Wimbledon:Ansturm der Selfmade-Profis

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In Wimbledon spielen dieses Jahr so viele Deutsche wie seit Jahren nicht - trotz der wenig effektiven nationalen Tennisförderung.

Claudio Catuogno

B. Becker, das hat natürlich einen Klang in Wimbledon. Das klingt nach Teenagersensation, Leidenschaft, Wohnzimmer, nach einer deutschen Erfolgsgeschichte. Am Dienstagabend spielte B. Becker auf Court 11, im hintersten Winkel der Anlage, gleich neben dem Erste-Hilfe-Zelt.

"B. Becker", so stand es überall auf den Monitoren und den altmodischen grünen Tafeln, an denen die Ergebnisse noch von Hand hinein und wieder hinaus geschoben werden. "Die Leute wollen sich natürlich genauer ansehen, wer sich hinter diesem Namen verbirgt", sagt Benjamin Becker, 25, Tennisprofi aus Orscholz im Saarland.

"Dann hört man sie tuscheln." Aber der B. Becker, der hier in der ersten Runde dem Argentinier Juan Ignacio Chela gegenüber steht, ist nicht rothaarig, nicht jung, nicht exzentrisch. "Also laufen die Leute auch bald wieder davon." Zum Beispiel in Richtung Center Court, wo zur gleichen Zeit ein gewisser A. Agassi spielt.

Dabei würde es sich lohnen, ein bisschen stehen zu bleiben bei Court 11. Wer ist dieser Benjamin Becker, der hier einigermaßen mühelos die Nummer 48 der Welt ausschaltet, 6:3, 3:6, 6:3, 6:4? Warum hat man bisher nichts von ihm gehört, obwohl das deutsche Tennis doch lechzt nach frischen Gesichtern?

Hat man Becker vielleicht übersehen? Dann wäre er nicht der einzige in Wimbledon. Elf Deutsche durften bei den Männern im Hauptfeld antreten: Tommy Haas, Rainer Schüttler, Alexander Waske, Florian Mayer, Philipp Kohlschreiber, Simon Greul, Björn Phau, Benjamin Becker, Benedikt Dorsch, Michael Berrer, Simon Stadler.

Elf Deutsche, das gab es hier seit 1999 nicht mehr, dabei hatte der prominenteste, Nicolas Kiefer, sogar verletzt absagen müssen. Doch was auf den ersten Blick aussieht, als habe der Deutsche Tennis-Bund nun allen Grund, mächtig stolz auf seine Nachwuchsarbeit zu sein, entpuppt sich auf den zweiten Blick eher als das Gegenteil dessen.

Becker, Dorsch, Berrer und Stadler haben sich durch die Qualifikation bis in die erste Runde der 120. All England Championships gespielt. Ein guter Weg für Tennistalente, um erstmals auf großer Bühne auf sich aufmerksam zu machen. Aber die vier Deutschen sind alle schon Mitte 20. Benjamin Becker sagt: "Mit dem DTB hatte ich eigentlich nie großartig zu tun."

Nach dem Abitur ging er in die USA. An der Baylor University in Waco, Texas, erhielt er ein Tennis-Stipendium, nebenbei studierte er Finance and International Business.

Er vertrat seine Uni auf College-Ebene und heimste Titel ein, die für deutsche Sportfunktionäre seltsam fremd klingen müssen: wurde ITA All-American im Einzel, führte sein Team zu vier Big 12 Championships, 2004 zum NCAA Team Title und 2005 zum ITA Team Indoor Championship. Kurz: Er hat das College-Tennis ziemlich aufgemischt in den letzten Jahren. Jetzt ist er Profi und sagt: "Für mich war das rückblickend der beste Weg."

So gut, dass er sogar einen Kollegen aus gemeinsamen Jugendzeiten nach Waco lotste: Benedikt Dorsch, geboren in Murnau am Staffelsee. Dorsch wurde zweimal ITA Player of the Year und kam zu einigen weiteren Ehren, die für eine gewisse Qualität sprechen.

Dass Dorsch und Becker sich nun gleichzeitig bis nach Wimbledon gespielt haben, empfinden sie schon als eine große Genugtuung. Dorsch verlor in der ersten Runde gegen den Chilenen Nicolas Massu, 2:6, 5:7, 2:6, "im ersten Satz zitterte mein Arm, so aufgeregt war ich". Aber weil es auch für ihn zuletzt steil aufwärts ging in der Weltrangliste, ist er vor allem ziemlich stolz auf seine späte Profikarriere. "Warum soll ich das jetzt nicht noch sechs oder sieben Jahre machen?"

Die Geschichten erinnern an Alexander Waske. Der tauchte 2002 plötzlich in der zweiten Runde von Wimbledon auf, direkt von einem College in San Diego. In Amerika sei er ein ziemlicher Star, teilte er damals mit, außerdem könne er ziemlich gut Doppel spielen und träume davon, einmal im Davis Cup mitzuwirken.

Da war er allerdings schon 27, und man war geneigt zu sagen: Träum' weiter. Inzwischen ist Waske aus dem deutschen Tennis nicht mehr wegzudenken. Und er macht sich so seine Gedanken.

Jeder schmorrt im eigenen Saft

Einerseits findet Alexander Waske es natürlich prima, dass sein Sonderweg ins Profigeschäft jetzt Nachahmer findet. Andererseits findet er es auch einigermaßen bedenklich. Weil so wenige Talente den offiziellen Weg wählen - den über die deutsche Verbandsförderung. "Warum haben die Jungs mit 20 diese Entscheidung getroffen?", fragt Waske.

"Und warum sind sie dann so gut geworden?" Er hat auch schon eine Antwort. "Weil in Deutschland jeder im eigenen Saft schmort, jedes Bundesland will seine Talente halten, damit die Verbandstrainer eine Daseinsberechtigung haben - aber welcher Verbandstrainer bringt schon junge Leute ins Profitennis?"

Dass in Wimbledon neben Haas und Becker auch Florian Mayer und Philipp Kohlschreiber in der zweiten Runde stehen, versteht Waske als Beleg für seine These. Die beiden trainieren an der Tennis-Base in Oberhaching. "Das ist ein erfolgreicher bayerischer Sonderweg", sagt Waske, "ansonsten passiert aber zu wenig."

Waske ist am Dienstag ausgeschieden, Becker musste am Mittwochabend in Runde zwei gegen den Spanier Verdasco antreten. Auf den Websites der amerikanischen Tennis-Colleges hat das viel Beachtung gefunden. Die beiden sind wirklich ziemlich bekannt auf der anderen Seite des Atlantiks.

© SZ vom 29.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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