Rückrunde:Kieler Kredo

Lesezeit: 3 min

Er liebt es, wenn seine Mannschaft den Ball hat: Kiels Trainer Markus Anfang ist ein Verfechter von konstruktiv gestaltetem Fußball. (Foto: Carsten Rehder/dpa)

Holstein-Trainer Markus Anfang fordert von seiner Mannschaft einfach nur "guten Fußball" - doch auch die Ergebnisse sind erstaunlich.

Von Jörg Marwedel, Kiel

Es war das sechste Spiel hintereinander ohne Sieg, dieses 2:2 gegen Union Berlin am Dienstagabend zum Jahresauftakt 2018 in der zweiten Bundesliga. Holstein Kiel gab daheim einen Zwei-Tore-Vorsprung aus der Hand. Trotzdem war Trainer Markus Anfang mal wieder "mächtig stolz auf die Jungs". So, wie er es auch nach der 3:4-Niederlage im Hinspiel in Berlin gewesen war, als man "überragend" gespielt habe und bundesweit Anerkennung einheimste. Und das Verrückte ist: Der Aufsteiger und Herbstmeister aus Schleswig-Holstein kletterte trotz zuletzt fünf Unentschieden und einer Niederlage zumindest für 24 Stunden wieder auf Rang eins.

Markus Anfang, 43, arbeitet, wie er sagt, "nicht für das Ergebnis, sondern für guten Fußball". Und wenn guter Fußball gespielt werde, stimmen irgendwann auch die Ergebnisse. Das ist seine Maxime.

Dafür hat er im Trainingslager im spanischen La Manga viele neue taktische Dinge eingeübt. Manchmal ist er dabei etwas lauter geworden, oder wie er sagt: Es komme auch auf "die Betonung" an, wenn man den Jungs etwas eintrichtern wolle; man müsse sich ständig weiterentwickeln. Denn Anfang ist sicher, dass die Gegner sein Team inzwischen genau studiert haben und den vorneweg marschierenden Aufsteiger jetzt extrem ernst nehmen.

Genau wie ihn, den Trainer. Der in Köln geborene Anfang, der als Mittelfeldspieler beim FC Tirol Innsbruck als dreimaliger österreichischer Meister seine größten Erfolge feierte, galt schon im Spätherbst als neue, frische Aktie auf dem Trainermarkt. Sein Name wurde besonders beim 1. FC Köln und in Hoffenheim gespielt. Und bei aller Freude darüber, wie gut er derzeit mit seinen Profis zusammenarbeitet, ist er ziemlich sicher, dass das derzeit so wunderbar harmonierende Team bald wieder Mitglieder verlieren wird.

Für den in Leverkusen ausgebildeten Spielmacher Dominick Drexler interessieren sich andere Vereine, ebenso für Kingsley Schindler oder Alexander Mühling. Und um die ausgeliehenen Profis wie Torjäger Marvin Duksch (St. Pauli), Tom Weilandt (Bochum) und den U21-Nationalspieler Aaron Seydel (Mainz) müsste Kiel kämpfen, um sie vielleicht von ihren alten Klubs ganz loszueisen. "Jeder Spieler hat seine eigene Karriere", betont Anfang. Wenn jemand weggehe, müsse man das "akzeptieren" und sehen, dass man von seiner Aufwärtsentwicklung profitiert habe: "Jeder will das Beste aus seiner Karriere machen", sagt Anfang. Das hätte er auch über sich sagen können. Auch sein Weg als Profi-Trainer hat ja erst begonnen.

Bei seinem ersten Job als Coach übernahm Anfang 2010 den Sechstligaklub SC Kapellen-Erft - in wenigen Wochen formte er dort aus einer klassischen Kontermannschaft eine Ballbesitzmannschaft. Am Anfang gab es schlechte Ergebnisse, doch 2012 stieg das Team in die Oberliga Niederrhein auf. Auch als Nachwuchstrainer bei Bayer Leverkusen hat Anfang Ballbesitzfußball und Teamgeist gelehrt, was 2016 mit dem deutschen Meistertitel für die U17 belohnt wurde.

"Fußball", sagt er, "ist ein Geschäft, in dem oft die Menschlichkeit verloren gehen kann." Umso wichtiger sei es, dass die Spieler sich bei ihm geborgen fühlen und täglich mit Spaß zur Arbeit kommen. Spaß sei leistungsfördernd, findet Anfang.

Auch den SC Kapellen-Erft formte er zu einer Ballbesitzmannschaft

Bei ihm gibt es keine Fehler - nur einen, und das sei der Unterlassungsfehler, nichts zu probieren, so trichtert er es seinen Profis immer wieder ein. Soll heißen: Wer nichts wagt, kann auch seine Qualitäten nicht richtig einbringen. Und weil Anfang den Spielern die Möglichkeit gibt, selbst Entscheidungen auf dem Platz zu treffen, hat Kiel bisher die meisten Chancen in der Liga herausgespielt.

Das Wort "Kollektiv" hat für Markus Anfang keinen negativen Klang. Damit ist ja auch verbunden, dass die Gruppe Ansprüche an jeden stellt. Mancher Spieler sei schon mal als Individualist vom Wege abgekommen, hat der Trainer beobachtet. "Aber wenn mal jemand abgedriftet ist", sagt Dominick Drexler, habe der Trainer "ihn schnell wieder auf den Teamgedanken eingeschworen". Bei diesem Punkt ist Anfang sehr empfindlich. Drexler, der als junger Bursche in Leverkusen unter Jupp Heynckes mit Größen wie Arturo Vidal und Toni Kroos trainierte, sagt: "Es ist ein Glück, den richtigen Trainer zu haben." Sein Spielstil passe perfekt zum Team.

Und auch Anfangs Art. Denn ganz offensichtlich ist der Holstein-Trainer ein guter Psychologe. Das hat womöglich auch damit zu tun, dass er als Profi alle Seiten kennen gelernt hat. Er war Meister und Pokalsieger, ist aber beim 1. FC Kaiserslautern auch suspendiert worden - und weiß bis heute nicht, warum; das sei "sehr hart" gewesen. Dass er sich in Spieler hinein fühlen kann, deren Karriere holprig angelaufen war, ist auch nicht von Nachteil.

Und Anfang kennt keine Angst. Das klassische Ziel eines Aufstiegstrainers, nämlich den Klassenerhalt, lehnte er zu Saisonbeginn ab wie ein Lehrer, der die Note Vier als nicht ausreichend ansieht: "Das mag als Aufsteiger arrogant klingen, aber man darf nicht in Spiele gehen, nur um Niederlagen zu verhindern", begründete er die offensive Einstellung. Man müsse in jede Partie mit der Überzeugung gehen, gewinnen zu wollen, so einfach sieht das Anfang.

Inzwischen gibt es in Kiel schon Leute, die meinen, Holstein könne etwas verlieren, wenn es am Ende nicht für einen Aufstiegsplatz reichen würde. Anfang setzt dem seine Philosophie entgegen: "Wir beurteilen die Saison nur danach, wie wir uns auf dem Platz präsentiert haben. Wenn wir gute Spiele abliefern, werden wir uns auch mit guten Ergebnissen belohnen." Egal, ob das im Mai der Aufstieg in die Bundesliga ist - oder nicht.

© SZ vom 25.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: