WM-Qualifikation:Zum Davonlaufen

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Nach dem 2:4 gegen die Türkei gibt es in Österreich nicht einmal ein Führungsgremium, das den glück- und ideenlosen Teamchef Karel Brückner feuern könnte.

Michael Smejkal

Das Länderspieljahr endete, wie es begonnen hat: mit einer Pleite der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Das wäre ja an sich noch keine eigene Meldung wert, doch es sind die Umstände, die selbst diese wiederholte Pleite erwähnenswert machen. Denn zwischen dem 0:3 gegen Deutschland im Februar und dem 2:4 gegen die Türkei am Mittwoch lag eine Welt - vor allem in emotionaler Hinsicht. Gab es gegen Deutschland noch zahlreiche Chancen und eine Art Aufbruchstimmung vor der Heim-Euro, so war der letzte Auftritt am Mittwoch ein Desaster in jedweder Hinsicht. "Leider können wir noch kein Spiel über 90 Minuten ohne grobe taktische Fehler bestreiten", meinte Co-Trainer Andreas Herzog danach schon fast verzweifelt. An diesem nasskalten Abend in einem halbleeren Stadion, in dem hauptsächlich Zuschauer mit türkischem Migrationshintergrund ihrer Elf ein Heimspiel bereitet haben, war die Frage, welche Baustelle derzeit die größte im Österreichischen Fußballbund sei, gar nicht einfach zu beantworten.

So sehen Verlierer aus: Karol Brückner, österreichischer Nationaltrainer (Foto: Foto: dpa)

Denn derzeit gibt es nicht einmal ein Führungsgremium, welches den glück- und ideenlosen Teamchef Karel Brückner feuern könnte. ÖFB-Präsident Friedrich Stickler hat völlig überraschend und mit sofortiger Wirkung seinen Hut genommen, weil er sich neuerdings beruflich völlig ausgelastet fühlt. "Natürlich wäre uns eine geordnete Übergabe der Geschäfte lieber gewesen", meinte Generalsekretär Alfred Ludwig, in der Wiener Szene kurz und bündig "Gigi" genannt. Doch ad-hoc-Entscheidungen seien derzeit halt im Mode, fügte Ludwig mit einer Portion Sarkasmus an.

In welchem Vakuum der ÖFB momentan dahinvegetiert, wurde auch an diesem Mittwoch klar: Da bestimmten die Präsidenten der einzelnen Landesverbände den Wahlmodus, dafür benötigten sie erstaunliche drei Stunden. In einer zusätzlichen Sitzung im Dezember soll zudem geklärt werden, ob der ÖFB künftig von einem ehrenamtlichen oder von einem bezahlten Präsidenten geführt wird. Die Diskussion ist überhaupt nur entstanden, weil man lediglich dem Generalsekretär zutraut, das schlingernde Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Dafür müsste man aber die Satzungen ändern, dies wird beim bisherigen Tempo wohl noch Monate dauern. Durchschlagskraft sieht in der Tat anders aus.

Gspurnings Bilanz

So wird der alte Mann auf der Betreuerbank wohl noch weiter machen - mangels Alternativen und Ansprechpartner für einen möglichen Rücktritt. Nach dem sensationellen Sieg über Frankreich in der WM-Qualifikation am 6. September dauerte es exakt zwei Monate, bis das Team auf einem selbst für österreichische Verhältnisse ungeahnten Tiefpunkt angelangt ist. Niederlagen gegen Litauen und Serbien sowie ein peinliches Remis auf den Färöern folgten - samt Zerwürfnis zwischen Mannschaft und Führung. Das begann just auf der Inselgruppe nördlich von Schottland, wo nach einem Sturm nur ein Flugzeug noch zeitgerecht abfliegen konnte. Darin saßen nur die ÖFB-Funktionäre und deren Vip-Gäste, die Mannschaft wartete bis fünf Uhr früh auf Wetterbesserung und den Abflug. Diese Kritik wurde von Stürmer Marc Janko publik gemacht, worauf die ÖFB-Spitze mit dem Hinweis auf einen Diskothekenbesuch der Mannschaft nach der Heimniederlage gegen Serbien geantwortet hat. Auch Fingerspitzengefühl sieht anders as.

Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, dass fast die ganze erste Garnitur dem Teamchef für das Länderspiel gegen die Türkei abgesagt hat. Janko, der noch am Sonntag drei Tore für Salzburg erzielt hatte, fehlte wegen plötzlicher Muskelverhärtung ebenso wie Alexander Manninger, der seit Gianluigi Buffons Verletzung bei Juventus Turin Nummer eins im Tor ist. Doch die Absagen seien kein Problem, ließ Ludwig vor dem Match mitteilen, denn Brückner sollte ja ohnedies neue Spieler testen. So kam am Mittwoch ein Spieler zum Einsatz, den bisher nicht einmal österreichische Fußball-Insider kannten: Michael Gspurning, Torhüter beim griechischen Klub Xanthi, feierte sein Debüt, nachdem er zuvor jahrelang beim mittlerweile aufgelösten Dorfklub Pasching auf der Ersatzbank gesessen war.

Ach ja, eine positive Bilanz gab es an diesem Abend auch noch zu ziehen. Debütant Gspurning sah das mit den vier Gegentoren nicht so kritisch. "Man muss auch in so einer Situation konzentriert bleiben, sonst macht man einen Fehler und wir verlieren 2:5." Wenigstens einer, der die wesentlichen Dinge im Auge behält.

© SZ vom 21.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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