Berlin Fashion Week:Macht mal halblang

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Bei Julian Zigerli trägt der Mann großzügige Prints, spart dafür aber beim Stoff. (Foto: Daniel Naupold/dpa)

Fashion Week im Weddinger Eisstadion: Kann das gut gehen? Manchmal schon: Zum Glück gibt es junge Designer wie Julian Zigerli und Tim Labenda, die mit ihren Schauen etwas Glamour verbreiten, während andere Designer Barbie-Puppen verteilen.

Von Dennis Braatz

Berlin ist nicht Mailand oder Paris, nicht London oder New York. So viel war immer klar. Doch selten lag bei der Kritik gewohnten Berliner Fashion Week so viel Missmut in der Luft wie in den vergangenen vier Tagen. Gründe gab es viele. Ein wichtiger war das neue, vom Senat verordnete Hauptquartier: Weddinger Eisstadion statt Zelt am Brandenburger Tor. Dazu Wohnmobilstellplätze und Sexshops als Kulisse für die Fotografen. Flankiert von mannshohem Bambusgestrauch, mit dem die Veranstalter optisch zu retten versuchten, was nicht zu retten war.

Viel schlimmer aber traf die Branche der Verlust von Achtland, Berlins größter Modehoffnung. Das Label ist gerade nach London umgezogen. Und als wäre das nicht genug, gab es am ersten Abend auch noch schlechte Nachrichten von der gleichzeitig stattfindenden Streetwear-Messe Bread and Butter, die ein Publikumsliebling ist. Künftig werde man nur noch im Sommer in Berlin sein, verkündete Messechef Karl-Heinz Müller. Im Winter geht es ab sofort nach Barcelona.

Nicht mal Tilda Swinton hilft

All den schlechten Nachrichten konnte auch die extra eingeflogene Schauspielerin Tilda Swinton nicht mehr entgegen wirken. Sie ziert die diesjährige Kampagne zur Fashion Week in einem Look von Haider Ackermann. Überall, wo sie gemeinsam mit dem befreundeten Modemacher aufschlug, wirkten die Fotografen wie eine wildgewordene Prügelmeute. Nach getanem Kampf ums beste Bild fragten sich dann alle gegenseitig: "Wer war'n dit?"

Schauspielerin Tilda Swinton saß in der Front Row, riss es aber nicht raus. (Foto: Clemens Bilan/Getty Images)

Doch wo Berlin selbst nicht punktete, da gaben zuletzt immerhin ein paar Berliner Designer Anlass zur Hoffnung. Allerdings eher still und leise, und fernab der deutschen Hauptstadt.

Allen voran der geborene Schweizer Julian Zigerli, 29. Vor einem halben Jahr bot ihm Giorgio Armani an, seinen Laufsteg für eine Show bei der Mailänder Männermodewoche zu nutzen. Die internationale Presse war so begeistert, dass Zigerli nun vor drei Wochen zurückkehrte, diesmal aber auf eigenen Beinen. Seine Show in Berlin war damit zwar keine Weltpremiere mehr, gut an kam sie dennoch.

Bei Julian Zigerli trägt der Mann großzügige Prints, spart aber aber beim Stoff. (Foto: Getty Images for IMG)

Karrieretypen, die surfen

Zigerlis Stilmix aus Sport- und Workwear arbeitet mit Drucken, die er von Hand mit buntem Schaum entworfen hatte. Auf dünnem Polyester leuchten sie so hell, als ob ein modernster Digitalprinter am Werk gewesen wäre. Zigerlis Männer muss man sich als toughe Karrieretypen vorstellen, die locker genug sind, am Wochenende noch surfen zu gehen. Schön wär's. "Männer sind vielschichtiger als man denkt, das haben wir lange Zeit unterschätzt. Deswegen müssen die Regeln der Herrenmode jetzt gebrochen werden", sagt er.

Für Frauen hat diese Aufgabe das Duo Augustin Teboul übernommen. Zu ihrer Präsentation in der Galerie Judin kamen Annelie Augustin und Odély Teboul direkt aus Paris. Mit ihrem mystisch-surrealistischen Stil hatten sie dort zwei Tage zuvor das europäische Finale des International Woolmark Prize gewonnen. Im März 2015 kämpfen sie nun in der Endrunde um jene Auszeichnung, die schon Karl Lagerfeld und Yves Saint Laurent zum Durchbruch verholfen hat.

Ihre Kollektion ist, wie jedes Mal, fast komplett in Schwarz gehalten. Grobmaschig gehäkelte Spitzen-Tops, die wie Spinnennetze die nackten Brüste der Models eher freilegen als bedecken, werden zu Röcken aus mattem Leder kombiniert. Dazwischen sticht ein bodenlanges Kleid mit trist-metallischem Glanz heraus. Das Ganze erinnert dann in Berlin noch am ehesten an die Couture-Schauen von Paris.

Blumenmuster mit Bondage-Elementen

Dort wird im Mai auch Schumacher einen Showroom eröffnen. Der Titel der Marke wurde vor der Expansion dafür um den Vornamen der Designerin ergänzt. Bei ihrer Show in der St.-Elisabeth-Kirche paart Dorothee Schumacher Blumenmuster mit Bondage-Elementen. Auf einigen Kleidern sitzt ein Harness aus Cotton-Blüten. Für ihre Kollektion setzen sich auch Franziska van Almsick und Frida-Gold-Sängerin Alina Süggeler so selbstverständlich ins Publikum, als wären sie nur für die Mode da - und nicht, wie oft üblich, wegen der Aufmerksamkeit.

Viel wichtiger ist aber, dass die Designerin zeigt, wie man Transparenz im nächsten Sommer richtig trägt. Nämlich im Lagen-Look, bei dem ein Oberteil mit blickdichtem Stoff unter dem transparenten Kurz-Hemdchen sitzt. Und nicht andersrum, wie bei Lala Berlin. Überhaupt sind Dorothee Schumachers knapp durchsichtige Über-Tops so gut geschnitten, dass sie auf dem Körper ihrer Trägerin zu schweben scheinen.

Über ähnlichen Erfolg bei den Frauen kann sich neuerdings auch Tim Labenda freuen. Der 28-Jährige darf sich ebenfalls schon bei den Designern mit internationalem Potenzial einreihen. Weil seine Entwürfe eine so fließend leichte Silhouette bilden, sie aber nicht gänzlich verhüllen. Die Nadelstreifen auf einer Taillenhose mit oval geschnittenen Beinen lässt er diagonal zusammenlaufen. Oder er bindet einen Strick als Gürtel zwei- oder dreimal locker um offen gelassene Seidenblusen in Aquatönen. Und zieht darüber eine schwarze Kastenjacke.

Eine Beziehung mit der Arbeit

Labendas Kollektion hat den mit 22 000 Euro dotierten Senatspreis "Start Your Fashion Business" gewonnen, weswegen der Designer nun von Würzburg nach Berlin zieht: Die Bedingung für den Preisträger ist ein erster Wohnsitz in der Hauptstadt. Vogue-Chefredakteurin Christiane Arp habe ihm dazu geraten, seine Vision zur Männermode, von der er eigentlich komme, auf Frauen anzuwenden, erklärt der Designer. "Seitdem führe ich eine Art Beziehung mit meiner Arbeit. Wir haben gute und schlechte Zeiten. Aber es fühlt sich komplett richtig an."

Und dann gibt es da noch die "andere" Fashion Week. Deren Publikum sich diesmal um Guido Maria Kretschmer schart. Der aus seinen diversen Fernsehformaten bekannte Designer präsentiert in Berlin zunächst einen für S.T.Dupont designten Kugelschreiber. "Schreibgeräte und Designer gehören ja sehr eng zusammen. Schließlich entstehen all meine Ideen, Entwürfe und Anmerkungen mit einem Schreibgerät", klärt er die verwunderte Fachpresse auf.

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Danach versetzt er das Weddinger Eisstadion in einen Ausnahmezustand. Seine Gästeliste kündigte 45 Prominente für die Front Row an, die sogleich vom gesamten Who is Who des deutschen Reality-TV in Beschlag genommen wird: Giulia Siegel, Isabel Edvardsson, Liliana Matthäus, Verona Pooth. Das Motto: Guido gucken.

Für jeden Stargast eine Barbie-Puppe

Drinnen zeigt Kretschmer dann Mode, die diese Frauen im wahren Leben nie kaufen würden. Mal weniger, mal viel zu viele Pailletten. Mal sind die Kostüme und Kleider aus Spitze, mal aus Leder oder Baumwolle, mal weit geschnitten und mal eng. "Solysombra" (Licht und Schatten) heißt die Kollektion, die etwas spießig glitzert. Danach gibt es für jeden Stargast noch eine Barbie-Puppe. Für die hat Kretschmer vor Kurzem das Outfit entworfen.

Von dieser Art Mode-Geschäft will Aysen Bitzer-Bourak nichts wissen. Sie entwirft Stücke, die Frauen da draußen wirklich wollen: bezahlbar und unkompliziert. Mit ihrem Label 0039 Italy ist die Mutter von zwei Kindern deswegen auch angetreten, um Klassiker wie die Bluse von ihrem konventionellen Image zu befreien. Aus Seide und Baumwolle, mit kleiner und großer Schluppe, aber am liebsten schön bunt bedruckt.

Neun Shops - die Berliner Dependance liegt in der Schlüterstraße - hat sie gemeinsam mit ihrem Mann Rachid im letzten Jahr eröffnet. Und zwar ohne Hilfe von Investoren. Warum sie bei so viel Erfolg selbst keine eigene Show machen will? "Weil ich Geld verdienen will, damit unser Label weiter gesund wachsen kann," sagt Bitzer-Bourak. Ein zehnminütiges Defilee, das viele Designer in Berlin jede Saison erneut einen Kredit aufnehmen lässt, bietet diese Chance natürlich niemandem.

Ironisch angehauchte Formalwear

Wie gut, dass die Stadt aber Peek & Cloppenburg hat. Die Düsseldorfer Modehauskette hatte im Vorfeld erneut den Designer for Tomorrow Award für Nachwuchsdesigner ausgerufen. Nach Marc Jacobs und Stella McCartney hatte den Jury-Vorsitz nun Tommy Hilfiger inne. Der Gewinner wird von Hilfiger ein ganzes Jahr betreut werden, erklärt John Cloppenburg vor der Show dem Publikum. Am Ende gewinnt dann ein italienischer Herrendesigner namens Matteo Lamandini. Wahrscheinlich auch, weil seine ironisch angehauchte Formalwear aus bunten Karos und strengen Schnitten am besten zum Preppy-Look von Tommy Hilfiger passe, witzeln die Gäste noch während der Verleihung.

Viel Karo in strengem Schnitt gibt es von Designer Matteo Lamandini (Foto: dpa)

Am Abend drängeln sich dann alle auf der gemeinsamen Party von Vogue und Mercedes Benz im Borchardt. Auch dort gibt es nur ein Thema: Berlin, das irgendwie ja doch ganz gute Designer hervorgebracht hat und daher am besten ohne die ganzen Diskussionen über Standortprobleme und falschen Medienrummel auskommen würde. Dann könnte Berlin nämlich einfach mal Berlin sein. Und müsse nicht wie Mailand oder Paris wirken. Ein Ende der Debatte ist trotzdem nicht in Sicht. Zur nächsten Saison soll die Fashion Week wieder umziehen: ans Brandenburger Tor.

© SZ vom 12.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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