Weltmeisterschaft:Die Welt zu Gast bei Formschwäche

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Wenn am Sonntag WM wäre, würde niemand gerne Jürgen Klinsmann sein: Der DFB hat zwar einen neuen Sportdirektor, aber im Augenblick keine Nationalelf.

Christof Kneer

Bestimmt ist das alles nur eine Intrige. Bestimmt ist Bert van Marwijk gar kein richtiger Fußballtrainer, bestimmt hat ihn Marco van Basten eingeschleust, Hollands Bondscoach. Und bestimmt hat er seinem V-Mann einen klaren Auftrag mitgegeben, der hier der Verständlichkeit halber ins Deutsche übersetzt werden soll: Du Bert, heißt der Auftrag, du bist Holländer wie ich, und es ist deine nationale Pflicht, den Deutschen vor der WM die besten Spieler wegzunehmen.

Bert van Marwijk macht keinen schlechten Job bisher. Sebastian Kehl hat er zur Tarnung ein bisschen besser gemacht, Christian Wörns hat er einfach gelassen wie er ist (womit er für Holland weiterhin keine Gefahr darstellt), und derzeit arbeitet er an seiner eigentlichen Zielperson: Er hat Deutschlands letztverbliebene Abwehrhoffnung Christoph Metzelder zuletzt zweimal auf die Bank gesetzt und durch einen Menschen namens Markus Brzenska ersetzt.

Schön ist das alles nicht, jetzt, da es nur noch 118 Tage sind, bis dieses heiligste aller Sportfeste beginnt. Wenn am Sonntag WM wäre, würde man nicht sehr gerne Jürgen Klinsmann sein. Wenn am Sonntag WM wäre, müsste man nämlich versuchen, die sechs Spieler Oliver Kahn, Arne Friedrich, Philipp Lahm, Michael Ballack, Torsten Frings und Tim Borowski so übers Feld zu verteilen, dass es elf ergibt.

Belastung durch Sportdirektor-Debatte

Womöglich könnte man noch Bernd Schneider hinzunehmen und den jungen Marcell Jansen, aber viel mehr Nationalspieler finden sich nicht, die vor dem vierten Rückrundenspieltag halbwegs in Form sind, wie das im Fußballdeutsch heißt. Hilfsweise ließen sich noch die fußfertigen Torsteher Jens Lehmann und Timo Hildebrand zu Feldspielern umpolen, aber dann wäre man auch erst bei zehn. Ist Klinsmann selbst noch eine Option? Und was ist mit Matthias Sammer, wozu haben wir den denn jetzt?

Der Deutsche ist ein komischer Mensch, das sieht man daran, dass er sich lustvoll mit einer Debatte über einen DFB-Sportdirektor belastet. Das Problem daran ist nur, dass diese lustige Funktionärsdebatte längst nicht mehr von den Sportlerdebatten zu trennen ist. Der Leistungseinbruch seiner Spieler ist für Klinsmann dramatisch genug, aber erschwerend kommt für ihn hinzu, dass er nicht mehr derselbe Klinsmann ist.

Mit seiner Sammerpetersposse hat sich der DFB den Luxus geleistet, kurz vor der WM seinen eigenen Bundestrainer anzugreifen, und die spannendste Frage ist nun, wie das funktionieren soll, dass ein geschwächter Trainer mit einem geschwächten Team ins Turnier zieht.

Die Welt zu Gast bei Formschwäche, das ist nicht direkt der Slogan, den Klinsmann im Sinn hatte, als er dieses heilige Amt übernahm. Er hat sich das so schön ausgedacht mit der planmäßigen Steigerung von Leidenschaft und Form, und nun muss er erleben, wie seinen Sportlern der Saft ausgeht. Vom ersten Tag an hat Klinsmann seine Spieler so radikal mit Mut gedopt, dass sie gar nicht anders konnten, als Sieg auf Sieg zu häufen. Nach den Siegen hat Klinsmann dann gesagt, dass seine Spieler das ganz, ganz toll gemacht haben und wie enorm, enorm das Projekt wächst.

Natürlich ist Klinsmann kein plumper Lobhudler, er hudelt mit Kalkül. Es war seine Strategie, zunächst über die Emotion an eine Elf heranzukommen, die nach der Euro 2004 in Demut erstarrt war. Jetzt scheint es, als lasse die Wirkung des Mutdopings nach - was sich speziell bei eher überschaubar veranlagten Spielern wie Owomoyela oder Hitzlsperger auswirkt, die ohnehin vor allem dank Euphorie und Teamgeist wettbewerbsfähig waren.

Was nun also? Auf die Hilfe der Liga kann Klinsmann eher nicht hoffen. Speziell beim Ligabesten in München haben sie oft betont, dass sie vor allem den Ligabesten aus München im Herzen tragen. Die WM des FC Bayern ist die Champions League, und ohnehin ist Trainer Magath nationaler Aufgeregtheiten eher unverdächtig.

Nicht mal Ballack als Konstante

Es kann ihm nicht gefallen, dass das Land von ihm ständig patriotische Beiträge in Form von deutschlastigen Mannschaftsaufstellungen einfordert. Heute spiele endlich mal die deutsche Nationalelf, hatte Magath vor dem Spiel in Berlin mit diabolischem Vergnügen beschlossen; bayerisch Deutschland hat dann aber nur nullnull gespielt, trotz Schweinsteiger, trotz Deisler.

Am Beispiel dieser beiden Hochbegabten lässt sich ermessen, wie vielfältig die Probleme sind, die Deutschlands Spitzenspieler aus dem Tritt gebracht haben. Während sich Deisler weiter auf der Suche nach seinem Spiel befindet, hat sich Schweinsteiger in einem Interessengestrüpp zwischen Berater, Umfeld und Familie verheddert. Nicht mal Ballack geht derzeit als verlässliche Konstante durch; er schleppt einen ungeklärten Vertragsfall ebenso mit sich herum wie eine zunehmende Anfälligkeit für Verschleißblessuren.

An Abwehrsorgen hatte man sich ja schon gewöhnt (aber auch die haben sich noch verschärft, wg. Metzelder, Sinkiewicz' Formabsturz und der Verletzung von Per Mertesacker); dass die Schwächeanfälle nun aber auch schon die vorderen Spielfeldbereiche erreicht haben, ist die eigentliche schlechte Nachricht. Kuranyi und Asamoah sind vom mysteriösen morbus Schalke befallen, der arme Klose reiht eine Verletzung an die nächste, und Podolski spielt in Köln.

Zurecht ist Klinsmann dafür belobigt worden, dass er sein Nationalteam so weit geöffnet hat wie nie; wenn nicht alles täuscht, wird er es nun aber noch weiter öffnen müssen. Er wird bei der WM auf eine Mischung aus Euphorie & Eigendynamik vertrauen müssen, und die Versäumnisse seines Vorgängers wird er sich dabei kaum leisten können. Rudi Völler hatte vor der Euro 2004 auf den formstarken Borowski verzichtet, weil der, wie man unter Trainern so sagt, noch nicht so weit war.

Klinsmann aber wird kaum etwas anderes übrig bleiben als die Welle zu reiten; die, die gerade obenauf surfen, werden ihm im Sommer am ehesten helfen können - nach derzeitigem Stand sind das Spieler wie Frankfurts Kampftechniker Jermaine Jones oder der leidenschaftliche Nürnberger Stefan Kießling. Und wer im WM-Viertelfinale gegen Holland Ruud van Nistelrooy ausschaltet, ist ja auch schon klar: Das macht dann Markus Brzenska.

© SZ vom 11.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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