Auto-Historie:Ein Lied von Tempo und Eleganz

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Zeugen einer Zeit, in der das Automobil noch ein Freiheitsversprechen war: Der Taschen-Verlag huldigt dem Phänomen Ferrari mit einem motorisierten Buch.

Von Thomas Steinfeld

Automobile, die gefahren werden müssen, sind von solchen, die man lediglich zu bedienen hat, leicht zu unterscheiden. Die wichtigste Anzeige auf dem Instrumentenbrett ist für erstere der Drehzahlmesser, für letztere der Tachometer. Denn der Drehzahlmesser erteilt vor allem Auskunft darüber, in welchem Maß der Motor beansprucht wird, der Tachometer hingegen ist in erster Linie ein Indiz für die Sozial- und Umweltverträglichkeit. Nun gibt es zwar immer noch Automobile mit Drehzahlmesser, und bei einem Sportwagen, einem Ferrari etwa, prangt er nach wie vor in der Mitte der Instrumententafel. Aber die Drehzahlmesser werden zunehmend zu einer nostalgischen Angelegenheit, zumal die Tachometer immer aufdringlicher werden, in Gestalt der innen auf die Windschutzscheibe projizierten Geschwindigkeitsanzeige etwa, die bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu blinken beginnt. Sie tritt dem Fahrer als Korrektiv gegenüber, und es fehlt vermutlich nicht mehr viel, bis sie ihm die Herrschaft über das Fahrzeug abnimmt, so wie es die anderen Hilfseinrichtungen auch schon latent tun. So wird der Chauffeur den anderen Passagieren in der Kabine immer ähnlicher.

Manche Autos mit einem sehr großen "Selbst" werden zu Kunstwerken

Das Wort "Automobil" besteht aus zwei Elementen, einem Wort für "selbst", nämlich "auto", und einem Wort für Bewegung, nämlich "mobil". Im selben Maße nun, wie dem Automobil das "Selbst" im engen Sinn abhandenkommt, wächst die museale Bedeutung von Fahrzeugen mit Drehzahlmessern im Allgemeinen und von selbst zu fahrenden Fahrzeugen im Besonderen.

Manche von ihnen - das sind dann die Automobile mit einem sehr großen "Selbst" - verwandeln sich gar in Kunstwerke. Das erkennt man, wie in der zeitgenössischen Kunst mittlerweile üblich, zuallererst an ihrem Preis: Für einen Ferrari 250 Europa GT, eines der schönsten Coupés, die dieser Hersteller je baute (was auch heißt: eines der schönsten Coupés, die es je gab), sind mehr als zwei Millionen Euro zu zahlen. Im vergangenen Winter erzielte ein etwas später entstandenes Exemplar der amerikanischen Variante dieses Fahrzeugs gar einen Preis von mehr als fünfzehn Millionen Euro. Mit Fahren im praktischen Sinn haben solche Summen nichts zu tun. Umso mehr aber damit, dass sie der Erinnerung an das Fahren einen Wert verleihen, gesteigert durch ein Bewusstsein von Schönheit und unwiederbringlicher Besonderheit - und durch die Kraft der Spekulation.

Der Verlag Taschen in Köln, eine der wichtigsten Agenturen zur Überhöhung von Alltagsgegenständen zur Kunst, hat daraus die Konsequenz gezogen: Er veröffentlicht in wenigen Wochen ein im Wesentlichen aus Fotografien bestehendes Buch mit dem schlichten Titel "Ferrari", das der Geschichte der Firma gewidmet ist.

Selbstverständlich ist dieses Werk in Leder gebunden, im "Rosso Corsa", in dem traditionell von italienischen Rennteams benutzten Rot, das zuletzt die Signalfarbe eben dieses Unternehmens wurde. Aber nicht genug damit, dass dieses Buch einen Einband hat: Verwahrt wird es in einer Box, die, einem Einfall des australischen Designers Marc Newson folgend, die Gestalt der beiden roten Ventildeckel eines Zwölfzylindermotors besitzt - zum Preis eines Satzes Reifen auf originalen Felgen, nämlich 5000 Euro. Und als wäre auch dieser Aufwand noch nicht hoch genug, gibt es diese Box auch auf ein Pult montiert zu kaufen, dessen Beine verchromten Abgaskrümmern gleichen. Dieser Schrein kostet dann so viel (genau gesagt: 25 000 Euro) wie ein gebrauchter Austauschmotor für einen Ferrari 458 Italia mit 570 Pferdestärken, einschließlich kleiner Gebrauchsspuren. Es ist die Form der Präsentation, die den Bildband zur Reliquie erhöht. Was auch bedeutet, dass für die Teilhabe an einem Wunder kein Preis hoch genug sein kann.

Dass ausgerechnet Ferrari zum Gegenstand eines solchen Kultes wird, mag viele Gründe haben, worunter das Marketing der Marke gewiss nicht der unwichtigste ist. Zugleich aber gibt es keinen Hersteller von Automobilen, der so wie Ferrari über den Motor zu definieren ist - deshalb gibt es bei Modena gleich zwei Museen, die Ferrari gewidmet sind. Das eine, auf dem Werksgelände in Maranello gelegen, gilt eher den Fahrzeugen selbst. Das andere aber, in der Stadt untergebracht, dokumentiert die Ingenieursleistungen des Firmengründers Enzo Ferrari und zeigt vor allem Motoren: etwa die kleinen Sechszylinder, wie sie in den Sechziger- und Siebzigerjahren im Dino eingebaut wurden. Oder die Achtzylinder, wie sie zum Ferrari 360 aus den ersten Jahren des neuen Jahrtausends gehören, dem bislang meistverkauften Modell der Marke. Und dann natürlich die vielen Zwölfzylinder, die von vornherein zu diesem Unternehmen gehörten, vom Ferrari 125, einem kleinen, eher erfolglosen Rennwagen aus dem Jahr 1947, mit dem die Geschichte der Firma begann, bis hin zum Ferrari LaFerrari (seit 2013), der, was ein Akt geradezu poetischer Übersteigerung sein muss, fast tausend Pferdestärken besitzt und den es dennoch für kurze Zeit sogar in einer offenen Version gab. Für das Buch entsprechend wichtig sind die Rennen, an denen Ferrari teilnahm.

Die Frage ist jedoch, ob es nicht andere Kriterien als die mechanische Perfektion des Motors gibt, denen das selbst gefahrene Automobil seinen Aufstieg zum Kunstwerk verdankt. Um diese anderen Kriterien zu beschreiben, würde man heute vermutlich das Wort "Design" benutzen. Doch ist der gestalterische Wille, der einem Ferrari 250 California Spyder in den späten Fünfzigern oder frühen Sechzigern die Form verlieh, etwas anderes als "Design". Letzteres unterstellt eine Freiheit der Gestaltung, die für ein Blechkleid, das möglichst eng und möglichst elegant an eine vorhandene Technik anzupassen war, und zwar nicht mit einer mechanischen Presse, sondern mit Fäusten, Dollys und Hämmern, unmöglich gegolten haben kann. Das Gegebene und Notwendige so zu formen, dass ein ebenso sportliches wie harmonisches Gesicht (alle Automobile sind anthropomorph, seitdem sie nicht mehr Kutschen nachgebildet werden) dabei herauskommt, dass eine lange Schnauze und muskulöse Flanken herausgebildet werden und dass sogar das Heck noch einen eleganten Eindruck macht (wer schaut schon dem eigenen Automobil hinterher?) - das ist keine Frage des "Designs", sondern einer konsequenten Herausarbeitung des Möglichen. Es gibt deshalb keine schönere Fotografie in diesem Buch als das Bild des jungen Alain Delon, wie er, mit Shirley MacLaine auf dem Beifahrersitz, sein Cabriolet zurücksetzt: Da fährt ein umsichtiger Mensch ein wunderbares Automobil, mehr nicht.

Wenn das Fahren, im Unterschied zum Bedienen, eine vergangene Technik ist, so gilt Ähnliches für die Fertigung. Zwar werden Ferraris noch immer in relativ kleinen Serien gefertigt. Mit der Folge, dass die Registratur der Modelle und Bauweisen bei diesem Hersteller länger ist, als das bei einem großen Produzenten je der Fall wäre. Doch werden auch diese Fahrzeuge schon lange nicht mehr im emphatischen Sinn gebaut, wie es bei den frühen Typen geschah, sondern, um es ein wenig übertrieben auszudrücken, beim Roboter in Auftrag gegeben, so wie alle anderen Automobile auch.

Selbstverständlich sind die neuen Fahrzeuge den alten weit überlegen, in der Leistung, in der Verkehrssicherheit, aber auch im Hinblick auf Bedienung und Wartungsbedarf. Und selbstverständlich tragen diese neuen Fahrzeuge heute Blechkleider, die in der Freiheit des Entwurfs alles hinter sich lassen, was einst Gegenstand eines Kunsthandwerks gewesen war. Was daraus entsteht, ist allerdings viel weniger Automobil, wörtlich verstanden. Umso mehr ist es eine Fiktion, weniger ein Fahrzeug als das Symbol eines Fahrzeugs. Dass zwei symbolisch nachgebildete Ventildeckel ein Bilderbuch umschließen, erscheint nun als beinahe notwendige Konsequenz dieser Entwicklung.

Wenn alle in Bewegung sind, kommt keiner mehr voran

In der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft spielt das Automobil eine herausgehobene Rolle: Es war das bevorzugte Organ der Freiheit. Es beförderte seinen Besitzer über große Entfernung. Es fuhr, wohin er wollte und so weit das Straßennetz reichte. Diese Freiheit erschien umso größer, je weniger Gründe es für diese Bewegungen gab - und auch: für die Geschwindigkeiten, mit der diese Bewegungen vollzogen wurden. Diese Freiheit bestand in lauter Akten der Verschwendung, und zu diesen Verschwendungen gehörte nicht zuletzt das Automobil selbst, mit seinen obenliegenden Nockenwellen, mit einzeln aufgehängten Rädern und sechs Doppelvergasern (so etwa der Ferrari 275 P. aus dem Jahr 1964). Die Freiheit, die das Automobil gewährte, war deswegen immer schon über alles hinaus, was sie konkret sein konnte. Sie war immer schon abstrakt, was sich vielleicht ertragen ließ, solange die Straßen noch frei waren. In einer Welt, in der jeder Bürger mobil ist, gibt es eine solche Freiheit nicht mehr: Wenn alle in Bewegung sind, kommt keiner mehr voran. Das Automobil, das selbst gefahrene Fahrzeug, ist deshalb an eine historische Frist gebunden, die, streng betrachtet, schon vor geraumer Zeit zu Ende ging.

Der Rest ist Erinnerung, Eigensinn, Poesie, Museum oder Kunst.

© SZ vom 14.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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