Zuschauerdebatte im Fußball:Kurioses auf den Rängen

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Das Finale des Sachsenpokals zwischen dem FC Eilenburg und dem Chemnitzer FC fand am 22. August vor 1000 Zuschauern statt. (Foto: opokupix/imago)

Die Bundesliga soll erst im November wieder vor Fans spielen dürfen, und auch die knapper werdenden Testkapazitäten könnten zum Problem werden.

Von Martin Schneider, München

Um zu verdeutlichen, wie sehr es gerade bei so scheinbar einfachen Fragen wie "Zuschauer: Ja oder Nein?" auf die Perspektive und den Kontext ankommt, hier zwei Meldungen, die in den vergangenen Tagen kurz nacheinander über die Nachrichtenagenturen liefen und beide vollkommen korrekt sind.

Erste Meldung: "Fußball-Bundesliga bis Ende Oktober vor leeren Rängen."

Zweite Meldung: "Bundesligist Union Berlin plant Testspiel vor 5000 Zuschauern."

Es ist schwer geworden, in Deutschland, wo jedes Bundesland unterschiedliche Corona-Fallzahlen und darum unterschiedliche Regelungen hat, durchzublicken. Das gilt auch für die Frage, ob und unter welchen Bedingungen jemand bei Sportveranstaltungen zuschauen darf oder nicht.

Um Klarheit zu schaffen, trafen sich am Donnerstag die Ministerpräsidenten und die Bundesregierung. Heraus kamen in Bezug auf Publikum im Sport in der Abschlusserklärung aber nur zwei Sätze: "Großveranstaltungen, bei denen eine Kontaktverfolgung und die Einhaltung von Hygieneregelungen nicht möglich ist, sollen mindestens bis Ende Dezember 2020 nicht stattfinden." Und: "Zum einheitlichen Umgang mit Zuschauern bei bundesweiten Sportveranstaltungen wird eine Arbeitsgruppe auf Ebene der Chefs der Staatskanzleien eingesetzt, die bis Ende Oktober einen Vorschlag vorlegen soll." Dazu gab es noch ein paar Aussagen von Markus Söder (CSU), Ministerpräsident Bayerns und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Zuschauer in der Bundesliga seien in der aktuellen Lage das "falsche Signal", sagte er. Man müsse "auf Sicht" fahren.

Nun interpretiert im Prinzip jeder Verein, jeder Verband und jeder Politiker diese niedergeschriebenen zwei Sätze. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) etwa freut sich über die Einschränkung, dass Großveranstaltungen mit Kontaktverfolgung und Hygieneregeln erlaubt sind - und bereitet sich auf eine Rückkehr zum 1. November vor. Der 1. FC Union Berlin dagegen bezieht sich auf den Passus der "bundesweiten Sportveranstaltungen" - ein Testspiel gegen Nürnberg ist das offenbar nicht - und vor allem auf den Beschluss des Berliner Senats, der Sportveranstaltung vom 1. September an mit bis zu 5000 Zuschauern erlaubt. Jedes Bundesland hat da derzeit andere Regelungen.

In Baden-Württemberg sind bis zu 500 Zuschauer gestattet, in Bayern keine, in Sachsen sind Großveranstaltungen vom 1. September an grundsätzlich erlaubt, wenn die Zahl der Neuinfektionen unter dem Wert 20 über sieben Tage bei 100 000 Einwohnern liegt (was im Moment der Fall ist) und der Veranstalter ein Hygienekonzept und Kontaktverfolgung gewährleisten kann. Je nachdem wie das Konzept aussieht, könnten so sogar mehr als 5000 Zuschauer ins Leipziger Zentralstadion. Der Hamburger Innensenator sagte dem Hamburger Abendblatt, beim Tennisturnier am Rothenbaum könnten 1000 Besucher zugelassen werden. Das Turnier findet Ende September statt: Dann könnte man sich Tennis im Stadion angucken, Spiele des HSV und des FC St. Pauli aber nicht.

Die aktuelle Beschlusslage lässt also theoretisch kurioseste Situationen zu - auch, dass beim Amateurfußball mehr Zuschauer erlaubt sein könnten als beim Profifußball. Und dann hat man noch nicht nach Europa geguckt. In Frankreich, wo sich aktuell 7000 Menschen pro Tag mit dem Coronavirus infizieren (in Deutschland knapp 1400), sind zum Beispiel 5000 Zuschauer pro Sportwettkampf zugelassen. Am 3. September trifft sich die DFL zur außerordentlichen Mitgliederversammlung, dabei soll ein aktualisiertes Hygienekonzept verabschiedet werden, auch die Rückkehr von Zuschauern wird sicher ein Thema sein.

Möglicherweise kommt auf die Liga aber ein zweites Problem zu. DFL-Chef Christian Seifert hatte in Pressekonferenzen betont, dass der Fußball keine Testkapazitäten beanspruchen würde, die anderweitig gebraucht werden. Nun kommen aber Labore in manchen Bundesländern an ihre Grenzen. So teilten die Akkreditierten Labore der Medizin (ALM) mit, in manchen Bundesländern Spitzenauslastungen von mehr als 100 Prozent zu haben. Auch die Tests der Bundesliga werden in ALM-Laboren ausgewertet. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci sagte etwa vor ein paar Tagen, in der Hauptstadt seien die Kapazitäten nahezu ausgeschöpft.

Helfen könnte der Bundesliga der Terminplan. Denn der Hauptgrund für die Laborauslastung sind vor allem Reiserückkehrer. Zum Bundesligastart am 18. September wären die Sommerferien aber in allen Bundesländern beendet. Die DFL teilte schon vor ein paar Tagen in einer Mitteilung mit: "Auf Basis der Erfahrungen aus der vergangenen Saison geht die DFL bei hohem oder mittlerem Pandemie-Level von 3600 Tests pro Woche in der Bundesliga und 2. Bundesliga aus. Dies entspricht einem Anteil von weniger als 0,3 Prozent an den wöchentlichen Kapazitäten von 1 267 655 Tests, die laut Robert-Koch-Institut in der vergangenen Woche zur Verfügung standen." Bei einem niedrigen Pandemie-Level könne man allerdings auch eine sogenannte Pool-Testung vornehmen: Dabei würden mehrere Tests zusammen ausgewertet und nur für den Fall, dass ein positiver Test darunter sei, jede Probe noch mal einzeln analysiert. Das würde Kapazitäten schonen.

© SZ vom 31.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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