Dem Geheimnis auf der Spur:Wisente an der Wand

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Darstellung eines rot leuchtenden Wisents. Die ältesten Tierbilder in der Grotte sind mehr als 20 000 Jahre alt. (Foto: dpa)

Als die Höhle von Altamira entdeckt wird, halten viele Experten die beeindruckenden Malereien aus der Eiszeit zuerst für Fälschungen.

Von Harald Eggebrecht

Ohne den Hund des Jägers Modesto Cubillas wäre wohl nichts aus dieser Weltsensation geworden. Und ohne Maria, die kleine Tochter des Naturwissenschaftlers Don Marcelino Sanz de Sautuola, wäre die Chance, die wahren Wunder dieser Höhle zu entdecken, wohl achtlos vertan worden. Aber als die Pferde, Wisente, Wölfe und Hirsche an der Decke der Höhle von Altamira im nordspanischen Kantabrien 1879 bekannt wurden, bestraften die Prähistoriker und Kunstgeschichtler ihre Finder erst einmal mit Verachtung und der Unterstellung, die Malereien seien Fälschungen und Schmierereien. Die Fachwelt hielt so grandiose Kunst aus der Eiszeit einfach nicht für möglich. Es sollte 23 Jahre dauern, ehe die Höhlenmalereien von Altamira als echt anerkannt wurden. Sie waren die ersten, die man überhaupt fand. Ihnen folgten viele weitere Funde in Höhlen, vom Ural bis nach Spanien, darunter solche Wunder wie die 1940 in Lascaux entdeckten Malereien oder die 1994 gefundenen Darstellungen in Chauvet. Einzigartige Meisterwerke, die gängige Vorstellungen vom vermeintlich primitiven Frühmenschen revolutioniert haben. Das waren nicht nur Handwerker, Jäger und Sammler, sondern auch unglaubliche Künstler.

Erst als ihn seine Tochter darauf aufmerksam macht, sieht er das wahre Wunder der Höhle

Am Anfang steht aber Altamira, nahe der Stadt Santillana del Mar. 1868 folgt der Hund von Modesto Cubillas einer Fuchsfährte und verschwindet zwischen Steinen. Cubillas kann sein Tier retten und findet dabei unter dem Geröll den Eingang zu einer Höhle. Das ist in dieser Gegend nichts Besonderes, denn die Kalkfelsen um Santillana del Mar sind geradezu durchlöchert von Grotten und Hohlgängen. Cubillas meldet seinen Fund Sautuola. Doch der interessiert sich nur beiläufig und inspiziert die Höhle ohne besondere Aufmerksamkeit. Erst mehrere Jahre später wird er wirklich in diese Unterwelt einsteigen.

Seine Neugier hat der französische Prähistoriker Édouard Piette geweckt, den er 1878 in Paris besucht hatte. Piette wies ihn bei einem Gespräch über die Eiszeit darauf hin, wie man in Höhlen mögliche frühmenschliche Spuren erkennen könne. Sautuola steigt daraufhin wieder in die Höhle, die sich in einer zickzackförmigen Folge von Galerien und mehreren Nebengängen ausdehnt. Die Galerien setzen sich in einem langen, engen und sich windenden Gang fort. Insgesamt erstreckt sich das System über 300 Meter.

Bei seiner Suche auf allen vieren findet Sautuola einige steinzeitliche Werkzeuge. Ein Jahr später, 1879, nimmt er seine neunjährige Tochter Maria mit. Während er auf den Knien herumrutschen muss, kann die Kleine aufrecht durch die Gänge schlendern und auch nach oben schauen. Plötzlich ruft sie den Vater heran, da seien lauter Rinder an der Decke. Nun erst sieht Sautuola das wahre Wunder der Höhle: Wisente, Pferde, Hirschkühe, Wildschweine, ein Wolf, unverkennbare Gestalten, gelb, rot und schwarz frisch leuchtend. Zudem wirken die Darstellungen beeindruckend plastisch, weil der bucklige Felsenuntergrund beim Malen geschickt genutzt worden ist, um den Tierfiguren ihre typische Körperlichkeit zu geben.

Sautuola macht seinen Sensationsfund bekannt, sogar der spanische König Alfons XII. folgt seiner Einladung und schaut sich die eiszeitlichen Bilder an. Aber nicht die Fachleute aus Prähistorie und Kunstgeschichte, sie verweigern sogar den Höhlenbesuch. Ein Spanier faselt, diese Malereien hätten "nichts vom Charakter steinzeitlicher, archaischer, assyrischer oder phönizischer Kunst", sie seien nur " das Erzeugnis eines mittelmäßigen Studiosus moderner Malerei". Man beschuldigt sogar einen Künstler der Urheberschaft, der eine Zeit lang Gast bei Sautuola gewesen war. Am heftigsten verhält sich der bedeutendste Experte, der französische Prähistoriker Émile Cartailhac: Die Höhlenmalereien seien nichts als der "vulgäre Streich eines Schmierers". Für Sautuola eine riesige Enttäuschung, er stirbt 1888 verbittert von so viel präpotenter Ignoranz.

1901 findet man ähnliche Malereien in der Höhle von Font-de-Gaume in der Dordogne. Und schon wandelt sich die Meinung der Franzosen. Vor allem Cartailhac bereut aufrichtig seine dumme Verachtung und Schmähung. 1902 entschuldigt er sich posthum bei Sautuola: "Mea culpa d'un sceptique" heißt dieses bemerkenswerte Eingeständnis eines bornierten Wissenschaftlers, sich unsterblich blamiert und geirrt zu haben. Manche meinen, es sei zugleich das Zeugnis eines Opportunisten, der sieht, dass seine Position unhaltbar geworden ist. Außerdem beeilt sich Cartailhac, nun die fundamentale Bedeutung von Altamira herauszustellen. Tatsächlich wurde aus dem größten Kritiker der wohl beste Kenner der Höhle in seiner Zeit.

Seit 2014 dürfen nur noch wenige ausgewählte Personen die Höhle besuchen, die in den 70er-Jahren geschlossen wurde, weil die vielen Neugierigen mit ihrer Atemluft und sonstigen Ausdünstungen den Bildern schwer geschadet haben. Pilze haben sich auf den Farben angesiedelt und drohen sie endgültig zu zerstören. Daher sind weiterhin die meisten Experten dagegen, Altamira wieder geöffnet zu haben. Außerdem gibt es eine begehbare Nachbildung der Höhle. Auch in Lascaux musste man die Originalhöhle schließen, weil sich die Dokumente der Vorzeit nur in absoluter Abgeschiedenheit erhalten. Hier kann man ebenfalls eine gute Nachbildung besichtigen. Und Chauvet dürfen nur Forscher und dann nur kurz betreten. Mit einer Ausnahme: Werner Herzog durfte 2010 einen eindringlichen Dokumentarfilm über die Wunder in der Grotte Chauvet drehen, der die ungeheuerliche Kunst der Frühzeit staunenswert ins Bild setzt.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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