Design:Das große Comebag

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Die Kramer-Tasche von Tsatsas, daneben Keramiken von Lore Kramer. (Foto: Tsatsas)

Der Architekt Ferdinand Kramer entwarf 1963 eine Handtasche für seine Frau. Jetzt, mehr als 50 Jahre später, legt sie ein Frankfurter Label neu auf.

Von Julia Rothhaas

Mal war es ein Bademantel oder ein Kleid, mal ein paar Schuhe oder Schmuck. Ferdinand Kramer liebte es, seine Frau mit schönen Dingen zu überraschen. Geschenke zu Weihnachten oder zum Geburtstag mochte er nicht, lieber brachte er ihr spontan etwas mit. Nur eine Handtasche, die seinem Geschmack entsprach, konnte er nicht finden. Also entwarf er eben selbst eine und ließ sie 1963 für seine Frau aus schwarzem Leder anfertigen. Ein Unikat für seine große Liebe.

Mehr als 50 Jahre später liegt diese Tasche auf einem niedrigen Kaffeetisch in Lore Kramers Haus in Frankfurt am Main, beschützt von einem grauen Stoffbeutel. Die Tasche sieht aus wie neu. Nicht nur glänzt das glatte Leder, als sei es frisch aus der Werkstatt, auch das Design wirkt zeitlos. Klare Form, stimmige Proportionen, kein Wunder: Schließlich war Ferdinand Kramer nicht irgendein verliebter Ehemann, sondern einer der bedeutendsten Architekten und Designer der Moderne.

"Ich bin oft auf die Tasche angesprochen worden", sagt Lore Kramer. Die große Frau mit dem schmalen Gesicht und dem braunen Bob sitzt auf einem Sofa, das so alt ist wie sie: 91 Jahre. Weder ihr selbst noch dem Möbelstück sieht man das Alter an. Auch das Sofa stammt von ihrem 1985 verstorbenen Mann. Dass ihr persönliches Unikat nun so viele Jahre später an anderen Schultern hängen soll, das hätte Lore Kramer nie geglaubt. Doch dann lernte Tochter Katharina im Dezember 2016 das Frankfurter Taschenlabel Tsatsas kennen und zeigte den beiden Designern Esther Schulze-Tsatsas und Dimitrios Tsatsas Mutters Tasche. Die waren von dem Original so begeistert, dass sie kurzerhand den Entwurf für ihre eigene Kollektion übernahmen.

Eigentlich hatte sich Lore Kramer immer gewünscht, dass jemand eines Tages ihr Abendtäschchen reproduziert, ebenfalls ein selbst entworfenes Geschenk ihres Mannes. "Aber das hat nie geklappt. Die Tasche hat einen Rahmen, der mit Leder bezogen ist. Es hieß, sie sei geklebt, was problematisch sein könnte und in der Herstellung zu teuer." Doch von der länglichen Alltagstasche waren die beiden Tsatsas-Designer sofort überzeugt.

Ein Detail gefiel ihnen daran besonders gut: Die Trageriemen spalten sich zu einem Y und klappen auf, so dass sich die Trageriemen beim Öffnen des Reißverschlusses nicht an den Ecken der Tasche verhaken. Ein bisschen was mussten sie an dem ursprünglichen Entwurf trotzdem verändern. Die Gurte an den neuen Modellen lassen sich jetzt in der Länge verstellen, aus den alten Nieten wurden Gelenke aus Messing und im Gegensatz zum Original fällt die Tasche weniger flach aus. Außerdem ist sie in drei Größen und drei Farben erhältlich. Auf die Farbwahl legt Lore Kramer besonders großen Wert: "Mein Mann mochte kein Violett, kein Grün, kein Mauve, und vor allem kein Beige. Wir haben nur Farben ausgesucht, die Kramer gefielen", sagt sie lächelnd.

Kramers Arbeiten wurden oft kopiert. Ihm falle schon wieder was Neues ein, sagte er dann

Für Ferdinand Kramer, geboren 1898, war dieser Ausflug in die Mode nichts Ungewöhnliches, seine Eltern führten ein angesehenes Hutgeschäft in Frankfurt, er selbst interessierte sich sein Leben lang für Schnitte und Zeichnungen. So ließ er gar ein Abendkleid nach eigenem Muster für seine Frau schneidern. Bekannt wurde er - nach einem kurzen Ausflug bei Bauhaus in Weimar - für seine Kleinmöbel, Gebrauchsgegenstände wie den "Kramer-Ofen" oder die "Knock-Down"-Möbel, eine Art Ikea-Vorläufer: kombinierbar, klappbar, verstellbar und dabei preiswert. Nach der Rückkehr aus der Emigration in den USA übernahm er 1952 die Leitung des Bauamts der Johann Wolfgang Goethe-Universität und wurde so zur prägenden Gestalt des "Neuen Frankfurt".

Die Vermarktung seiner Entwürfe interessierte ihn hingegen nicht, im Laufe seiner Karriere wurde er oft kopiert. "Das ist doch ein Zeichen dafür, dass es gut ist, meinte er dann. Ihm falle schon wieder was Neues ein", erzählt Lore Kramer. Ein erstes Wiederaufleben seiner Möbel erlebte die Familie bereits 2012, als Tische, Stühle, Liegen und eine Garderobe von der Möbelfirma E15 neu aufgelegt wurden. Nun also die Tasche.

Das kleine Label Tsatsas passt gut zu Ferdinand Kramer, dem Perfektionisten. Weil der Vater von Dimitrios Tsatsas Feintäschner ist und eine eigene Werkstatt in Offenbach hat, können die beiden Designer "schnell ins Modell gehen", wie sie sagen. So bekam Lore Kramer schon den zweiten Entwurf für die Tasche aus Leder zu sehen. Nur bei einer Sache mussten sie vom Kramerschen Kurs abkommen: "Sein Ziel war es, Sachen zu entwerfen, die für alle erschwinglich sind. Das geht heute nicht mehr, die Produktion wäre zu teuer." Die neu aufgelegte Kramer-Tasche von Tsatsas kostet in der kleinsten Größe 620 Euro.

2018 ist ein aufregendes Jahr für Lore Kramer, nicht nur der Tasche wegen. Mit 91 Jahren tritt sie erstmals aus dem Schatten ihres Mannes und steht selbst im Rampenlicht. Sie, die 1946 nach ihrer Aufnahme an der Kunstakademie in Stuttgart Bildhauerei und dann Keramik studierte, zeigt von Ende Mai an ihre Zeichnungen, Glasuren und Keramiken im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt.

Auch diese Idee stammt von den Töchtern, die es leid waren, dass es in ihrer Familie ein Leben lang nur um Ferdinand Kramer geht. Der Vater, nur der Vater, dabei sei die Mutter mindestens genauso begabt, ärgerten sich Katharina und Anna. Und siehe da: lauter Schätze, so das Urteil der Kuratoren. Eine Genugtuung für die Töchter. Lore Kramer war überrascht, dass jemand in ihren Arbeiten etwas Besonderes sieht. "Dass die Keramiken ausgestellt werden, damit habe ich nicht gerechnet." Vielleicht gibt es ja irgendwann sogar eine neu aufgelegte Lore-Kramer-Keramik-Edition. Mit schönen Überraschungen kennt sich die Familie schließlich aus.

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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