Calvin Klein:Jenseits der Gürtellinie

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Bei Calvin Klein wurde die Baumwollunterhose zur Reizwäsche für den Mann - nicht zuletzt durch die Macht der Werbung. Manchen aber waren die Bilder zu offensiv.

Von Alex Bohn

Vor dem Zweiten Weltkrieg trug der Mann gemeinhin nur eines drunter: lange Unterhosen. Der Anblick dieser sogenannten long johns war so grässlich, dass sie als Liebestöter bekannt wurden. Ein Spitzname, der nach Ende des Krieges an die ordinäre Herrenunterhose weitergereicht wurde: aus weißem Baumwollfeinripp, mit angedeutetem Bein und Eingriff, galt sie als Inbegriff der Spießigkeit. Alternativ dazu gab es den Slip. Der war beinlos und sah an zwei unter hundert Männern gut aus - nämlich an denen, die eine tadellose Figur, also keinen Ansatz von Hüftgold hatten. Bis Calvin Klein sich 1982 des verhassten Kleidungsstücks annahm und entschied: Der Unterschied zwischen Liebestöter und Sexbombe beläuft sich auf wenige Zentimeter.

Der Unterschied zwischen Liebestöter und Sexbombe beläuft sich auf wenige Zentimeter. (Foto: Foto: Getty Images)

Calvin Kleins Korrektur war schlicht, ihre Wirkung überwältigend. An die Herrenbaumwollunterhose nähte er einen Stretchbund, auf den er seinen Markennamen druckte. So avancierte die Unterhose zur Reizwäsche für den Mann. Das lag aber weniger am Design: Der Sex, der Kleins Mode ausmachte, war im Kopf des Konsumenten, dank einer intelligenten Vermarktung des Labels: Calvin Klein erkannte früh die Kraft der Bilder, die Stärke eines Markenimages. Die Jeans, die er in den späten Siebzigern entwarf, verkauften sich nicht phantastisch, weil sie so sagenhaft gut geschnitten waren, sondern weil Klein sie mit dem 15-jährigen Model Brooke Shields bewarb. Die streckte sich, inszeniert von Fotograf Richard Avedon, in ihren Bluejeans und hauchte: "Weißt du, was zwischen mir und meinen Calvins ist? Nichts."

Nicht Kleidung, sondern Aphrodisiakum Heute wäre so ein going commando keinen Aufreger mehr wert. Wöchentlich kann man in der Boulevardpresse verfolgen, ob Britney Spears, Paris Hilton oder Lindsay Lohan ihre Röckchen mit oder ohne Unterwäsche tragen. In den späten Siebzigern jedoch bedeutete ein solches Statement, aufbereitet als massenwirksame Werbebotschaft mit einer Minderjährigen, einen Skandal. Der TV-Sender CBS weigerte sich, den Spot auszustrahlen.

Calvin Klein gab artig zu Protokoll, er habe "keinerlei Provokation im Sinn gehabt" - und profitierte von der Aufmerksamkeit, die er erregte: Seine Jeans zählten zu den begehrtesten unter den Designerjeans. Der kalkulierte Tabubruch ließ auch bei der Vermarktung seiner Unterwäsche nicht lange auf sich warten.

Nach Calvin Kleins Verständnis ist Unterwäsche mehr als die funktionale Hülle zwischen Körper und Oberbekleidung. In einem Interview mit der Los Angeles Times erklärte er 1993: "Als ich anfing, mich mit Unterwäsche zu beschäftigen, ging es mir um mehr als nur die Entscheidung für Slip oder Boxershorts. Ich dachte an den Geschäftsmann, der nach Hause kommt und seinen Anzug auszieht. Er will ein bisschen rumhängen, vielleicht etwas lesen. Und ich dachte: In Unterwäsche kann man gut rumhängen."

Weil aber Kampagnen mit Models, die in Unterhosen auf der Couch abhängen, nicht sehr ansprechend gewesen wären, ästhetisierte Calvin Klein diesen Gedanken. Und entschied sich, Menschen zu zeigen, die sich in ihrer Wäsche sexy räkeln.

Natürlich engagierte er dafür nicht irgendwelche Models. Das erste männliche Model, das Kleins Unterwäsche bewarb, war Tom Hintnaus, ein olympischer Stabhochspringer. Der Fotograf Bruce Weber inszenierte ihn an eine Mauer gelehnt, das Gesicht der griechischen Sonne zugewandt. So weit, so harmlos. Doch eigentlich ist das Bild ein sauber ausgeleuchteter crotch shot, ein Blick mitten in den Schritt des Athleten, der einzig von der weißen Unterhose abgeschirmt wird. Die sitzt ihrerseits so passgenau, dass, was die Ausstattung des Sportlers angeht, wenig der Phantasie überlassen bleibt.

Die Botschaft dieses ersten Anzeigenmotivs war klar: Unterwäsche von Calvin Klein ist nicht Kleidung, sondern Aphrodisiakum. Im Dienst dieser Botschaft fotografierten seit 1982 Modefotografen wie Bruce Weber, Herb Ritts, Steven Klein, Terry Richardson und Peter Lindbergh Supermodels wie Christy Turlington, Kate Moss, Karen Mulder, Natalia Vodianova, Markus Schenkenberg und den Rapper, der erst durch Calvin Klein zum Hollywoodstar wurde - Mark Wahlberg.

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Pornographische Posen Viele der Bildwelten, mit denen Calvin Klein für seine Wäsche warb, lösten Kritik aus: Weil sie zu offensiv sexy waren, die Posen pornographisch, homoerotisch, im Fall der jungen Brooke Shields gar Pädophilie provozierten. Seinen Kritikern begegnete Calvin Klein stets mit demselben Satz: "Ich mache Unterwäsche, damit Leute darin sexy aussehen. Wir können das besser als andere. Und weil das so ist, ist es genau das, was wir in unseren Kampagnen auf die bestmöglichste Weise zeigen: Wie sexy unsere Wäsche ist."

Dem Designer war die Kritik stets unverständlich. Vielleicht auch, weil die kreative Welt, die er schuf und schaffen ließ - und deren Umsetzung er bis aufs kleinste Detail überwachte - seine eigene Welt spiegelte.

Zu Beginn seiner Karriere ist Klein ein Fitnessfanatiker. Mit fast religiöser Motivation besucht er Fitnessstudios, stählt seinen Körper, und sieht aus wie das Vorbild der männlichen Models, die in seinen Werbekampagnen posieren. Er stammt aus einfachen Verhältnissen, wächst als Mittelkind jüdischer Eltern in der Bronx auf. Sein Vater arbeitet in einem Gemüseladen, seine Mutter als Näherin. Klein sagt, er habe bereits im Alter von fünf Jahren gewusst, was er beruflich machen wolle, wenn er erwachsen ist. Mit 26 Jahren gründet er, gemeinsam mit Geschäftspartner Barry Schwartz und einem geliehenen Startkapital von 10.000 Dollar, seine Firma Calvin Klein Ltd.

Bereits ein Jahr später, 1969, ist Klein selbst auf dem Cover der amerikanischen Vogue zu sehen, Anfang der Siebziger gewinnt er den in der Modebranche wichtigen Coty Award, dreimal in Folge.

Der Designer ist Mitte dreißig, als seine Firma einen Gewinn von dreißig Millionen Dollar pro Jahr erzielt. Seinen Erfolg feiert Klein ausgiebig, er ist Stammgast im New Yorker Studio 54, kokettiert nach dem Ende seiner ersten Ehe mit seiner sexuellen Ausrichtung, Drogen- und Alkoholexzesse werden ihm nachgesagt.

Borderline sexyness Die Calvin-Klein-Kampagnen der achtziger Jahre bilden das hedonistische Ideal der Zeit ab, an dem sich auch Klein orientierte. In den neunziger Jahren reflektieren Bilder des abgezehrten Jungmodels Kate Moss, die er als Inbegriff des heroin chic für alle Kampagnen seines Hauses nutzt, die kaputte Partykultur Amerikas, deren Teil er selber ist.

1995 geht Klein zu weit, zumindest für die konservativen US-Medien. Er engagiert Steven Meisel, um die Kampagne für seine neue Jeans-Kollektion umzusetzen. Der Fotograf, der unter anderem Madonnas Buch "Sex" fotografierte, entwirft folgendes Szenario: In einer Art Kellerraum sieht man mit einer Handkamera gefilmte männliche Teenager, die vor einer Wand sitzen, liegen oder stehen, in unterschiedlichen Stadien der Ausgezogenheit. Mal tragen sie nichts als Wäsche und eine Weste als Oberteil, mal nichts als halb aufgeknöpfte Jeans. Die Stimme eines männlichen Erwachsenen stellt Fragen aus dem Off: "Du hast einen wunderschönen Körper. Magst du deinen Körper?" - oder in einer anderen Einstellung: "Du siehst gut aus. Wie alt bist du?" Der Junge erwidert: "Einundzwanzig". Der Mann: "Wie heißt du?" Das Model: "August". "Warum stehst du nicht auf?" Der Junge steht auf und die Stimme fährt fort: "Bist du stark?" Der Junge: "Ich glaube schon." Der Mann: "Könntest du dir das Hemd vom Leib reißen?" Der Junge zieht mit beiden Händen an seinem T-Shirt - und reißt es herunter. Dabei wird sein schlanker und trainierter Oberkörper sichtbar. "Was für ein schöner Körper!", sagt die Stimme dann, "trainierst du?" Der Junge: "Ja, schon." Und wieder der Mann: "Das sehe ich."

In den Motiven der zugehörigen Printkampagne sieht man junge Mädchen in sehr kurzen Röcken, die so sitzen, dass man auf ihre blütenweiße Unterwäsche blickt. Calvin Kleins crotch shot in seiner x-ten Variation. Nur dass hier erstmals die American Family Association, verschiedene Medienanstalten und Journalisten protestierten - und zu einem Boykott derjenigen Läden aufriefen, in denen Calvin-Klein-Jeans verkauft wurden. Barbara Lippert, die Sprecherin des Magazins Adweek, kommentierte: "Es ist die eine Sache, wenn man Erwachsene zeigt, die Dinge miteinander machen, aber eine ganz andere, wenn man Kinder benutzt, um Erotik zu zeigen. Das ist eine Linie, die man nicht überschreiten darf."

Daraufhin zog Calvin Klein die gesamte Werbekampagne zurück - und schaltete anstelle der Anzeige ein Statement: "Die Idee der aktuellen Werbekampagne für Calvin-Klein-Jeans ist, dass junge Leute heute so mediengewandt, stark und unabhängig sind wie nie zuvor. Sie setzen sich klare Grenzen für das, was sie erleben oder nicht erleben wollen."

Nach diesem Vorfall wurde es ruhiger um Calvin Klein. Er selber kämpfte gegen Gerüchte, er sei an Aids erkrankt. Die borderline sexyness, die er bislang in der Werbung für seine Marke inszeniert hatte, wurde verhaltener. Als Fotograf Herb Ritts im Jahr 1997 den US-Schauspieler Antonio Sabato Junior für die Unterwäschekollektion ablichtete, war Sabato nicht mehr als ein gut trainierter Beachboy.

2002 verkaufte Calvin Klein, der in der Zwischenzeit mit diversen Entziehungskuren und Psychotherapien beschäftigt war, seine Firma an das US-amerikanische Hemdenunternehmen Phillips-Van Heusen. Oder besser gesagt, sein Imperium: In etwas mehr als dreißig Jahren hat der US-amerikanische Modedesigner, der auch als Meister des Minimal-Chic gefeiert wird, ein Lifestyle-Unternehmen geschaffen, das neben Jeans und Unterwäsche alles bietet - von High-Fashion über Parfums bis hin zu Einrichtungsgegenständen.

Doch seit sich Klein selbst aus dem Modegeschäft zurückgezogen hat, sind die Zeiten des kalkulierten Tabubruchs vorerst vorbei. Den Kampagnen mangelt es seither zwar nicht an Sexyness, wohl aber an Schärfe. Möglicherweise will man die mit rasanter Namensfindung kompensieren. Zumindest trägt die Wäsche selber einen neuen Namen. "Steel" heißt sie und das ehemals schmale Bündchen ist jetzt dreimal so breit. Auch die Aufschrift "Calvin Klein" kann man jetzt bereits von der gegenüberliegenden Straßenseite lesen.

Was auch immer sich die Werbestrategen von diesem Mehr versprochen haben: Ein Mehr an Sexappeal für die Unterhosen bringt es nicht. Daran kann auch der makellose Körper des aktuellen Testimonials, des Schauspielers Djimon Hounsou, der von Peter Lindbergh fotografiert wurde, nichts ändern.

© SZ vom 17./18.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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