WM-Auslosung:Fischen mit Heidi

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Wer gegen wen bei der WM 2006? Obwohl man auf dem Weg zum Titel jeden schlagen muss, wird um die einfache Frage der Gruppen in Leipzig eine erdumspannende Show inszeniert.

Philipp Selldorf

Wenn am Freitagabend im Laufe einer großen Show die Gruppen und Spielpaarungen für die Weltmeisterschaft 2006 ermittelt werden, dann wird natürlich auch ganz Frankreich vor dem Fernseher sitzen. Nur die französischen Fußballfans müssen sich noch etwas gedulden, bis sie die Bilder von der Zeremonie in Leipzig sehen können, denn die Superstars haben Vorrang.

Eine mächtige Show: Heidi Klum moderiert zusammen mit dem Maskottchen Goleo. (Foto: Foto: dpa)

Der Sender TF1, der die Fernsehrechte für die Auslosung und die WM besitzt, zieht es mit Rücksicht auf die Gewohnheiten des Publikums vor, statt der Live-Übertragung aus Deutschland die nächste Folge von "Frankreich sucht den Superstar" zu zeigen. Über Frankreichs Gegner beim Turnier wird eine Einblendung informieren, Bilder werden in der Geisterstunde nach Mitternacht nachgereicht - und selbstredend ist das Land nun gespalten in Fußballanhänger und Superstarliebhaber.

In Polen wiederum sind sich zwar alle einig, das macht die Situation aber nicht besser. Hier gibt es nämlich gar keine Bilder von der Veranstaltung im Fernsehen. Während in Albanien, auf den Komoren, den Fidschi-Inseln und sogar in Österreich die Übertragung durch Lizenzen der TV-Anstalten gesichert ist, hat in Polen noch kein Fernseh-Unternehmen die Rechte für die WM erworben, obwohl doch Polens Team eines der ersten in Europa war, das die Zulassung zum Mitspielen erhalten hat. Polnische Gesandte in Leipzig berichten, dass die Aufregung im Land einigermaßen erheblich ist.

Selbstdarstellung für den Veranstalter

Es geht dabei nicht um die nackten Nachrichten, die sich am Freitagabend zwischen 21.20 und (spätestens) 21.53 in Leipzig ergeben, sondern um das Dabeisein. Der Weltverband Fifa zelebriert den technischen Vorgang als sakrales Ritual, das nur den hervorragenden Persönlichkeiten des Fußballstamms anvertraut werden darf. Deshalb stehen Männer wie Johan Cruyff, Pele, Roger Milla und Lothar Matthäus im Mittelpunkt der Zeremonie, lauter historische Fußballfiguren, die globale Geltung bis ins hinterste Dorf besitzen.

Für die weiteren Beteiligten - das deutsche Organisationskomitee und die übertragende ARD - bietet der Festakt die als Pflicht verstandene Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Man werde versuchen, sich "als sympathischer Gastgeber zu präsentieren", sagt der ARD-Verantwortliche Heribert Faßbender, "das fängt schon an mit unserer Moderatorin Heidi Klum" - soll aber nicht damit aufhören. "Die Amerikaner haben 1994 in Las Vegas damit angefangen, die Auslosung zur großen Show zu machen, da wollen wir jetzt nicht hinten anstehen", erläutert Fassbender. Weshalb die Bühne in der Halle 1 der Leipziger Messe zu einem Koloss konstruiert ist. Experten meinen, dagegen sehe der Aufbau einer "Wetten, dass..."-Show, im deutschen Fernsehen der Maßstab fürs Gigantische, "wie eine Frittenbude" aus.

Ein Pate für jeden Topf

Dabei handelt es sich im Kern um einen Prozess, der in reiner Handarbeit erfolgt. Nachdem die Fifa für das Turnier 1982 den Versuch mit einer Lotteriemaschine gewagt hatte und damit grandios scheiterte (die Prozedur musste trotz einiger bereits geloster Partien von vorn begonnen werden), kehrte man wieder zur manuellen Technik zurück. Das heißt: Es gibt vier Töpfe mit je acht Mannschaften und weitere vier Töpfe für die Zuteilung der Spielfolge während der Vorrunde.

Jedem Topf steht ein Pate bei, neben dem bereits genannten Quartett kommen noch Christian Karembeu (als gebürtiger Neukaledonier Botschafter Ozeaniens), der Japaner Masashi Nakayama (Schütze des allerersten japanischen WM-Tores), der US-amerikanische Rekordnationalspieler Cobi Jones und Südafrikas emeritierter Star Luca Radebe zum Einsatz.

Insgesamt also eine überschaubare Szenerie, für die 8000 Quadratmeter Bühnenfläche etwas überdimensioniert erscheint. "Theoretisch könnte man die Auslosung auch aus meinem Wohnzimmer übertragen", bestätigt der Kommunikationsdirektor des Organisationskomitees, Wolfgang Niersbach: "Aber das entspricht ja nicht dem Ereignis."

Die Aufforderung zur Teilnahme empfindet Lothar Matthäus als besondere Ehre. Damit Deutschlands Rekordnationalspieler aber nicht in einen moralischen Zwiespalt gerät, ist er als Lospate nicht dem Topf 1 mit Deutschland zugeteilt, sondern für Topf 4 zuständig, in dem die Lose der vier Asiaten sowie USA, Costa Rica und Trinidad und Tobago liegen. Der Niederländer Cruyff versieht seinen Dienst an Topf 2 (Afrika plus Südamerika/Australien), der Brasilianer Pele an Topf 3 (Europa) und der Kameruner Milla an Topf 1 mit den gesetzten Größen aus Europa und Südamerika.

Matthäus: "Ich weiß nicht, welche Kugel ich ziehe."

So entgeht Matthäus dem möglichen Vorwurf, seinen Landsleuten den Angstgegner Niederlande zugelost zu haben, doch hält er die Furcht vor dem Nachbarn ohnehin für übertrieben. "Es ist eigentlich egal, ob man Holland oder einen anderen Europäer bekommt. Die Europäer sind alle stark. Zum Beispiel die Schweden oder die Kroaten, die haben in der Qualifikation die starken Ungarn ausgeschaltet", sagte Matthäus, der ungarische Nationaltrainer.

Tatsächlich sieht er in seiner Aufgabe an Topf 4 sogar die bessere Chance, seinem Heimatland einen Dienst zu erweisen. "Wichtig ist es, aus den anderen Töpfen gute Gegner zu fischen", findet er. Japaner und US-Amerikaner wären zum Beispiel zwei Gegner, die er vermeiden würde - wenn er könnte. Am Tag vor dem Ereignis versicherte Matthäus jedoch glaubhaft: "Ich weiß nicht, welche Kugel ich ziehe."

© SZ vom 9.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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