Essen & Trinken:Döner wird schöner

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Zum ersten Mal ist ein Kochbuch über das beliebteste Fastfood der Deutschen erschienen. Standesgemäß stammt es von einem bayerischen Bartender mit weltweiter Erfahrung und türkischen Wurzeln.

Von Franz Kotteder

Eines muss man den Dönerbuden dieses Landes lassen: Ihr Marketing ist vollmundig. Der Schriftzug "Döner macht schöner" ist längst ein Klassiker, man findet ihn an jedem zweiten türkischen Imbiss. Mindestens gefühlt. Und manche ergänzen ihn noch, mit: "Auf Dauer auch schlauer!" Womit dem literarischen Anspruch im Lande der Dichter und Denker sowohl formal als auch inhaltlich Genüge getan sein dürfte, was das bei den Deutschen extrem beliebte Fastfoodgericht betrifft - die Reime bereichern die Sprachästhetik, und auch die Geisteskraft wird thematisiert.

Aber genug gewitzelt: Der Döner an sich ist ebenso ein türkisches Erfolgsrezept (im Wortsinne), wie er eine deutsche Erfolgsgeschichte hinter sich hat. Er ist nicht nur ein schnelles Essen an der Straßenecke, sondern auch ein perfektes Symbol für das erfolgreiche Hineinwachsen einer kulturellen Minderheit in die deutsche Gesellschaft, bis daraus eine neue Normalität geworden ist. Oder wie es Cihan Anadologlu ausdrückt: "Der Döner hat Deutschland und die Türkei zusammengebracht."

Der 38-Jährige hat sich ursprünglich nicht als Virtuose am Grillspieß, sondern als exzellenter Bartender und Cocktailexperte einen Namen gemacht. Er sagt von sich, er spreche sicher besser Deutsch als Türkisch, "ich habe die deutsche Kultur verinnerlicht, und meine Wurzeln sind die türkische Kultur". Er ist in der Nähe von Ulm aufgewachsen, in Giengen an der Brenz. Eine kleine Stadt an der Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern, mit gerade mal 20 000 Einwohnern. Aber hier wurden seit jeher die berühmten deutschen Teddybären mit dem Knopf im Ohr hergestellt, und in der Gegend gab es auch vor gut 30 Jahren schon Dönerläden. Vater und Mutter von Cihan Anadologlu waren Köche und legten großen Wert auf gutes Essen. Manchmal, am Wochenende, setzte man sich ins Auto und fuhr 35 oder 40 Kilometer weit, nur um zu einer Dönerbude zu gelangen, in der es wirklich guten Döner gab: "Für uns Kinder war das ein bisschen wie ein Ausflug nach Disneyland."

Etwa 2,5 Milliarden Euro werden jährlich in Deutschland mit dem Döner umgesetzt

Da musste es wohl irgendwann so weit kommen, dass Anadologlu sich des Themas intensiver annahm. Es hat ihn einfach gereizt. "Eigentlich ist der Döner das Ergebnis einer sehr einfachen, bäuerlichen Küche", sagt er, "Fleisch, Soße, Brot und ein bisschen Gemüse, in diesem Fall Zwiebeln oder Salat - fertig!" Die Grundbausteine ähneln dem Sandwich und dem Burger. Das Fladenbrot, aufgeschnitten wie eine Tasche, wird befüllt mit Grillfleisch und weiteren Zutaten von unterschiedlicher Textur, was ein spannendes Mundgefühl verspricht. Aber alles wäre natürlich nichts ohne die Soße. "Die braucht es", sagt Anadologlu, "trocken Brot und Fleisch wäre ja nur schwer hinunterzuschlucken."

Ein simples Gericht also, das allein in Deutschland nach Angaben des Vereins türkischer Dönerhersteller in Europa für einen Jahresumsatz von 2,5 Milliarden Euro sorgt - die letzten Zahlen stammen allerdings von 2010. An die 18 000 Dönerbuden gebe es hier, sagt Anadologlu. Umfragen behaupten immer wieder, es handele sich um das beliebteste Fastfood im Lande, noch vor dem Burger und der Pizza. Die Currywurst, einst Marktführer der schnellen Imbissküche, liegt in diesen Listen längst abgeschlagen auf hinteren Plätzen, zusammen mit anderen Bratwürsten.

Anadologlu hat das Thema mit deutscher Gründlichkeit beackert und das erste deutsche Döner-Kochbuch überhaupt veröffentlicht. "Einmal mit alles - Der Döner und seine Verwandten" (Callwey Verlag) enthält nicht nur 50 Rezepte, in denen er die vielfältigen Abwandlungen des Gerichts thematisiert, sondern auch eine Art Kulturgeschichte des Döners. Dafür hat er viel ausprobiert, flog mehrmals in die Türkei. "Ich traf mich mit türkischen Food-Historikern und dachte, das Thema wäre in einer Stunde erledigt", erzählt er, "nach sieben Stunden ist mir der Arm fast abgefallen, so viel hatte ich mitgeschrieben."

Es gab ja auch viel zu klären: Wo ist der Döner entstanden? Warum wird welches Fleisch verwendet? Welche Rolle spielt das Gericht in der türkischen Kultur? So datieren erste Berichte über den Döner bereits aus dem Jahr 1836, vom deutschen Militärberater des Osmanischen Reichs, Helmuth von Moltke. Was die Legende entschieden entkräftet, der Döner sei eigentlich eine Erfindung von Deutschtürken. Andererseits ist er in seiner heutigen Form auch sehr deutsch, denn das in der Türkei verbreitete Hammelfleisch ist hierzulande alles andere als populär. Das Thema ist also vielschichtig, wie Anadologlu bald feststellte.

Den Schwerpunkt des Buches bilden die verschiedenen Soßen, sie erlauben die Variationsbreite, die für so ein Kochbuch nötig ist. Anadologlu teilt sie in unterschiedliche Schärfegrade ein: "deutsch", "normal" und "türkisch", wobei auch der Grundsatz gilt: "Zu scharf ist der Döner nur, wenn man aus der Nase blutet." Die Variationen tragen Namen, die dem Autor - bei aller Ausgereiftheit mancher seiner Dönerkreationen - auch ein bisschen Street Credibility sichern sollen: "Was geht, Alter?" (mit Apfel, Pommes und Brunnenkresse) oder "Lalalalalala" (mit Tofu und Portulak sowie grünen Oliven). Mit der Soße kann man am bestem spielen; da bricht bei Anadologlu der Cocktailmixer durch. Man kann das wie bei jeder Abwandlung eines klassischen Gerichts im Einzelfall übertrieben finden, ja gar als Verrat an der Tradition. Fügt es eine neue Geschmackskomponente hinzu, kann es freilich auch ein Gewinn sein. Wie etwa beim vegetarischen Döner, der mittels selbstgemachter Teriyaki-Soße, Wasabipulver und warmem Ei einen würzigen japanischen Dreh erhält.

Anadologlu prüft im Dönerlokal zuerst die Toilette. Ist sie nicht sauber, bestellt er dort nichts

Cihan Anadologlu sagt, er könne sich in kleinste kulinarische Details hineinfuchsen, wenn sein Interesse einmal geweckt sei. Aber ausgerechnet für so etwas Banales wie "ein besserer Sandwich?" - das würden sich manche sicher fragen. Seine eigene gastronomische Karriere fand ja eher auf der anderen Seite der Skala statt. Gute vier Jahre arbeitete er als Bartender in der berühmten Bar von Charles Schumann. Und passenderweise schlendert der Altmeister auch noch vorbei, als man sich coronabedingt zum Gespräch über das Buch im Münchner Hofgarten trifft. Schumann grüßt von Weitem und ruft dem früheren Mitarbeiter zu: "Willst du meine Bar jetzt kaufen? Für fünf Millionen kannst du sie haben!" Der Preis ist nicht gerade auf Döner-Niveau, aber allein dass Schumann einem sein Lebenswerk übertragen würde, ist ja irgendwie schon eine Auszeichnung.

Anadologlu ist viel herumgekommen in der Welt, hat das Bar-Handwerk beispielsweise in New York gelernt. Von der Pike auf und wieder mit großer Gründlichkeit, denn "mixen ist wie kochen", sagt er. Zahlreiche internationale Preise hat er gewonnen, durfte auch schon einen Cocktail für die Oscar-Verleihung kreieren, und manchmal wird er nach Schanghai in ein Luxushotel eingeladen, um dort Cocktails zu mixen. Sein Honorar: 10 000 Euro für wenige Tage. Bis Ende 2019 führte er die Bar "Circle" im Münchner Hearthouse, die man sich als sehr exklusiven Club vorstellen muss und die etwas von einem Chemie-Labor hatte, wegen all der technischen Geräte, die dort herumstanden: Rotationsverdampfer, Dörrautomaten, Vakuumgarer.

Und nun also: Döner. Zurück zu den Wurzeln, wie Anadologlu sagt. "Das sind halt zwei verschiedene Seiten von mir." Und wer Cocktails mit gefrorenen Avocadosteinen statt Eiswürfeln mixt und Fett vom Kobe-Rind einbaut, der gibt sich nicht mit Fastfood von einem 25-Kilo-Fleischkegel am Drehspieß in einer speckigen Bude am Hauptbahnhof zufrieden. "Der normale Dönerladen ist sehr einfach ausgestattet", sagt Anadologlu, "Industriekacheln, ein Kühlschrank, aus dem sich jeder selbst die Getränke holt, dann zahlst du sechs Euro für den Döner mit allem und bist satt." Das ist der Standard, der große Fleischspieß kommt meist schon befüllt aus der Fabrik, und die Soße ist oft ein Fertigprodukt.

Dabei könnte gerade das richtige Belegen des Drehspießes eine Kunst sein. Man nimmt mariniertes Lammfleisch in Scheiben (es gibt ja auch Döner mit Huhn, Kalb, Rind oder Pute), steckt es in Schichten auf den Spieß, dazwischen Kalbshack und manchmal eine Scheibe Fett, damit das Fleisch nicht zu trocken wird. Ist der Spieß richtig befüllt, dann schmeckt der Döner auch nach längerer Grillzeit frisch und saftig. Brät man das Fleisch geschnetzelt in der Pfanne - wer hat schon einen Drehspieß mit Standgrill zu Hause? -, dann muss es natürlich schneller gehen.

Überhaupt: die Uhrzeit. Der Döner ist ja eine beliebte Mahlzeit für Menschen, die nach einer langen Nacht aus dem Club oder der Bar kommen und sich dann schnell den Magen vollschlagen müssen. Cihan Anadologlu rät davon ab: "Bei den Spießen, die sich nachts um drei oder vier noch irgendwo in der Hauptbahnhofsgegend drehen, da braucht man schon viel Alkohol, um zu übersehen, was da hängt."

Am besten sei so ein Döner mittags zwischen zwölf und 14 Uhr, sagt er, denn da sei er am frischesten. Er selbst hat ein paar Grundregeln, die er beherzigt, wenn er Döner essen geht. "Ist zu viel Hackfleisch auf dem Spieß, kehre ich gleich um." Ebenso, wenn der Dönerbrater auf die Frage, welches Fleisch er auf dem Spieß hat, erst überlegen muss. Ganz wichtig ist natürlich die Sauberkeit, und zwar nicht nur die auf der Theke: "Wenn du wissen willst, ob du dort essen kannst, dann gehst du zuerst auf die Toilette." Der Gesamteindruck ist wichtig, das gilt für die Dönerbude ebenso wie für die exquisite Bar: "Der erste Schritt hinein ist der, mit dem du den Gast gewonnen hast - oder verloren für immer."

Nach all dem Nachforschen über den Döner - wäre schon vorstellbar, dass Cihan Anadologlu eine eigene Bude aufmacht, oder? Beziehungsweise ein Konzept für die Systemgastronomie dazu entwickelt? Anadologlu lacht und sagt: Ja, da seien schon Unternehmen auf ihn zugekommen. Er plant - neben "zwei Büchern über Cocktailklassiker und veganes Super-Food" - aber gerade ganz etwas anderes. Ein Cocktail-Atelier in München, zusammen mit einem bekannten Drei-Sterne-Koch, der anspruchsvolles Barfood dazu entwickeln wird. Wer das ist, will er noch nicht verraten. Es werde noch dauern, unter Corona-Bedingungen könne man nicht anfangen: "Wir wollen ja nicht mit ,to go' starten."

© SZ vom 06.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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