Zehnkampf:Der junge König

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Man hatte Niklas Kaul vieles zugetraut, aber Weltmeister? Das nicht. Über einen Frühvollendeten.

Von Johannes Knuth

Christopher Hallmann hatte es schon geahnt. Er musste nicht mit Niklas Kaul reden, musste ihm nicht in die Augen blicken oder sonstige Vitalparameter des 21-Jährigen überprüfen. Er habe einfach zugeschaut, erzählte der Bundestrainer später, wie Kaul sich die Schuhe anzog, bevor der junge Zehnkämpfer bei den Leichtathletik- Weltmeisterschaften in Doha in den zweiten Wettkampftag aufbrach. "Da wusste ich", sagte Hallmann: "Er ist heute da."

Die Zehnkämpfer von heute, erklärt Hallmann, bewegen sich geschmeidiger, "wie Großkatzen, wie Panther oder Tiger". Früher, da sei der muskelbepackte Alleskönner "eher mit der Brechstange gekommen, das hat sich zum Eleganten verändert". Niklas Kaul, der sich in Doha geschmeidig zum neuen Weltmeister kürte mit persönlicher Bestleistung von 8691 Punkten, ist nun auf einmal eines der bekanntesten Gesichter dieser Spezies. Jüngster Weltmeister in der Geschichte des Zehnkampfs, erster deutscher Titelträger seit 1987, als der Schweriner Torsten Voss im DDR-Trikot gewann.

"Weltmeister wird man meist nur ein Mal im Leben", sagte Zehnkämpfer Niklas Kaul, 21, nach seinem Sieg bei der Leichtathletik-WM in Doha. Hier ist er beim Speerwurf zu sehen. (Foto: Antonin Thuillier/AFP)

Es gibt Erfolge im Sport, die stechen heraus, weil sie den Zauber des Anfangs in sich tragen. Und es gibt Triumphe, die die halbe Welt von einem Athleten erwartet und deshalb genauso prachtvoll funkeln. Kaul vermischte in Doha beides. Wo er war, da war schon immer der Erfolg, mit je zwei Weltmeistertiteln und EM-Goldmedaillen in den Nachwuchsklassen. Andererseits hatten ihm zwar manche bei seiner ersten WM bei den Erwachsenen eine Medaille zugetraut, aber Weltmeister - das wird man meist mit der Kraft der Routine. Als Kaul in Doha nach dem abschließenden 1500-m-Lauf auf der Bahn hockte, ein ungläubiges Lächeln im Gesicht, hatte es auch der letzte Beobachter begriffen: Ein Traum hatte die Realität übertrumpft.

Niklas Kaul beim Stabhochsprung. (Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Niklas Kaul ist 1,90 Meter groß, er ist nicht der Schnellkräftigste in dieser zweitägigen Schnellkraft-Schinderei, aber er kann darauf vertrauen, dass seine Stärken über alle Disziplinen verteilt liegen. Er arbeitete sich in Doha geduldig durchs Feld, während die Favoriten sich Aussetzer leisteten oder verletzt aufgaben. Im Stabhochsprung turnte er elegant über 5,00 Meter, den Speer schleuderte er auf famose 79,05 Meter. Über die 1500 Meter klemmte er sich erst mal ans Heck des Feldes, damit die kräftigen Zehnkämpfermuskeln nicht ganz so schnell übersäuerten. Später sammelte er die Konkurrenten nach und nach ein. Kaul hat eben einen langen Atem, das zeigt auch seine bisherige Karriere.

Erschöpft und glücklich. Niklas Kaul nach dem 1500-Meter-Lauf beim WM-Finale in Doha. (Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP)

Er trainiert bis heute beim USC Mainz, bei Mutter Stefanie und Vater Michael, zwei ehemaligen Mittelstreckenläufern. Kaul schätzt das Familiäre, er mag auch den Ansatz der Eltern, die im verletzungsanfälligen Mehrkampf nie den raschen Erfolg suchten. Die Karriereplanung, sagt Kaul, sei immer auf Olympia 2024 und 2028 ausgerichtet gewesen. Jetzt wird er schon im kommenden Jahr in Tokio viele Erwartungen schultern müssen. Der Zehnkampf gilt als Königsdisziplin der Leichtathletik, und der junge König Kaul weckt beim deutschen Publikum Erinnerungen an glorreiche Zeiten: die Olympiasiege von Willi Holdorf (1964) und Christian Schenk (1988), die Weltrekorde von Kurt Bendlin, Guido Kratschmer und Jürgen Hingsen. Doch die Last trägt Kaul mit Genuss. Der Zehnkampf ist viel zu zehrend, als dass er sich alleine durchstehen lässt. Die Konkurrenten fallen einander nach zwei Tagen in aufrichtiger Sympathie in die Arme. "Es gibt kein Gefühl, das schöner ist", findet Kaul.

Ein WM-Titel als Zugabe ist natürlich auch nicht schlecht. "Weltmeister", sagte Kaul nach seinem Triumph, "wird man meist nur ein Mal im Leben." Als er das sagte, klang das weniger nach einer Bürde. Eher nach Vorfreude auf das, was jetzt noch kommt.

© SZ vom 01.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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