Wettbetrug im Fußball:Ein Lockmittel von 225 Milliarden Dollar

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Der erste Sportwettenkongress der Fifa offenbart, wie professionell die Zockerszene arbeitet - und wie hilflos der Weltverband ist.

T. Kistner

Franz Beckenbauer kennt das Dilemma ,,nur oberflächlich'', Marcel Reif steht ,,vor einer schwarzen Wand'', wenn es um Wettmanipulationen geht. Beim Vortrag von Wolfgang Feldner, dem Strategiechef des Fifa-Frühwarnsystems Early Warning System (EWS), und anderer Experten auf diesem rasant wachsenden Problemfeld, erfuhren der Conferencier und sein Talkgast im Züricher Swissotel zumindest, dass sich die Gefahr eingrenzen lässt. Das ist die gute Nachricht vom ersten Sportwetten-Kongress des Fußballweltverbandes Fifa; die schlechte: Der Kampf gegen kriminelle Abzocker, die Spiele und Spieler manipulieren, steckt in den Kinderschuhen. Genauer: im Strampelanzug. Und da wird er so schnell nicht rauskommen. Das Wichtigste fehlt nach wie vor - eine juristische Basis, um den Wettbetrug auch ermitteln und die zumeist ja international organisierten Banden bestrafen zu können.

Beispiel für die allgemeine Ohnmacht: Das überraschende 0:4 des FC Bayern gegen St. Petersburg war Gegenstand eines Gesprächs unter Wettpaten. (Foto: Foto: Reuters)

"Des geht ja gar ned''

Beispiele für die bizarre Hilflosigkeit der Ermittler reichten vom FC Bayern bis zum ehemaligen finnischen Meister. Der AC Allianssi, über Nacht erworben von einem chinesischen Investor und gleich mit sechs neuen Kickern bestückt, hatte 2005 ein über die Champions-League-Teilnahme entscheidendes Match gegen den FC Haka Valkeakoski gezielt 0:8 verloren. Beim Wunschergebnis half sogar ein Ersatztorwart mit Behindertenausweis mit. Am Saisonende war Allianssi bankrott, doch strafrechtlich passierte nichts, die Polizei hatte keine Handhabe für Ermittlungen.

Auch nicht ermittelt wird zum Uefa-Cup-Halbfinale Zenit Petersburg - FC Bayern (4:0). Dabei verfügen spanische Strafverfolger über Telefonmitschnitte, auf denen Mitglieder der wegen Geldwäsche-Verdachts abgehörten Russenmafia-Organisation Tambowska im April über Manipulationen zu dieser Partie redeten. Natürlich ist das eine befremdliche Vorstellung, Bayern-Präsident und Fifa-Vize Beckenbauer legte in Zürich auf offener Bühne dar, er halte es ,,für absurd, darüber einen Gedanken zu verlieren, des geht gar ned''. Nur, reichen Glaubensbekenntnisse? Die Uefa hat sich zusichern lassen, dass sie die spanischen Bänder abhören darf. Eine müde Münchner Vorstellung habe es damals in der Tat gegeben, findet nicht nur der zuständige Uefa-Direktor Peter Limacher, der sich das Spiel am TV-Gerät ansah. Auch Beckenbauer meint: ,,Du kannst ja in Petersburg verlieren, aber nicht so, ohne Gegenwehr.''

Die Uefa will auch hier Klarheit. Weshalb erörterten zwei Russen-Mafiosi (seit Juli mit ihrer Gang in Spanien inhaftiert) dieses Thema am Telefon? Nur Ganovengeschwätz? Immerhin war der Eiskunstlauf-Skandal bei den Winterspielen 2002, der sich als großangelegte Russen-Aktion erwies, ein Nebenprodukt polizeilicher Abhörmaßnahmen; auch damals standen die Abgehörten unterm Banden-Verdacht. Limacher irritiert, dass die Münchner Staatsanwaltschaft bisher keine Zuständigkeit zeige. Interpol-Vertreter Lawrence Wong meinte in Zürich, generell sollten Sportwett-Ermittlungen dort ansetzen, ,,wo die Tat prinzipiell begangen'' worden sein könnte und nicht, wo sie vielleicht ausgeführt wurde.

An solchen Beispielen zeigte sich die Crux, auf welche die mit 25 verdächtigen Spielen kämpfende Uefa ständig stößt. Die Lethargie der Verfolgungsbehörden mangels Rechtsgrundlagen ist das eine, die Frage der polizeilichen Zuständigkeit bei internationalen Spielen das andere Kernproblem. Dabei ermittelt die Uefa intensiver als die Fifa, sie tut es mit eigenem Personal, spricht mit Akteuren und ist mit einer Vielzahl von Warnsystemen vernetzt, darunter Sportradar, das auch der Fifa und dem DFB Meldung erstattet.

Deutlicher war den Fifa-Kollegen anzumerken, dass sie auf Neuland stehen. Ihr Chefjurist Marco Villiger trug die Sanktionsregeln der Fifa gegen Bestechung vor, die man - aus kabarettistischer Sicht - gerne von den Skandalnudeln im Vorstand, wie Jack Warner (Trinidad) oder Ricardo Teixeira (Brasilien), gehört hätte. Marco Villigers Fazit: Man habe ,,drei Maßnahmen getroffen'', darunter Erstaunliches: ,,Die Fifa ist sich der Gefahr bewusst, und sie reagiert auf Veränderungen im Wettgeschäft.'' Und dere EWS-Chef Urs Scherrer bezeugte, Kollege Villiger halte stets ,,seinen Blackberry auf Sichtweite''. Man kann ja nie wissen, ob das Frühwarnsystem anschlägt. Abenteuerland Fußball.

Professioneller wirkte der Auftritt der Experten, die alarmierende Erkenntnisse in petto hatten. Feldner vom Fifa-System EWS schloss aus den offiziellen Wettspielstatistiken auf einen jährlichen Bruttoumsatz von 1,5 Billionen US-Dollar, wovon neben Kasinos (32 Prozent), Lotterien (29) und Spielautomaten (21) satte 15 Prozent auf Sportwetten entfielen; macht rund 225 Milliarden Dollar Umsatz.

Das lockt Gelichter aus der Zockerszene an, zumal die Kontrollmöglichkeit im Falle vieler asiatischer Wettagenten gleich Null ist. Diese Agenten sammeln Einsätze bei Kunden und setzen per Kredit - ,,so gibt es keine Geldflüsse, die die Polizei verfolgen könnte'', erläuterte Carsten Koerl von der Sportradar AG. Er tat kund, mit welch mathematisch-statistischer Plausibilität Profi-Abzocker hantieren und dass sie vor nichts halt machen, nicht mal vor Kleinkindern. Sogar bei einem U8-Spiel, bei unter Acht-Jährigen, seien Ergebniswetten angeboten worden, berichtet Koerl. Weshalb es endliche ,,eine rechtliche Basis gegen die wachsende internationale Bedrohung'' brauche.

Störender Konkurrenzkampf

Die Wettbranche selbst, das zeigten die zahlreichen Firmenvertreter in Zürich, fokussiert sich vorläufig auf andere Spannungsfelder. Das Ringen zwischen privaten und staatlichen Wettanbietern klang immerzu feindlich an, Moderator Reif sah sich zu einem mahnenden Schlusswort genötigt: ,,Wenn dieses Feld so weiterbearbeitet wird, mit diesen internen Kämpfen, nutzt es nur denen, die Missbrauch treiben.''

So elegant wie Franz Beckenbauer verficht halt nicht jeder seine Interessen. Der FC-Bayern-Chef warb offen für den Privatanbieter Bwin, der seit kurzem den Rekordmeister sponsert, er plädierte für eine Liberalisierung des Wettgeschäfts in Deutschland (,,Sonst geht das Geld der Privaten ins Ausland'') und erklärte, um etwas Mäßigung gebeten: ,,Also, ich mache hier keine Werbung für bwin. Mir fällt nur nichts anderes ein."

© SZ vom 12.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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