Fotografie:Wie entfesselt

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Mode mit politischer Botschaft: Ein Bildband zeigt das Werk Bruce W. Talamons - und den einzigartigen Stil schwarzer Musikstars der Siebziger.

Von Jan Kedves

Gibt es so etwas wie schwarzen Stil? Man schreckt vor so einer Verallgemeinerung zurück, aus gutem Grund. Warum sollte der bloße Zufall, dass man mit dunkler Haut in den USA zur Welt gekommen ist, eine bestimmte Art des Sich-Kleidens nahelegen? Allerdings ist die Welt vor Kurzem noch einmal eindrücklich daran erinnert worden, wie spektakulär schwarzer Stil aussehen kann - als nämlich in Detroit die Queen of Soul, Aretha Franklin, zu Grabe getragen wurde. Umrahmt von einem Meer von rosa- und zartlilafarbenen Rosen, lag sie aufgebahrt in ihrem vergoldeten Sarg, in einem karmesinroten, spitzenverzierten Chiffonkleid und High Heels von Christian Louboutin. Franklin hatte zu Lebzeiten noch über dieses letzte Outfit für ihr erstes Treffen mit dem Lord im Himmel verfügt. Der New Yorker schrieb: "Damit wies Franklin die Trauernden an, sie im Tod noch als das wahrzunehmen, was sie im Leben gewesen war: eine Frau mit Power."

Power bleibt hier am besten unübersetzt, denn mit keinem deutschen Äquivalent - Macht, Kraft, Potenz, Fähigkeit - bekäme man ganz zu fassen, worum es bei Black Power und schwarzem Stil geht. Um alles auf einmal nämlich. Das lässt sich vortrefflich in dem Fotoband "Bruce W. Talamon. Soul. R&B. Funk. Photographs 1972 - 1982" sehen, der im Taschen-Verlag erschienen ist. Er enthält rund 300 Fotos aus dem Archiv des afroamerikanischen Fotografen Bruce W. Talamon aus Los Angeles. In den Siebzigern war er mit den Stars der schwarzen Musik unterwegs, mit Marvin Gaye, Aretha Franklin, Earth, Wind & Fire, Rufus & Chaka Khan, Parliament-Funkadelic und vielen mehr. Magazine wie Soul und Time schickten Talamon mit auf Tour, andere Fotos des heute 69-Jährigen entstanden für Plattenfirmen oder im Auftrag von Musikern. Talamon dokumentierte ihre Auftritte, auf und hinter der Bühne, manchmal durfte er mit zu ihnen nach Hause. Vor allem dokumentierte er ihren Stil, ihre Outfits und Inszenierungen.

Earth, Wind & Fire mischten Disco-Glamour, Uniformen und afrikanische Trachten

Das Buch enthält sensationelle Bilder, eines prächtiger als das andere. Diana Ross, die "First Lady of Motown", wie sie 1976 mit Kristallen, Straußenfedern und Pailletten behängt in Los Angeles auftritt und dabei aussieht wie ein anmutiges, glamouröses Show-Pony. Die Jackson 5, wie sie 1974 mit dem pubertierenden Michael in Inglewood, Kalifornien, auf die Bühne gehen und einheitlich ihre weißen Anzüge, oder eher: Superheldenkostüme tragen. Mit ihren Strassornamenten sehen sie fast aus wie die Glitzer-Outfits der rhinestone cowboys aus der Country-Szene, eine Aneignung dieses weißen Looks. Oder Earth, Wind & Fire: Sie erfanden für ihren Tanz ins utopische "Boogie Wonderland" einen wilden Mix aus Disco-Glamour, Militäruniformen und Anspielungen auf traditionelle afrikanische Muster und Trachten. Auf dem hier abgebildeten Foto steht die Band 1980 in Buenos Aires auf der Bühne.

Woher dieser Sinn für visuelle Opulenz, diese Freude am fabulösen Auftritt? Man ist hier ganz schnell in der schwarzen Kirche. Im späten 18. Jahrhundert, noch zu Zeiten der Sklaverei, wurde die Kirche zu jenem Ort, an dem schwarze Menschen sich in Amerika mehr oder weniger unbeobachtet von Weißen bewegen und ausdrücken konnten. Für den Lord im Himmel zeigte man sich sonntags von seiner allerbesten Seite, ohne falsche Bescheidenheit, Halleluja! Die Referenz ist gar nicht weit hergeholt, immerhin wurde in den schwarzen Gemeinden auch die Tradition des Gospel geboren, aus welcher sich im 20. Jahrhundert dann die Popmusik-Stile Soul, R&B und Funk entwickelten - als weltliche Pendants zum Gospel sozusagen.

Im schwarzen Stil kommt so gesehen immer eine Selbstbehauptung zum Ausdruck, ein Stolz im Angesicht von Diskriminierung. Über diesen Zusammenhang macht sich auch der afroamerikanische Kulturwissenschaftler Madison Moore in einem neuen Buch Gedanken. Inspiriert vom Stil schwarzer Popstars wie Little Richard, Beyoncé, Lenny Kravitz oder Prince, beschreibt Moore in "Fabulous: The Rise of the Beautiful Eccentric" (Yale University Press), "wie ein fabulöser Stil eine trotzige Antwort auf die Plackereien des marginalisierten Lebens" sein kann. Fazit: sich als schwarzer Mensch fabulös zu kleiden bedeutet, "sich in einer Welt, die einen unterdrückt und nicht wertschätzt, selbst zum Spektakel zu machen".

Das lässt sich auch aus Talamons Fotos ablesen: wie in den Siebzigerjahren schwarze Popkünstlerinnen und -Künstler, beflügelt von der Black-Power-Bewegung und der sexuellen Befreiung, einen eigenen Stil für sich definierten. "In der R&B-Szene wurde kein verlogener Unterschied zwischen Liebe und Sex gemacht. Das süße Ineinanderfließen von Schweiß und Musik, Leidenschaft und Begierde war ein Teil des Geschenks, das uns diese Künstlerinnen und Künstler machten", schreibt die Autorin Pearl Cleage in ihrer Einleitung zu dem Interview, das sie für das Buch mit Bruce W. Talamon geführt hat.

Die Stretch-Hosen betonten seine muskulösen Beine und die Beule im Schritt

Vielleicht könnte man sagen, dass man sich da, wo die Sexiness betont wurde, von den kirchlichen Wurzeln des schwarzen Stils emanzipierte. Um dafür umso mehr dessen Wurzeln in der Sklaverei zu betonen? Betrachtet man jedenfalls das Foto des Soulsängers Isaac Hayes, 1972 beim Wattstax-Festival in L. A., fallen nicht nur seine lachsfarbenen Stretch-Hosen auf, die seine muskulösen Beine und die Beule im Schritt sehr betonen, sondern die Ketten, die Hayes um seinen nackten Oberkörper gelegt hat. Sie waren weniger eine Anspielung auf SM-Praktiken als ein Verweis auf die alten Sklavenketten, die, nun vergoldet, als Schmuck dienen.

Überhaupt: die Körperbetonung. Jahrhundertelang war schwarzen Menschen in den USA von Weißen gesagt worden, ihre Körper seien abstoßend, animalisch, sündig. Zum Beweis der Black Power gehörte nun das stolze Vorzeigen dessen, was der Lord im Himmel - oder Mutter Natur - einem gegeben hatte. Das ging so weit, dass Eldridge Cleaver, der legendäre Mitbegründer der Black Panther Party, Mitte der Siebziger behauptete, schwarze Männer seien durch Kleidung kastriert worden. Mit seinem eigenen Modelabel "Eldridge de Paris" wollte er Hosen für Männer etablieren, aus deren Schritt ein gestrickter Schlauch heraushing, für das sogenannte beste Stück. Die Frage "Rechtsträger oder Linksträger?" wäre mit diesen Hosen überflüssig geworden. Sie wurden allerdings nicht zum Hit. Sondern zu einem der wenigen Beispiele dafür, wie schwarzer Stil manchmal vielleicht auch zu weit gehen kann.

© SZ vom 15.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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