Werder weiter ohne Sieg:Schlüsselbein, Schlüsselszene

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Für Max Kruse nahm das Heimspiel gegen Schalke ein schmerzliches Ende. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Weil Bremen beim 1:2 gegen Schalke 04 eine Führung her schenkt, fängt bei den Hanseaten wieder früh in der Saison das Zittern an - zumal der an der Schulter verletzte Max Kruse mehrere Monate auszufallen droht.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Es geht schon wieder los, wie in der vergangenen Saison, wie in der vorletzten, wie irgendwie ständig in den vergangenen Jahren. Der schlechte Saisonstart gehört inzwischen zu Werder Bremen wie der Roland zum Bremer Marktplatz, das Warten auf den ersten Sieg ist schon Folklore an der Weser. Es gibt zwar in dieser Saison einen Unterschied zu den vergangenen Jahren, als die Bremer auf oft bedauerliche Weise chancenlos ihre Auftaktklatschen kassierten - aber mehr Punkte bringen unglückliche Niederlagen eben auch nicht. Und das 1:2 (1:1) gegen den FC Schalke war in der Tat sehr, sehr unglücklich.

Dass es schon nach 17 Minuten die Schlüsselszene des Spiels gewesen sein könnte, ahnten vielen Besucher im Bremer Weserstadion schon, ehe das Gerücht aufkam, Max Kruse könnte sich das Schlüsselbein gebrochen haben. Max Kruse ist für das Bremer Spiel so etwas wie Hirn, Lunge und Herz in einem; im Sommer hat der Verein kolportierte drei Millionen Euro in die Hand genommen, nur um dem 29-Jährgen seine Ausstiegsklausel abzukaufen. Ohne Kruse und dessen 14 Tore in der Rückrunde würden die Bremer vermutlich nicht mehr in der Bundesliga spielen, ohne seine Vorlagen für Finn Bartels, ohne seine unorthodoxen Laufwege, ohne seinen oft unbändigen Einsatz.

Und dann eben die 17. Minute gegen Schalke 04, ein Zweikampf wie ein Verkehrsunfall, wobei der Schalker Thilo Kehrer das Auto war, das den Fußgänger Max Kruse ungebremst am Fuß rammte. Der Bremer Angreifer, bis dahin viel besser im Spiel als bei seinen bisherigen drei Einsätzen dieser Saison, stürzte unkontrolliert vornüber zu Boden, wenige Minuten später war das Spiel für ihn vorbei. Schlüsselbein, Schlüsselszene.

Mit Kruse, diese Hypothese muss erlaubt sein, hätten die Bremer die Partie gegen lange Zeit unterlegene Schalker kaum verloren. Ihnen fehlte fortan ein Vollstrecker einerseits, aber auch die Figur im Spiel, die eine latent spürbare Überlegenheit im vorderen Drittel des Spielfelds in echte Gefahr verwandelte. So reichte den Gästen am Ende eine einzige große Torchance in der zweiten Halbzeit, um ein Spiel im Weserstadion zu gewinnen, das die Bremer nie aus der Hand hätten geben dürfen.

Schalke findet nur dank eines Bremer Eigentors in die Partie zurück

Für Kruse war der erst nach Saisonbeginn verpflichtete Ishak Belfodil eingewechselt worden, ein Angreifer, der sich selbst eher als Vorbereiter beschreibt, "als Nummer zehn", wie er neulich mal sagte. Als Vorbereiter hatte er in der zweiten Halbzeit tatsächlich sehr starke Szenen, aber es fand sich niemand, der seine Aktionen in Tore verwandeln konnte. Jemand wie Kruse. Werder hatte auch in einer eher chancenarmen zweiten Halbzeit die besseren Möglichkeiten, das Spiel zu gewinnen. "Das fühlt sich extrem bitter an", sagte Trainer Alexander Nouri. "Wir sind enttäuscht, weil so ein Spiel darfst du natürlich nicht verlieren. Es war ein extrem unglücklicher Spielverlauf. Wir haben ein richtig gutes Spiel gegen einen starken Gegner gemacht, aber du musst dich für den Aufwand belohnen."

Kurioserweise waren die Bremer nach Kruses Ausscheiden in Führung gegangen, nach Kehrers Foul erlebte die Partie ein paar aufregende Minuten. In der 20. Minute verwandelte der entschlossene Abwehrspieler Lamine Sané einen Pfosten-Abpraller. Das 1:0 war verdient gegen fahrige Schalker, aber es hielt kaum zwei Minuten. Wie vor dem Führungstreffer ging auch dem Schalker Ausgleich eine Ecke voraus, Werders Torwart Jiri Pavlenka faustete den Ball nicht weit genug weg, es entstand Unruhe im Strafraum, und vom Kopf des Werder-Verteidigers Milos Veljkovic plumpste der Ball ins Tor (22.). Kein Schalker hatte bis dahin aufs Bremer Tor geschossen, und trotzdem stand es 1:1.

Schalkes Juwel Goretzka findet so gut wie nicht statt - doch dann stellt er den Fuß in die Flugbahn eines Eckballs

Ein geschenktes Tor, das den Schalkern nicht mal zu einem Hauch von Sicherheit verhalf. Stambouli, zur Pause ausgewechselt, oder Caligiuri kamen ständig zu spät, Leon Goretzka fand über weite Strecken gar nicht statt, Torjäger Burgstaller blieb ohne Torabschluss. Immer wieder winkte der eifrige Trainer Domenico Tedesco an der Außenlinie frustriert ab, weil seine Elf zu viele Zweikämpfe verlor und Werder Möglichkeiten zum Umschaltspiel schenkte. Die beste Chance hatte der Österreicher Florian Kainz, der mit einem Kopfball die Reflexe von Schalke-Keeper Fährmann aus kürzester Distanz testete (37.).

Wie Werder dieses Spiel angesichts einer nun seit Saisonbeginn anhaltenden Abschlussschwäche gewinnen sollte, ohne Kruse, war zwar auch in der zweiten Halbzeit nicht ganz klar; dass die Bremer es verlieren könnten, schien aber noch unwahrscheinlicher zu sein. Erst die Einwechslungen des früheren Bremers Franco di Santo und vor allem von Breel Embolo, der nach einer Verletzungspause von einem Jahr wie ein Neuzugang bei den Schalkern gilt, passten zu den Ambitionen der Gäste, in dieser Saison wieder oben mitspielen zu wollen. Das tun sie jetzt vorerst auch, weil auch das dritte Tor des Spiels, das entscheidende in der 83. Minute, nach einer Ecke fiel. Goretzka stand im Gewimmel plötzlich frei, stellte den Fuß in die Flugbahn und traf zum glücklichen Schalker Sieg. "Es war nicht einfach, wir haben schwer ins Spiel gefunden", gab Gästetrainer Domenico Tedesco zu. "Wir sind mit den drei Punkten glücklich und zufrieden."

Und bei den Bremern geht es jetzt eben wieder los, das lange Warten auf den ersten Sieg. Wie jedes Jahr.

© SZ vom 17.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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