Fashion 2018:Ganz schön was los

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Was bewegte die Mode im Jahr 2018? Kehrtwende bei Celine, Neubeginn bei Dior Homme, übergriffige Fotografen - und natürlich diese Hochzeit! Die Tops und Flops im Überblick.

Von Anne Goebel, Tanja Rest und Silke Wichert

Top-Flop: Celine

Die erste Celine-Show von Hedi Slimane. (Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP)

Wie nennt man das noch mal, wenn etwas so eintritt wie erwartet, sich aber trotzdem alle aufregen, dass es nicht anders gekommen ist? Schizophrenie? Wunschdenken? Wahlen in Russland? Auf die Mode bezogen, könnte man vom "Slimane-Syndrom" sprechen. Dieser Designer tritt regelmäßig mit einer bestimmten Vision an (skinny, rockig, sexy), ungeachtet des Labels, das ihn gerade beschäftigt. So krempelte er erst Dior Homme um, dann Saint Laurent, dieses Jahr Celine, das jetzt erwartungsgemäß so aussieht wie vorher Saint Laurent. Die Kritiker ätzen wie gehabt, Fans trauern und treiben die Preise für "altes Céline" mit Frustkäufen in die Höhe. Und nun? Back to Business. Denn so sehr das "neue Celine" modisch und emanzipatorisch ein Fehlgriff sein mag - die ersten Fähnchen schwenken um. Die Schauspielerin Dakota Johnson trug eines der neuen Kleider, woraufhin viele zerknirscht zugaben, dass sie in dem Paillettenfummel ziemlich sexy aussah. Eine Moderedakteurin des New York Magazine schrieb eine Art Kammerspiel über die erotische Anziehungskraft der neuen Triomphe-Bag. 2019 wird es wahrscheinlich häufiger heißen, dass die Sachen soooo schlecht nicht aussehen. Zur Erinnerung: Saint Laurent wuchs unter Slimane um mehr als 100 Prozent. Geschichte wiederholt sich, Mode sowieso.

Flop: Marc Jacobs

Der Designer Marc Jacobs. (Foto: Angela Weiss/AFP)

"Hallo, Gott" hieß vor acht Jahren ein Porträt in dieser Zeitung über den Designer Marc Jacobs. Wenn sein Name heute fällt, sagen Leute aus der Modebranche eher "Ach Gott". Jacobs war mal der ewige Überflieger, dann gingen er und Louis Vuitton 2014 getrennte Wege, angeblich auch, damit er sich auf sein eigenes Label samt angekündigtem Börsengang konzentrieren könne. Davon redet keiner mehr, von Jacobs selbst leider auch nicht mehr viel. Beziehungsweise doch, im Juni titelte die New York Times: "How Marc Jacobs fell out of fashion." Ein Modedesigner, der nicht mehr in Mode ist - geht es schlimmer? Tatsächlich blieben die Verkäufe unter den Erwartungen, mehr als ein Dutzend Geschäfte mussten schließen. Im November brachte der 55-Jährige eine Neuauflage seiner Grunge-Kollektion aus den Neunzigern auf den Markt. Und nachdem 2015 die erfolgreiche Zweitlinie Marc by Marc Jacobs eingestampft wurde, ist für 2019 das günstigere Label The Marc Jacobs angekündigt. Zwei Remakes: Mal sehen, ob das zur Wiederauferstehung von Gott reicht.

Top: Givenchy

Die werdende Herzogin von Sussex in einem Kleid von Givenchy Couture. (Foto: Getty)

Am Morgen des 19. Mai 2018 erschien das Schicksal der britischen Designerin Clare Waight Keller noch seltsam ungewiss. Zwei Givenchy-Kollektionen hatte sie als Nachfolgerin von Riccardo Tisci bereits in Paris vorgeführt, doch das Urteil war nicht abschließend gesprochen. Die Kleider waren für gut, modern, elegant befunden worden, einen Hype aber hatten sie kaum ausgelöst. Bis das Haus, am 19. Mai um 13.21 Uhr, eine Mail über den ganz großen Verteiler jagte. Betreff: "Ms. Meghan Markle in Givenchy Haute Couture by Clare Waight Keller - THE ROYAL WEDDING." Und das war's dann für Mrs. Keller. Riesenberichterstattung, Ovationen, Auszeichnung als britische Designerin des Jahres. Die Laudatio hielt, abermals in Givenchy, die mittlerweile schwangere Herzogin von Sussex. Bingo. Und alle so: Haben wir nicht immer gesagt, dass das neue Givenchy göttlich ist?

Flop: Vitamin F

Die Model-Schwester Bella (links) und Gigi Hadid. (Foto: Getty)

Exakt, das Model-Vitamin F alias Familie taucht hier als Flop auf, obwohl es wahrscheinlich niemals wirksamer war als in diesem Jahr. Aber eben auch nie so nervtötend. Nehmen wir eine durchschnittliche Fashion Show, gebucht werden um die 40 Models - alle irgendwie gleich groß, gleich dünn, gleich schön. 38 von ihnen kennt man nicht, das sind die, die den eigentlichen Job erledigen, nämlich Kleider über den Laufsteg bugsieren. Dann gibt es aber noch die eine, die die Show eröffnet, und die andere, die sie schließt. Sie sind beide so berühmt, dass sie ihre Garderobe in den Schatten stellen und sich in erster Linie selbst performen. Eigentlich müssten sie gar nicht mehr laufen, sondern einfach nur da sein. Im Jahr 2018 waren das fast immer dieselben zwei Handvoll Mädchen, und die meisten hatten das Vitamin F quasi in Überdosis. Da war Kaia Gerber, die Tochter von Cindy Crawford. Da war Bella Hadid, die Schwester von Gigi Hadid beziehungsweise auch anders herum. Und da war Kendall Jenner, die Schwester von Kylie Jenner und Halbschwester von Kim Kardashian und Halbschwägerin von Kanye West. Bei den Männern läuft Dylan Brosnan, Pierce junior. Das Modelbusiness ist also dynastisch geworden und damit so langweilig und vorhersehbar wie die britische Thronfolge. Nächstes Jahr wird Lila Grace Moss, die Tochter von Kate, ihren Durchbruch erleben. So viel ist sicher.

Top: Neues China

Zukunftsmarkt: Chinesen beim Einkaufen. (Foto: How Hwee Young/dpa)

Wir möchten an dieser Stelle eindringlich dafür plädieren, dass auch im Fashionzirkus - so wie in Hollywood mit der goldenen Himbeere - ein Preis für die schlechteste Performance des Jahres vergeben wird. Die Igitt-Bag, der goldene Stinkstiefel, etwas in der Art. Dieses Jahr unangefochtener Favorit auf die Trophäe: Dolce & Gabbana. Nachdem den Italienern vorgeworfen wurde, sich mit diskriminierender Werbung und Posts über China lustig zu machen, lieferten sie ein so klägliches Entschuldigungsvideo ab, dass man ihnen zur Strafe lebenslang die Melodie von "Sorry seems to be the hardest word" von Blue featuring Elton John ins Ohr einpflanzen möchte. Mit dem Sänger zankte sich das Designer-Duo ja bekanntlich auch schon mal auf Instagram. Ein Gutes wird die Posse haben: Obwohl das Wachstum der Modebranche seit Jahren fast nur von Asien angeschoben wird, haben wenige Marken die chinesischen Kunden wirklich ernst genommen. Sie galten als willige "Allesfresser": große Logos, etwas Bling, ein chinesisches Alibi-Model als landestypische Garnierung - fertig war die Asia-Box. Der ewige Hochmut dürfte nach dem massiven Boykott von Dolce & Gabbana vorbei sein. Die chinesischen Konsumenten haben ein neues Selbstbewusstsein - zu Recht: 2019 soll die Volksrepublik die USA als größten Modemarkt der Welt ablösen. Was heißt "Sorry" noch mal schnell auf Mandarin?

Top: Black Power

Zwei, die sich bestens verstehen: der Designer Virgil Abloh (links) und Edward Enninful, Chefredakteur der britischen "Vogue". (Foto: Getty Images Entertainment/Getty)

Die Mode ist eine kurzlebige Kunst, aber manche Dinge dauern auch hier eine halbe Ewigkeit. Die Dominanz weißer Protagonisten und ihrer Sicht auf die Welt in allen Bereichen - vor und hinter der Kamera, auf den Laufstegen, in den Kreativabteilungen - wurde über Jahrzehnte als Normalität akzeptiert. Wer daraus eine grundsätzliche Frage machte, war als Spaßbremse im falschen Business. Ob sich daran nun grundlegend etwas ändert, wird sich weisen. Aber Tatsache ist: 2018 war das Jahr von "Black Power" in der Mode. Allen voran legte Edward Enninful, ghanaisch-englischer Chef der britischen Vogue , in seinen ersten zwölf Monaten einen fulminanten Auftakt hin. Der 46-Jährige macht ernst mit einem neuen Blick auf die Mode. Weniger von der alten Formel "Weiß-dünn-westlich", mehr Offenheit: Im Mai hob er neun Mädchen auf den Titel, darunter Halima Aden mit Hijab und die üppig runde Paloma Elsesser. Die September-Nummer zierte dann Rihanna, die amerikanische Vogue punktete in ihrer Herbstausgabe dafür mit Beyoncé. In der Designer-Riege machte derweil Virgil Abloh als erster schwarzer Kreativchef bei Louis Vuitton Schlagzeilen. Und das Model der Stunde, allgegenwärtig und nicht auf den Mund gefallen? Adwoa Aboah, deren Familie aus dem britischen Adel und aus Ghana stammt. Die Devise für 2019: Weiter so!

Flop: Übergriffige Kamerakünstler

Rausgeflogen bei "Vogue": Starfotograf Mario Testino. (Foto: Jeff Spicer)

Mario Testino arbeitet jetzt ja wieder. Wie die South China Morning Post am 17. Dezember meldete, sollen ihn ein paar südostasiatische Millennials für "private Foto-Sessions" angeheuert haben. Millennials, haha, Jungmilliardäre träfe es sicher besser. Obwohl ein echter Testino in diesem Jahr bestimmt günstiger zu haben war als 2017. Da war er noch Star-Fotograf bei Vogue und nahm auf der Fashion Week zwischen Grace Coddington und Anna Wintour Platz. Das ist für ihn erst mal vorbei, genauso wie für Bruce Weber und Patrick Demarchlier, ebenfalls Bildkünstler in Diensten der Vogue. Man fragt sich, wer außer Peter Lindbergh und Steven Meisel überhaupt noch übrig ist, der diesen superglossigen und dabei irgendwie pseudointimen Vogue-Look herstellen kann. Jedenfalls haben Scharen von Models allen drei Herren sexuelle Übergriffe vorgeworfen, worauf die internationale Hochglanzszene sie fallen ließ wie heiße Kartoffeln. Es war schließlich das "Me Too"-Jahr. Testino, Weber und Demarchelier bestreiten seither die Vorwürfe. Aber das tut Harvey Weinstein ja auch.

Top: Dior Men

Schluss mit Streetstyle: Kim Jones führte bei Dior Homme eine neue Eleganz ein. (Foto: Gamma-Rapho via Getty Images)

Wegbereiter, ein gewichtiges Wort, aber Großspurigkeit war in der Modebranche noch nie ein Fehler. Folglich hat der British Fashion Council seinen in diesem Jahr neu ausgelobten Preis "Trailblazer Award" getauft. Das klingt nach einer Ehrung für ein altes Schlachtross, nach lebenslanger Pionierarbeit. Aber Kim Jones ist erst 39. Der Designer, ein sommersprossiger, pummeliger Londoner, darf sich nun also offiziell als Vorreiter der Männermode fühlen. Und zwar vollkommen zu Recht. Mit seiner ersten Show für Dior hat Jones eine der besten Männer-Kollektionen des Jahres abgeliefert. Er galt bisher als Fachmann für luxuriöse Streetwear, brauchte aber bei Dior nur wenige Monate Vorbereitungszeit, um mit seinem Debüt eine neue Marke zu setzen: ein sehr lässig cooles Dandytum in Porzellantönen, mit gemusterten Hemden, Taschen aus Wiener Geflecht und perfekt geschnittenen Hosen zu Bomberjacken mit Spitzenborte. Eine Spur Oscar-Wilde-Dekor im 21. Jahrhundert - lobenswert! Weil es in der Männermode ja auch mal gut ist mit straßenköterhaften Gangsta-Looks. Und, nicht zu vergessen, Jones meint es ernst mit Genderneutralität: Dior Men für Frühjahr 2019 ist aus Frauensicht eine Kollektion zum Wegschnappen. Zumindest die Jacke aus Spitze.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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