, und noch nie kaputt gewesen. Unten fließt zischend braune Brühe ab. Abwasser? Der Arbeiter schüttelt den Kopf und deutet auf einen blauen Tank. Dort wird die Brühe gefiltert, sodass das Wollwachs übrig bleibt, die Basis vieler Hautcremes.

Die gewaschene Wolle wird in Tanks geföhnt, gebürstet, gepresst und gewalzt, bis sie wie Zuckerwatte über das Förderband läuft. Eine Maschine wickelt sie zu armdicken Strängen, die von Lastern in das Hauptwerk gebracht werden.

In der Spinnerei werden die Fäden so bearbeitet, dass sie möglichst dünn und zugleich reißfest sind. (Foto: PR)

Die Vorteile dieses Rohmaterials haben Hersteller von Outdoor- und Sportbekleidung längst erkannt. Die feine Faser isoliert optimal, weil sich das Merinoschaf über lange Zeit hinweg an das Überleben bei Hitze und Kälte in höheren Lagen angepasst hat. Sie kann viel Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich klamm anzufühlen. Bakterien halten sich schwer darauf, selbst nach langem Tragen entsteht kein Trikot-Geruch. Nur: Ohne die richtige Bearbeitung schneidet sie in Elastizität, Stabilität, Waschbarkeit und Trocknungsdauer schlechter ab als Synthetik. Deshalb setzen die meisten Hersteller, anders als Reda, auf einen Mix.

Jeremy Moon etwa, der vor zwanzig Jahren mit seiner Firma Icebreaker zum Merino-Pionier wurde. Heute ist er nach eigenen Angaben der weltgrößte Hersteller von Funktionswäsche aus der Naturfaser. Der Großteil seines Sortiments besteht zu einem winzigen Teil aus Synthetik, "weil Merino pur weniger robust ist", wie Moon auf Anfrage sagt. Den Markt in Neuseeland hat er so komplett umgekrempelt. Heute ist es schwierig, dort ein synthetisches Sportshirt zu kriegen. Moon war von Beginn an überzeugt, dass das auch in anderen Ländern klappen kann und die Menschen den Widerspruch begreifen würden, dass sie "ausgerechnet für Aktivitäten in der Natur Plastiktüten tragen".

Die Nachfrage wächst

Er sollte recht behalten. Mit dem ökologischen Bewusstsein ist die Nachfrage gewachsen. Seit einigen Jahren mischen fast alle Hersteller mehr oder weniger Merino in ihre Kunstfasern. Und sei es nur aus Marketinggründen. Auch bei Reda läuft die Produktion gut an, sagt Chef Poala. Neben dem Fell der eigenen Schafe kauft das Unternehmen Wolle hinzu. Aus streng kontrollierter Herkunft, denn das Material ist durchaus umstritten.

Weil Merinoschafe häufig von Fliegenmaden befallen werden, lassen ihnen Farmer in Australien und Neuseeland vorsorglich ohne Betäubung die Haut rund um den Schwanz entfernen. Tierschutzorganisationen protestieren, aber die Bauernverbände halten die Prozedur für das kleinere Übel als den Madenbefall. Reda kauft Wolle nur bei Farmen, die auf die schmerzhafte Praxis verzichten. Dafür spricht Vorstand Poala über einen anderen Produktionsschritt mit gerunzelter Stirn.

"Wir haben zwei Jahre lang an Methoden geforscht, wie wir ohne Chemikalien färben können", sagt er. Ohne Erfolg. Schwarze Textilfarbe wollte er unbedingt aus einem brasilianischen Baum gewinnen. "Aber für unseren Bedarf hätten wir jede Menge Regenwald abholzen müssen."

Warum für Aktivitäten in der Natur Plastiktüten tragen?

In der ersten Halle des Hauptwerks hängt also feucht und beißend der Geruch von Chemie. Neben dem Färben geht den mehr als 370 Angestellten hier darum, aus dem Rohmaterial möglichst feine Fäden zu spinnen. Denn gerade für elastische Sportkleidung ist der beste Faden der dünnste. Gleichzeitig muss er reißfest sein wie Kunstfaser. Drei Jahre lang habe Reda geforscht, bevor die Balance stimmte, sagt Poala. An der Schafzucht, an der Fütterung, an den Maschinen, die die armdicken Stränge so lange dehnen und drehen, bis der Faden fast unsichtbar ist.

Aus den Fäden werden eine Halle weiter Stoffbahnen gewoben, die vier Qualitätschecks durchlaufen. Acht Stunden am Tag kontrollieren mehrere Frauen den fertigen Stoff, mit Lupen und mit den Handflächen. Dann wird beschichtet und genäht.

In der Villa deutet Ercolo Botto Poala auf die bunten Sportklamotten. "Wir sind uns sicher, dass das die Zukunft ist. Ein Trend, der bleibt." Auch, weil biologisch abbaubares Merino anders als Synthetik so leicht wieder verschwindet: Der Skianzug, sagt Poala, löse sich unter der Erde innerhalb von zwei Monaten vollständig auf.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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