WM-Qualifikation in Südamerika:Im Sternzeichen des Esels

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Brasilien erlebt beim 0:0 gegen Argentinien in Belo Horizonte eine weitere uninspirierte Vorstellung seiner Nationalfußballer, ist frustriert - und bejubelt am Ende einen Argentinier.

Peter Burghardt

Brasiliens Fußballfreunde haben einen guten Geschmack, also bekam Lionel Messi am Ende wunderbaren Beifall. Viele der 60.000 Zuschauer im Stadion Minerao von Belo Horizonte klatschten und riefen seinen Namen, als der Stürmer kurz vor Abpfiff vom Rasen trottete, und es störte sie nicht im geringsten, dass Messi Argentinier ist. Im Gegenteil. Der Angreifer in dem gestreiften Trikot mit der Nummer 18 hatte sich die Zuneigung auch verdient, er war einer der Besten beim 0:0 im WM-Qualifikationsspiel zwischen der Nummer zwei und Nummer eins der Weltrangliste. Den Anhängern der Gastgeber gab der Sympathieanfall für einen Profi des Erzfeindes außerdem Gelegenheit, sich demonstrativ von ihren Landsleuten abzuwenden. "Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt, das ist für uns doch demütigend", klagte der Brasilianer Gilberto von Hertha BSC Berlin, aber die Männer in den gelben Hemden und blauen Hosen hatten sich zu unbeliebt gemacht.

Beim WM-Qualifikationsspiel veranstalteten Argentinien und Brasilien ein ziemliches Durcheinander. (Foto: Foto: Reuters)

Ihnen flogen in der zweiten Halbzeit vornehmlich Pfiffe und Schimpfwörter entgegen, die meisten trafen den zivil gekleideten Trainer. "Dunga, burro", hieß es, Dunga, du Esel, und "Adeus Dunga", auf Wiedersehen Dunga. Carlos Dunga liefert gerade eine Bilanz, die in Brasilien so gut ankommt wie ein verregneter Karneval mit Alkoholverbot. Auf dem Weg nach Südafrika 2010 verlor die Seleccao zuletzt Anfang Juni 0:2 in Venezuela, dann Mitte Juni 0:2 bei Tabellenführer Paraguay, zwei ehemaligen Leichtgewichten, und konnte nun froh sein über ein torloses Unentschieden gegen Argentinien.

Auf dem Feld nicht viel zu bestaunen

Ein Punkt und 0:4 Treffer aus drei Spielen, neun Punkte in sechs Spielen insgesamt, Rang vier in der Südamerika-Gruppe, das erfüllt für viele Fans den Tatbestand des Landesverrats. Dass Dunga vor knapp einem Jahr in ähnlicher Besetzung den Amerika-Pokal eroberte und dabei im Finale Argentinien abfertigte, ist fast vergessen.

Die umschwärmtesten Brasilianer saßen auf der Tribüne oder waren zuhause geblieben. Vor Beginn wurde Pelé mit einer Trophäe geehrt, und die Bardin Gael Costa sang die Nationalhymne. Die Ehrenloge füllten weitere Helden wie Falcao, Careca, Junior - und das noch jüngere Idol Ronaldinho, der gelangweilt mit dem Handy telefonierte und Kaugummi kaute; es gab ja auf dem Feld nicht viel zu bestaunen. Dunga hatte den ehemaligen Weltfußballer ebenso wenig nominiert wie den gegenwärtigen Weltfußballer Kaká, das lag an Blessuren und auch an einem schlechten Verhältnis zwischen Trainer und Stars. "Ohne sie hat das Team eine düstere Zukunft", fürchtet Rios Zeitung O Globo.

Stattdessen stürmte neben dem müden Robinho der schwerfällige Adriano, der sich in Sao Paulo von seiner Krise erholt. Regie führte nach seiner Einwechslung für den verletzten Anderson und bis zu seinem Austausch der enttäuschende Bremer Diego, die einstige Künstlertruppe verharrte in trauriger Defensive. "Erschreckend", fand Pelé. "Wir sind frustriert", berichtete Bayerns Manndecker Lúcio. Die einzige Chance vergab Julio Batista.

Auf der nächsten Seite: Warum Brasilien in der Qualifikation immer Probleme hat - und ein Argentinier bekommt Applaus.

Keine Panik, bitten die Gescholtenen. "Die Fans müssen uns Zeit geben und verstehen, dass nicht immer alles nach Plan läuft", fleht Verteidiger Maicón. Dunga mahnt ebenfalls Geduld an: "Das hier ist Brasilien, wir haben in der Qualifikation immer Probleme. Wir mussten schon ein paar Mal zittern, und hinterher waren wir Weltmeister. Wartet nur das Ende des Turniers ab." Im September geht es weiter, zwischendurch soll Dunga mit der Olympiaauswahl nach Peking. Es sei denn, auch die Funktionäre sind seiner bald überdrüssig. Er könne dazu nichts sagen, sprach der frühere Stuttgarter, "der Chef hier ist Ricardo Teixeira." Er fürchte jedenfalls nicht um seinen Job, "ich bin ein gemachter Mann."

"Wir waren Brasilien überlegen"

Dem argentinischen Kollegen Alfío Basile bekam der Abend in Belo Horizonte besser. Auch der hatte die Kritiker auf den Plan gerufen, als der Spitzenreiter der Fifa-Wertung am Sonntag in letzter Sekunde eine noch größere Blamage gegen Ecuador vermied. Dem eingewechselten Rodrigo Palacio gelang in der Nachspielzeit das 1:1, die Miesmacher zerrissen sich danach das Maul. Viele versierte Solisten, aber keine vernünftige Elf, hieß es. Juan Román Riquelme von Boca Juniors bremse die Offensive, Roberto Abbondanzieri sei im Tor ein Risiko, es fehlten Flügelspieler und ein großgewachsener Mittelstürmer. Das Problem des Torjägers bleibt erhalten, der Mailänder Julio Cruz ließ eine der günstigsten Gelegenheiten aus.

Ansonsten hat sich die Aufregung zumindest etwas gelegt, und demnächst ist auch Carlos Tévez aus Manchester wieder verfügbar. "Schlechter als beim letzten Mal konnten wir nicht spielen", fand Phlegma Riquelme, der wieder gut aufgelegt war. "Wir waren Brasilien überlegen", verkündete Messi, "wir hätten gewinnen können."

Der Wunderknabe vom FC Barcelona hätte das fast selbst erledigt, als er in der letzten Minute noch einmal durch die brasilianische Abwehr wirbelte und hektisch knapp am Ziel vorbeischoss. Brasiliens Applaus bekam Argentiniens Messi trotzdem.

© SZ vom 20.06.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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