Wolfsburg:Der Geist von Magaths Hügel

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Ein Trainer, der nicht anders kann, als leidenschaftlich zu sein: Wolfsburgs Bruno Labbadia unterdrückt seine Emotionen selten. (Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Der VfL überzeugt auch beim 2:2 gegen Hertha BSC mit neuer Geschlossenheit - und profitiert von einem Frechdachs.

Von Jörg Marwedel, Wolfsburg

In der Fankurve des VfL Wolfsburg gibt es einen Bereich, den einige VfL-Freunde "La familia" nennen. Das ist insofern überraschend, weil das auf Spanisch "die Familie" heißt, obwohl die Stadt seit den Sechzigerjahren wegen der zugezogenen Gastarbeiter bei VW eher ein Klein-Italien ist, und da heißt die Familie "La famiglia" - mit g. Wie auch immer, das Spektakel zwischen dem VfL und Hertha BSC, dieses 2:2, bei dem in den letzten acht der 95 Minuten noch drei Tore fielen, war wie eine Familien-Zusammenführung zwischen Team und Anhängern.

"Es ist jetzt viel mehr Feuer und Leben in der Mannschaft."

"Durch solche Spiele entsteht neue Bindung", sagte der neue Geschäftsführer Jörg Schmadtke. Der Rheinländer hat ja einen ähnlichen Auftrag wie die anderen Manager des VW-Konzerns nach dem Diesel-Skandal, nämlich neues Vertrauen zu gewinnen. Nur 25 090 Zuschauer waren zu diesem frühen Spitzenspiel zweier verlustpunktfreier Teams gekommen - eine Spätfolge jener zwei Spielzeiten, in denen der VfL nur über die Relegation die Bundesliga-Zugehörigkeit halten konnte. Die verärgerten Zuschauer hängten ein Plakat auf: "Anspruchsvolle Fans suchen motivierte Mannschaft". Und während der Kopf der Ultras vor dem Anpfiff per Megafon versprach, alles für die Stimmung im Stadion zu tun, geben die Profis unter dem Trainer Bruno Labbadia neuerdings etwas zurück: Sie bilden eine motivierte Mannschaft.

Die Berliner hatten den Punktgewinn neben ihrer "Coolness" (so Labbadia über den Gegner) Torwart Rune Jarstein zu verdanken, der schon in der zweiten Minute ein Geschoss von Jérôme Roussillon über die Latte lenkte und weitere Rettungstaten vollbrachte. Sie hatten aber auch das Pech, dass die Wolfsburger trotz zweimaligen Rückstands (Javairo Dilrosun nutzte einen Fehlpass von William in der 61. Minute zum 0:1, Ondrej Duda verwandelte in der Nachspielzeit einen Freistoß, indem er die Kugel unter der hoch springenden Mauer zum 1:2 ins Toreck schoss) nicht aufgaben.

Was also ist passiert in den vergangenen Monaten, dass der von den Fans entwickelte Slogan "Arbeit, Fußball, Leidenschaft" plötzlich mit Leben erfüllt wird? Natürlich, die Leidenschaft wird von Labbadia vorgelebt, der gar nicht anders kann, als leidenschaftlich zu sein. Sogar den Magath-Hügel, jenen kleinen Berg auf dem Trainingsgelände, auf dem sich die Profis ihre Kondition für den Meisterschaftstitel 2009 holten, hat er entdeckt. Aber es ist auch, so Schmadtke, "die offene, gute Kommunikation", die zum neuen Teamgeist geführt hat. Zu sehen war das etwa am Einwechselspieler Yunus Malli, der in der 87. Minute den Mut hatte, sich den Ball zum Elfmeter zu schnappen und das 1:1 zu erzielen.

Malli weiß, dass in Labbadias System kein Platz für einen klassischen "Zehner" ist, einen Spielmacher. Er weiß, dass er in der Defensive "zulegen muss". Und er verstehe die taktischen Überlegungen des Trainers, teilte er mit und befand: "Es ist jetzt viel mehr Feuer und Leben in der Mannschaft." Trotzdem war er so motiviert wie die anderen beiden Eingewechselten Admir Mehmedi und Daniel Ginczek. Auch Mehmedi kämpfte bis zum Schluss, als er in der 95. Minute den Ball zum 2:2 über die Torlinie bugsierte.

Maximilian Arnolds Füße standen im Sechzehnmeterraum: Elfmeter

Auch einige Transfers taten dem VfL gut. Besonders der von Roussillon, 25, dem aus Montpellier geholten linken Außenverteidiger. Der startete gegen Hertha immer wieder Angriffsläufe, die mit einem Treffer hätten belohnt werden können. Und nach dem Weggang von Mario Gomez hat der VfL in Wout Weghorst und Ginczek zwei torgefährliche Innenstürmer. Dazu kommt, dass auf der rechten Seite in Renato Steffen (vorn) und William (hinten) zwei Spieler besser geworden sind. Auch, weil Labbadia ihnen Fehler zugesteht, damit sie ihre Stärken ausspielen können. William hat er nach dessen Missgeschick vor dem 0:1 getröstet. Und dann ist da in Maximilian Arnold ein Frechdachs im Mittelfeld. Als Arne Maier ihn in der 87. Minute an der Strafraumgrenze mit einem Sprung abblocken wollte, ließ sich Arnold fallen. Schiedsrichter Christian Dingert entschied auf Freistoß, der aber vom Video-Assistenten in einen Elfmeter umgewandelt wurde, weil Arnolds Füße im Sechzehnmeterraum gestanden hatten.

Gleichwohl reisten auch die Berliner "mit guter Laune nach Hause", wie Trainer Pal Dardai mitteilte. Denn auch diesmal hatte Hertha ein kompaktes Spiel gezeigt. Und wenn es so weitergeht mit Duda, der laut Dardai "ein schlauer Junge" ist, und mit der Liverpool-Leihgabe Marko Grujic, macht das Team auch spielerisch einen Schritt nach vorn.

© SZ vom 17.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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