Wimbledon:Auffallen in Weiß

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"Das ist alles so inspirierend hier..." Die Tennis-Frauen versuchen, sich gegenseitig mit ihren modischen Gimmicks um die Konzentration zu bringen.

Claudio Catuogno

Venus Williams hat noch gar nicht über die Socken ihrer Gegnerin gesprochen. Unfassbare Socken waren das, oder nicht?

"Reizend", sagt Venus Williams, "bis zu den Waden hoch, wirklich reizend. Ich mag die Teile, ich will auch welche haben, am besten mit einem gelben Streifen drauf."

Gibt's für zehn Pfund bei Harrod's, Venus.

"Oh! Danke für den Tipp. Ich glaube, ich hab' sogar so ähnliche zuhause, nur in anderen Farben. Vielleicht sollte ich sie doch mal auf dem Platz anziehen, hab' ich mich bisher nur nicht getraut. Aber das ist alles so inspirierend hier."

Ihr Erstrundenmatch hat Venus Williams, 26, die Titelverteidigerin, natürlich gewonnen in Wimbledon. 6:0, 6:1 gegen die Amerikanerin Bethanie Mattek. Aber das nur nebenbei.

Hat sie auch die "Fashion-Show" gewonnen? "War ganz schön knapp, nicht?", sagt Williams.

"Bethanie war sehr von den Siebzigern inspiriert, mit dieser kurz geschnittenen Sporthose, den Kniestrümpfen, das trägt man gerade wieder in Amerika."

Venus Williams dagegen ist da eher der weibliche Typ. Rückenfrei, kurze Kleidchen, selbst entworfene Ohrringe und so.

Das ehrwürdige Londoner Traditionsturnier steckt mal wieder mitten in einer Debatte über Modefragen. Und alle sehen sich gezwungen, auch etwas zu dem Thema beizutragen.

Judy Murray, die Mutter von Lokalmatador Andy Murray, vertraute dem Guardian an: "Sollte mein Sohn jemals so auf dem Platz auftauchen, würde ich ihm sagen: Geh' nach Hause und zieh' dich um."

BBC-Moderator Simon Mayo lästerte: "Sie sieht aus, als habe sie die Sportunterrichts-Sachen von ihrem Sohn angezogen." Dabei hat Bethanie Mattek gar keinen Sohn.

Genau genommen ist sie nur für optische Provokationen bekannt. Bei den letzten US Open wollte sie im Cowboyhut spielen, das brachte ihr eine Geldstrafe ein.

Im Jahr davor kam sie im Leopardenkostüm.

"Jetzt habe ich alles, wofür ich schon mal bestraft wurde, aussortiert", sagt sie. Viel kann nicht übrig geblieben sein. Die Strümpfe jedenfalls hat sie tatsächlich erst kurz vor dem Spiel für zehn Pfund bei Harrod's gekauft.

Auffallen bringt Aufmerksamkeit

Was ihren Kleidungsgeschmack anbetrifft, mag Bethanie Mattek ziemlich alleine dastehen. Doch ihre grundsätzliche Haltung zum Thema Mode und Frauentennis ist Mainstream pur.

Diskussionen über Röcklängen sind so alt wie der Tennissport. Inzwischen lautet der Tenor: Auffallen bringt Aufmerksamkeit. In Wimbledon, wo das Regelbuch "überwiegend weiße Kleidung" vorschreibt, ist das besonders schwer.

Oder eine besondere Herausforderung.

Weil es bei den Frauen mangels Leistungsdichte erst ab dem Viertelfinale richtig spannend wird, kennt die Boulevardpresse seit Tagen kein anderes Thema. Ein tiefer Ausschnitt schafft es da deutlich leichter auf den Titel als ein kräftiger Aufschlag.

Maria Scharapowa, die russische Diva, Wimbledonsiegerin von 2004, hat ihr Outfit selbst entworfen und kündigte vorsorglich an: "Ich werde diesmal nahe an die Grenze des Erlaubten gehen." Ihr weißes Kleid, von einem asiatischen Blumenmuster geziert, ist seitlich geschlitzt bis zur Hüfte.

Maria Kirilenko, die neue Prinzessin der Center Courts, hat sich wieder bei der Designerin Stella McCartney bedient. Sie trägt ein Faltenröckchen mit Gürteltasche, und den Witz daran hat die Sun erkannt: "Da passt gar kein Tennisball rein."

Das Teil darf Kirilenko aber nur noch im Doppel vorführen, im Einzel scheiterte sie an der ungesetzten Japanerin Shinobu Asagoe. Auch Venus Williams spricht wieder viel lieber über Stilfragen, als über ihre nächste Gegnerin. Vielleicht, weil viele Journalisten sie auch lieber danach fragen?

Sogar der wenig exzentrische Roger Federer hat sich diesmal beteiligt und sich ein champagnerfarbenes Sakko mit eingesticktem "F" in der Brusttasche anfertigen lassen. Als Tribut an die Wimbledon-Tradition.

Schließlich tragen dort erstmals auch die Linienrichter ein Outfit im Zwanziger-Jahre-Look, das eigens von einem Star-Designer entworfen wurde.

A propos: Was war das denn heute für ein Tattoo, Venus? Das haben wir noch nie bei Ihnen gesehen. Sah aber super aus, wo haben Sie das her? Solche Fragen werden bei offiziellen Pressekonferenzen tatsächlich gestellt. Und gerne beantwortet, natürlich.

"Es ist so ähnlich wie die Flüssigtattoos, die ich früher hatte", sagt Williams. "Ich habe es in Serenas Haus in L.A. wiedergefunden. Wenn du da etwas liegen lässt, verschwindet es einfach, als würde das Haus die Dinge auffressen. Nach einem Jahr habe ich es wiedergefunden. Es war wirklich eine glückliche Wiedervereinigung, weil sie einfach so süß sind. Ich liebe sie."

Dann hat Venus Williams noch gesagt, es sei nun endlich an der Zeit, dass Frauen und Männer in Wimbledon das gleiche Preisgeld erhalten.

Sie fühle sich da wirklich beleidigt, hat sie gesagt. Als Sportlerin und als Mensch.

© SZ vom 30.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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