Zweite Liga:Kiezkicker im Nacken

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Hinrunden-Erster der zweiten Bundesliga ist der Hamburger SV, der FC St.Pauli folgt auf Platz vier.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

An den Zuschauerzahlen kann man in Hamburg normalerweise kaum erkennen, ob dort gerade guter oder gruseliger Fußball gespielt wird. Selbst in den schlimmsten Erstliga-Zeiten des HSV sank die Zahl der leidensfähigen Fans selten unter 50 000. Und doch sagt es etwas aus, dass im Volksparkstadion auch in Liga zwei fast die gleiche Zahl an Unterstützern dabei ist - und dass der FC St. Pauli beim 2:0 über Greuther Fürth zum siebten Mal in dieser Saison ein ausverkauftes Millerntorstadion mit 29 546 Besuchern vermelden konnte. Das hat zumindest ein bisschen auch damit zu tun, dass derzeit ein besserer Fußball in der Hansestadt gespielt wird als zuletzt.

Am Freitag wurde der HSV mit einem 2:1 beim MSV Duisburg vorzeitig Herbstmeister. Es war der siebte Sieg im achten Auswärtsspiel bei einem Remis. Das ist ein Rekord in dieser Spielklasse, der die Heimblamagen gegen Kiel (0:3) und Regensburg (0:5) als Missgeschicke erscheinen lässt. Und mit Trainer Hannes Wolf bleibt der HSV unbesiegt. Selbst der 1. FC Köln kann mit einem Sieg gegen Magdeburg zum Abschluss der Hinrunde am Montag nicht mehr rankommen. St. Pauli wiederum ist punktgleich mit dem Tabellendritten Union Berlin, der beim 2:0 gegen Bochum auch das 17. Vorrunden-Spiel ohne Niederlage überstand. Das schaffte ansonsten im deutschen Profifußball nur Dortmund.

Grüße vom Kiez: St. Pauli-Trainer Markus Kauczinski. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Das heißt: Neben den großen Favoriten HSV und Köln rangeln vor allem der Lokalrivale St. Pauli und der zweite Berliner Klub Union um die begehrten Aufstiegsplätze. Hamburg bestätigte damit an diesem Wochenende seinen neuen Ruf als "Fußball-Hauptstadt", wenn auch eine Klasse tiefer als es der ehrwürdige ehemalige Europapokalsieger HSV gern hätte.

HSV-Stürmer Arp schickt unhöfliche Grüße ans Millerntor

Anders als der HSV, der nach jahrelangem Abstiegskampf in Liga eins "das Siegen erst wieder lernen musste", wie Sportvorstand Ralf Becker zuletzt philosophierte, ist das Auf und Ab für die Profis vom Kiez alltäglich. 2015 und im Frühling 2018 ging es für St. Pauli nur darum, den Sturz in die dritte Liga zu verhindern, dazwischen schnupperte man schon mal an den Bundesliga-Aufstiegsplätzen. Und selbst in dieser Saison gab es nach drei Niederlagen in den ersten fünf Spielen schon Zweifel an Trainer Markus Kauczinski. Inzwischen wurde der Vertrag des gebürtigen Gelsenkircheners um ein Jahr verlängert.

Kauczinski profitiert davon, dass er das Team nicht nur sehr fit gemacht hat, es ist auch eine sehr eingespielte Gruppe. Bis auf den kampfstarken Marvin Knoll (Regensburg) im Mittelfeld und den Stürmerriesen Henk Veerman, der vom niederländischen SC Heerenveen kam, ist das St. Pauli-Team schon länger zusammen. Und je mehr Erfolge zu feiern sind, desto deutlicher wird, wie viele gute Fußballer mit möglichem Erstliga-Niveau im braunweißen Dress spielen: zum Beispiel Mats Möller-Daehli, dem allein das Tor-Gen fehlt, Jeremy Dudziak, der einst in Dortmund geformt wurde, oder der beim FC Arsenal ausgebildete Japaner Rio Miyaichi, der nach seinem Kreuzbandriss endlich gesund ist und gegen Fürth das 2:0 erzielte. Auch Christopher Buchtmann (derzeit verletzt) oder die Verteidiger Christopher Avevor und Philipp Ziereis zählen zu diesem Kreis.

Ungeschlagen mit dem Hamburger SV: Trainer Hannes Wolf. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Je mehr sich der HSV und St. Pauli wieder auf ähnlichem Niveau bewegen, desto mehr Frotzeleien gibt es auch. Zwar gibt es vorerst keine neuen T-Shirts wie 2011, als der Außenseiter vom Kiez seinen 1:0-Sieg im Volksparkstadion mit dem Aufdruck "Derbysieger" unters Volk brachte. Aber der wenig geschmackvolle Beitrag des HSV-Talents Jann-Fiete Arp, der dem Nachbarn übers Internet ein "Fuck FCSP" zurief, verschärfte die Rivalität wieder. Die beiden Niederländer van Drongelen (HSV) und Veerman (Pauli) haben zwar Kontakt, doch Veerman spottete, sein Landsmann spiele ja für den anderen Hamburger Klub - das sei "sein Pech, nicht meines". Und als St. Paulis Präsident Oke Göttlich gefragt wurde, was er gerne vom anderen Klub hätte, sagte er: die Punkte - aber der HSV dürfte sich vermutlich "unsere positiven wirtschaftlichen Bilanzen wünschen".

Die Finanzen bleiben das große HSV-Problem, auch wenn Vorstandschef Bernd Hoffmann kürzlich verkündete, man sei dabei "den HSV aus der Intensivstation zu führen". Vermutlich ist die Auffrischung der zwischendurch abgekühlten Kontakte zu Anteilseigner Klaus-Michael Kühne immer noch lebensnotwendig, um die Lizenz zu bekommen. Beim FC St. Pauli versucht man sich dagegen mit einem Stück Sozialismus im kapitalistischen Profifußball. Man möchte mit einer Genossenschaft Geld einsammeln, um zumindest einen kleinen Ausgleich zu schaffen gegenüber jenen Vereinen, die Investoren haben oder den Stadionnamen verkaufen.

© SZ vom 17.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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