Alte Meister:Botticelli-Boom

Lesezeit: 3 min

Die Alte Pinakothek in München zeigt Gemälde aus Florenz. Und hat Filippo Lippis Jüngling umgestylt. (Foto: Alte Pinakothek)

Victoria Beckham posiert vor Renaissance-Gemälden, die Mode huldigt barocker Opulenz: Warum Kunst aus vergangenen Jahrhunderten auf einmal cool ist.

Von Anne Goebel

Neulich hat Victoria Beckham, 44, bei einem Fotoshooting mal wieder gekonnt ihr Profil gezeigt. Leichte Drehung des Kopfes, Stupsnase, Schmollmund, alles tipptopp wie in der goldenen Spicegirl-Ära. Aber das Fräulein im Hintergrund mit edlen Zügen und Haut wie Alabaster war trotzdem schöner. Und beneidenswert faltenfrei seit fünf Jahrhunderten.

Posh Spice posiert für das Auktionshaus Sotheby's vor einem echten Leonardo da Vinci: Das war natürlich ein Traumtermin für die PR-Abteilungen. Dass es sich bei dem Gemälde "Portrait of a Lady in Profile" nur um das Werk eines Leonardo-Schülers handelt, ging ein wenig unter. Doch das entscheidende Signal kam an: Alte Kunst heißt nur so, ist aber neuerdings hip. Zur Untermauerung trug Beckham ein moosgrünes Seidenkleid mit Rückenausschnitt bis zum Lendenwirbel. Das Foto brachte auf Instagram 192 000 Likes. Der Schein-Leonardo ging für mehr als eine halbe Million Euro weg.

Seit wann genau Werke aus Renaissance oder Barock so geschmeidig mit dem Zeitgeist harmonieren, ist nicht ganz leicht zu sagen. Keusche Madonnen, Herrscher zu Pferd, so was passte früher jedenfalls eher zu Religionslehrerinnen oder psychopathischen Filmschurken. Dann verkaufte vor einem Jahr Christie's in Manhattan einen "Christus als Weltenretter" von 1500 - bei einer Auktion mit zeitgenössischen Objekten. Spitze Schreie der Begeisterung in der Kunstwelt. Prompt folgte die Diagnose der New York Times: "Celebrities Love Old Masters". Ein Botticelli-Post aus den Uffizien ist jetzt mindestens so schick wie einer von der Front Row bei Celine.

Was die Mode betrifft, so war der Boden längst bereitet für die Lust am Historischen. Seit der Regentschaft von Alessandro Michele bei Gucci wirken die Kollektionen des einflussreichsten Labels unserer Zeit wie Kostümbotschaften aus der Vergangenheit: Schnallenschuhe, blumig gemusterte Gehröcke, Rüschenblusen für Männer. Hauptsache opulent, und dieser Grundstimmung entspricht ein Caravaggio eben besser als Oskar Schlemmer.

Scandi-Style? Ist auf Dauer sehr karg - die Alten Meister stehen für Farbe und Sinnlichkeit

Auf den Laufstegen der anderen sind Micheles eklektische Beutezüge rasch kopiert worden, schließlich schrauben sie die Umsätze äußerst eindrucksvoll nach oben. Also sah man spitz zulaufende Tudor-Mieder bei Chanel. Höfische Halskrausen bei Viktor und Rolf. Perlenbesetztes bei Joseph Altuzarra. Anders gesagt: ein bisschen Hans Holbein hier, etwas Tizian dort. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis die Kunstwerke selbst ihr modriges Image loswerden. In den eigenen vier Wänden braucht es kein Original zu sein, Poster oder Kissen mit Barockmotiven reicht. Weil der anämische Minimalismus des Scandi-Style auf Dauer ja doch ermüdend ist. Die Altmeister bieten stattdessen: satte Farben, quellende Stoffe, üppige Haartracht.

Für Sammler ist alte Kunst eine neue Spielwiese, die Abwechslung in den eigenen Bestand bringt. Und die Möglichkeit bietet, sich mit persönlichen Akzenten vom gängigen Kanon abzusetzen. Das schmeichelt der Eitelkeit. Der Markt wird seit Jahren dominiert von zeitgenössischen Superstar-Künstlern, ohne die keine ernst gemeinte Kollektion auskommt. Cindy Sherman, Jeff Koons: Wer davon schon genug an den Wänden hängen hat, verleiht seinem Privatmuseum mit einem flämischen Höfling oder einer Quattrocento-Schönheit aus Umbrien neuen Twist. Auch historisches Mobiliar oder Porzellan kann in wohldosierten Einzelstücken Gegenwartskunst effektvoll in Szene setzen. Womit man wieder bei Meister Michele wäre: Die aktuelle Gucci-Kampagne zeigt zwei bestrumpfte Frauenbeine auf einem Tisch mit verschnörkeltem Prunkgeschirr.

Diese Entwicklung ist für Kunsthändler ein Segen. Werke aus lang vergangenen Epochen europäischer Kunst machten 2017 nur sieben Prozent bei den weltweiten Auktionen aus. Da ist noch mehr drin. Carlo Milano, Gründer von Callisto Fine Arts im edlen Londoner Viertel Mayfair, wünscht sich weniger Ehrfurcht. Man müsse die "Aura von Distanziertheit" loswerden, die alter Kunst anhafte. Milano gefiel daher die Idee von Sotheby's und Victoria Beckham, in deren Modeboutique eine kleine Auktion steigen zu lassen, unter anderem mit dem Porträt der hellhäutigen Edeldame. Allerdings sind solche Paarungen eine Gratwanderung. Sotheby's Mitteilung, die Designerin und Fußballergattin habe die Auswahl der Gemälde "kuratiert", dürfte den einen oder anderen sachkundigen Klienten eher beunruhigt haben.

Museen wie der Louvre oder die Uffizien können sich nicht mehr einfach auf ihrem kostbaren Bestand ausruhen. Mit aufgefrischten Webseiten und Ausstellungen geben sich die ehrwürdigen Häuser verjüngt. In Florenz untersucht etwa die Installation "Grand Tourism", wie Smartphones die Wahrnehmung von Botticellis ikonischen Werken verändern (nicht zum Besten). Dass Jay Z und Beyoncé den Videoclip zu ihrem Song "Apeshit" vor einem halben Jahr im Louvre aufgenommen haben, war ein echter Coup: Die Power-Influencer vor der Mona Lisa, mehr Nahbarkeit geht nicht.

Das ist die Marke, an der sich jetzt andere Museen messen lassen müssen. Der Flirt zwischen Lifestyle und hoher Kunst scheint jedenfalls beflügelnd zu wirken. Die Alte Pinakothek in München wirbt für ihre neue Schau Florentinischer Gemälde mit einem jungen Sonnenbrillenträger, die verspiegelten Gläser reflektieren die berühmten Kuppeln der Stadt. Wobei, so jung ist er gar nicht. Sondern 540 Jahre alt, gemalt von Filippo Lippi. Aber sehr cool.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: