Weltsportler, Teil II: Terje Haakonsen:König der Freiheit

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Die Snowboard-Ikone Terje Haakonsen verfolgt die Illusion eines unabhängigen Sportlerlebens - und stößt dabei an natürliche Grenzen.

Thomas Hahn

Die Tür ist zu, die große Freiheit bleibt draußen, und es ist nicht ganz klar, ob Terje Haakonsen, den sie in der Szene den besten Snowboarder aller Zeiten nennen, diese Situation mag. Oder ob er sie hasst. Ob er nicht sogar diesen ganzen Tag hasst, an dem er von Termin zu Termin eilen muss, um Fragen von Leuten zu beantworten, die er nicht kennt und von denen er nicht einmal weiß, wie gut sie zuhören können.

Über den Dächern Livignos lächelt hell der Himmel Südtirols, und hinter dem Hotel ruhen die Berge wie ein Verbund aus freundlichen Königen, die stolz ihr weißes Reich bewachen und nur darauf warten, dass jemand zu ihnen emporsteigt. Aber er sitzt hier, auf einem gelben Sofa zwischen engen Wänden. Vor ihm ein zappeliger Reporter, hinter ihm überlebensgroß das Logo von Snowboard- Marktführer Burton, seinem Hauptsponsor. Terje Haakonsen hat sich einen Cappuccino geholt. Er schaut aus matten Augen. Seine Miene verrät wenig. Er fügt sich. Er sagt: "Es ist hart für uns, mit Leuten zu sprechen, die keine Beziehung zum Snowboarden haben."

Sein Sport hat eine Seele

Er kennt diese Leute, und er hat schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht. Sie verstehen wenig, sie haben meist nur Vorurteile im Kopf, mit denen sie die Welt in Halbwahrheiten zerlegen. Snowboarder sind für sie oberflächliche Clowns. Das ist Haakonsen zu dumm, er kann diese hochnäsigen Großbürger nicht leiden, die so kurz denken, dass sie alles Fremde für eine Anmaßung halten. Denn natürlich ist sein Sport viel komplizierter. Sein Sport hat eine Seele, so sieht Haakonsen das.

Zwanzig Jahre ist es etwa her, dass das Snowboarden von Amerika aus über die Welt kam, und zwar in einem besonderen Geist, im Geist der alten Wellenreiter Hawaiis und Kaliforniens, die ihr Tagwerk nie nach gesellschaftlichen Konventionen richteten, sondern immer nur nach dem Meer. Wenn die Wellen hoch genug schlugen, vergaßen sie ihre Arbeit, packten ihre Bretter und stürzten der Urgewalt des Wassers entgegen. Sie spielten mit den Kräften der Natur und hatten gewonnen, wenn sie sich von ihnen aufrecht durch die Gischt tragen lassen konnten. Dieser Lebensart eifern die Snowboarder nach.

Phantom der Halfpipe

Und Terje Haakonsen, 28, ist einer der wichtigsten Helden dieser sehr eigenen, sehr stolzen Snowboardwelt, in der Hierarchien verpönt sind und Freiheit das höchste Gebot ist. Besser gesagt: Er ist der wichtigste Held. Mehr als ein Star, eine Ikone, in der Szene fast schon religiös verehrt als Bewahrer der reinen Snowboardlehre. Snowboarden ist zum Geschäft geworden. Die Phase des explosiven Wachstums ist vorbei, die es in den 90er Jahren zum internationalen Boommarkt des Wintersports machte, aber deswegen ist nichts übersichtlicher geworden: Jeden Monat stellen die Magazine neue Stars vor, die Industrie bringt sich ins Spiel, Olympia ist ein Thema, Pleiten stiften Verwirrung wie jene des Pionierverbandes ISF im Sommer - Orientierung tut Not, und die findet die Szene bei Terje, ihrem unumstrittenen König.

Man darf das keinesfalls missverstehen, diese Verehrung ist keine künstliche Hysterie. Terje Haakonsen ist ein Meister seines Fachs, ein motorisches Ausnahmetalent. Als Jugendlicher war er ein aussichtsreicher Skifahrer und Fußballer, er gehörte jeweils zur Auswahl seines norwegischen Heimatbundeslandes Telemark. Seine Profi-Karriere begann mit 15, wenig später beherrschte er das Feld. In seinem Stil verschmolzen Anmut und Kraft, wenn er fuhr, wirkte jeder Sprung, jede Drehung, jede Kurve wie aus Selbstverständlichkeit geboren.

Er setzte Maßstäbe mit seiner Kreativität. Und er siegte. Dreimal Halfpipe-Weltmeister der ISF, fünfmal Europameister, dreimal US-Open-Gewinner. Er spielte mit seiner Konkurrenz. Beim Mount Baker Slalom, den er insgesamt viermal dominierte, fühlte er sich einmal nicht genügend gefordert. Da fuhr er in der Qualifikation rückwärts. Er gewann. Die amerikanische Zeitschrift Sports Illustrated kommentierte atemlos: "Das ist wie bei Steve Young, der drei Touchdown-Pässe mit links warf und dann - aus der Langeweile heraus - einen vierten mit rechts."

Das perfekte Schauspiel

Irgendwann verlor Terje Haakonsen die Lust am Gewinnen. Eigentlich konnte er ja auch gar nicht mehr gewinnen, sondern nur noch verlieren. Er verlegte sich auf Filmarbeiten im Hinterland. "Ich fand", sagt Haakonsen, "es wäre besser, von jedem ein bisschen zu machen." Er machte sich rar und beförderte damit zusätzlich den Mythos um seine Person. Es sollte keine Fotos von seinem Gesicht geben, höchstens mit dunkler Brille, und er redete wenig. Er versetzte Sponsoren und Journalisten. Manchmal tauchte er bei einem Wettkampf auf, gewann und verschwand wieder. Er wandelte wie ein Phantom durch seine Welt. Es war das perfekte Schauspiel.

In seiner Heimat wissen sie trotzdem nicht so genau, was sie mit ihm anfangen sollen. Haakonsen hat die liberale Erziehung genossen, die typisch ist für Norwegen und den Jugendlichen früh vermittelt, dass man seine eigene Meinung bilden soll. Das hat ihn geprägt, so gesehen ist er kein schlechter Botschafter seines Landes. Und natürlich haben die Norweger gerne von seinen Siegen gehört, so wie sie immer gerne von norwegischen Siegen im Ausland hören, weil das dem Selbstbewusstsein einer bevölkerungsarmen Nation am nördlichen Rand Europas gut tut.

Andererseits sind Norwegens sportliche Vorlieben konservativ geprägt. Langlauf ist der Nationalsport, eine alte, zehrende Übung auf streng gespurten Loipen, da kann man sich ausmalen, dass die bunten Snowboarder bisweilen Argwohn ernteten, zumal mancher von ihnen sich im Ton vergriff. Der Szene-Star Daniel Franck bezichtigte Johan Olav Koss, den dreifachen Eisschnelllauf-Olympiasieger von 1994, des Dopings und machte sich öffentlich über den Langlaufhelden Björn Dählie lustig. Die Empörung war groß. Franck musste sich entschuldigen.

"Er macht, was er will"

Und auch Haakonsen, den Weltenbummler, Sportintellektuellen, Vater eines unehelichen Sohnes mit einer Hawaiianerin, können sie nur schwer verstehen. "Ich denke, er will außerhalb des Systems stehen", sagt die Langlauf-Olympiasiegerin Bente Skari, Norwegens Nationalliebling. Sie zögert, als müsse sie sich genau überlegen, was sie sagt über diesen entfernten Kollegen. "Wir haben jede Woche einen Wettkampf. Er macht, was er will." Das passt nicht zusammen. Und sie kann wohl auch nicht wirklich begreifen, warum Haakonsen so hartnäckig der olympischen Familie fernbleibt.

Als Snowboarden 1998 in Nagano seine Premiere unter den fünf Ringen feierte, fehlte er. Der Wettkampf war abgewertet ohne seine Kunst, aber das störte ihn nicht. Er hatte eine Botschaft. Gegen den olympischen Kommerz gingen seine Reden zum Boykott, vor allem gegen den damaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch, den er mit Al Capone verglich. Natürlich, diese Verweigerung passte zum Image des Wintersportrebellen Haakonsen, sie machte ihn bei seinen Leuten endgültig zum Märtyrer, andere munkelten, er wolle sich eine Niederlage ersparen. Aber das Zeichen blieb. Und die Konsequenz hatte er exklusiv. Andere Snowboarder lästerten auch gerne und schmückten sich trotzdem mit olympischen Weihen. Daniel Franck zum Beispiel, Silber-Gewinner von Nagano.

Die Bewunderung eines Königs

Und heute? Haakonsen hat seine Haltung nicht geändert. Olympia 2002 fand ohne ihn statt, was sonst. Er sagt: "Du wirst nichts ändern, wenn du immer folgst wie die Schafe der Herde." Und doch ist es nicht mehr das gleiche Spiel. Die Bewunderung ist geblieben, aber er gewinnt nicht mehr nach Belieben. Die Jugend begehrt auf, einer wie der deutsche Profi Vinzenz Lüps zum Beispiel, 21, der vergangenes Jahr beim ISF-Saisonfinale in Davos sein ganz spezielles Erlebnis mit Haakonsen hatte. Haakonsen fragte Lüps, ob er ihm einen Helm leihen könne. Lüps hatte einen zweiten und gab ihn ehrfürchtig weiter. "Terje Haakonsen ist mit meinem Helm gefahren", sagt Lüps, und seine Augen leuchten. Aber dann kam das Finale in der Halfpipe. "Ich habe gewonnen, und er ist Siebter geworden." Lüps lächelt. Auch der König kann die Zeit nicht aufhalten.

Vor allem muss der König mehr denn je erkennen, dass auch seine Freiheit Grenzen hat. Zuletzt ist er wieder in den Schlagzeilen gewesen daheim. Wegen einer Frau. Norwegens Handballstar Mia Hundvin hat aus der Homo-Ehe mit ihrer dänischen Kollegin Camilla Andersen in seine Arme gefunden. Daniel Franck hat es ausgeplaudert, was das unterkühlte Verhältnis zwischen Franck und Haakonsen nicht gerade entspannt hat. Die Boulevardpresse feierte ein Fest, in Oslo lauerten Paparazzi, das Telefon von Manager Henning Andersen stand nicht still. Es herrschte eine Aufregung, die Haakonsen verabscheuen musste.

Das Snowboarden und seine Botschaften

Und er muss mittlerweile etwas verkaufen. Es reicht nicht mehr, nur Haakonsen zu sein. Er ist Organisator der Arctic Challenge auf den Lofoten im Norden Norwegens. Dieser Contest ist das Finale der Ticket-to-Ride- Tour, einer Art Nachfolge-Serie des ISF-Weltcups mit unterschiedlichsten Wettkampfformaten, in der sich Haakonsens Vision von einer Alternative zum herkömmlichen Sportbetrieb spiegelt. Das Snowboarden braucht solche Bühnen, um seine Botschaften an die Leute zu bringen. Burton braucht solche Bühnen. Und Haakonsen arbeitet für Burton. Es geht um PR. Er muss jetzt mehr reden. Auch wenn das nicht im Sinne der alten Wellenreiter ist. "It's a cool world", sagt Andersen, und cool heißt diesmal tatsächlich "kühl" und nicht "lässig" wie im Jargon der Jugend. "Wir haben keinen reichen Onkel. Wir müssen unsere Leute bezahlen."

Terje Haakonsen kennt den Widerspruch, aber er scheint im Frieden damit zu leben. Die totale Unabhängigkeit ist eine Illusion. "Meistens kommuniziere ich mit meinem Sponsor", sagt er und findet das immer noch besser, als sich von irgendwem für eine nationale Sache einspannen zu lassen. Kaderdenken, das hasst er. "Man muss nicht alles in Nationen aufteilen." Sponsoren sind international, das findet er sympathisch. Also macht er das Nötigste. Redet, ist pünktlich, diese Sachen. "Du musst das meiste akzeptieren", sagt Terje Haakonsen und ist ganz ruhig. Er erträgt es. Irgendwann geht die Tür ja wieder auf. Und dann geht er ganz schnell raus.

Porträt Geboren: 11. Oktober 1974 in Aamot, Telemark/Norwegen. Wohnort: Oslo Karriere: Erste Snowboard-Fahrten 1988. 1990 Fünfter bei der WM des Pionierverbandes ISF. 1991 erstmals Halfpipe-Europameister. 1992 erstmals Halfpipe-Weltmeister und US-Open-Gewinner. Bis heute zweimaliger Gewinner des Air&Style-Festivals, viermaliger Gewinner des Mount Baker Banked Slalom, dreimaliger US-Open-Champion, dreimaliger Weltmeister, fünfmaliger Europameister. 1995 Abkehr vom reinen Wettkampfsport, zunehmend Film- und Fotoarbeiten. 1998 persönlicher Olympia-Boykott. 2002 Gewinner der Nippon- Open. 2003 Zweiter der European Open.

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