Vorwürfe im Gewichtheben:"Im Namen des IOC-Präsidenten versandt"

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Bestreitet alle Vorwürfe: Gewichtheber-Chef Tamas Ajan. (Foto: Mariana Bazo/imago)

Warum tat das IOC nichts, als es von mutmaßlicher Veruntreuung durch den Gewichtheber-Chef Ajan erfuhr? Ging nicht, sagt das IOC - und verweist auf ein Sportgerichts-Urteil. Das besagt so ziemlich Gegenteil.

Von Thomas Kistner, München

Äußerst peinlich ist die am Wochenende durch eine ARD-Dokumentation ("Geheimsache Doping - Der Herr der Heber") ans Licht gebrachte Gewichtheber-Affäre bereits - vor allem für das Internationale Olympische Komitee. Allerdings könnte sie dem IOC, der höchsten Sportinstanz, auch noch gefährlich werden. Die Betrugsvorwürfe um den Weltverband IWF und dessen langjährigen Boss Tamas Ajan, 80, bringen das IOC jedenfalls enorm unter Druck: Strafrechtsexperten fordern, dass im Kontext einer mutmaßlichen Millionen-Unterschlagung auch das Verhalten des Ringe-Konzerns von der Schweizer Justiz untersucht werden müsse. Bis heute, beklagen mehrere IWF-Vorstände um den ehemaligen US-Funktionär Michael Cayton, sei der Verbleib von mindestens 5,5 Millionen Dollar aus den regulären olympischen Ausschüttungen des IOC an den Heber-Weltverband ungeklärt. Umso mysteriöser erscheint da die Existenz zweier Konten in Genf und Zürich, auf denen Fördergelder gebunkert wurden - und auf die nur Ajan persönlich Zugriff gehabt habe. Aber was tat das IOC? Denn dort fanden die IWF-Prüfer auf ihrer Suche nach den verschwundenen Millionen jedenfalls keine entschlossenen Mitstreiter, sondern das Gegenteil: eine geradezu unüberwindliche Hürde.

Das Misstrauen befiel die Gruppe aufrechter Heber-Funktionäre 2009, als interne Buchprüfer den Millionen-Fehlbetrag moniert hatten. Bei einer Sitzung zum Krisenthema machte Ajan damals keine konkreten Angaben zum Verbleib der Gelder, gab stattdessen Luftiges über Finanzmarkt-Verluste und eisernen Reserven zum Besten - und warnte vor öffentlichem Wirbel. Auch soll er auf eigene Verdienste um die finanzielle Situation des Verbandes verwiesen haben. All das belegt ein Audiomitschnitt von der damaligen Sitzung, der der ARD vorliegt.

Im Reich des Alleinherrschers Ajan, der sogar die Büros der in der Schweiz residierenden IWF zu sich nach Budapest verlegt hat, kamen die internen Fahnder nicht weiter. Also reichten sie im Februar 2011 Beschwerde beim IOC ein, mit der Bitte um Weiterleitung der Causa an das Ethikkomitee. Ajan ist IOC-Ehrenmitglied. Beigefügt waren Dokumente des internen Prüfberichts: Die Schweizer Konten waren nie in den Bilanzen aufgeführt, die im Anhang ebenfalls mitgeliefert wurden.

Aber das IOC reichte den Fall erst gar nicht weiter an die Ethiker. Es schloss die Causa einfach selbst. Das belegt ein Brief, den IOC-Chefjustiziar Howard Stupps am 20. Mai 2011 an die IWF-Ermittler geschickt hatte. Darin heißt es, das IOC sehe keinen Handlungsanlass, auf Basis der ihm vorliegenden Dokumente und "mit Respekt für die Autonomie des Verbandes".

Pikant: Das unter Druck geratene IOC verwies auf SZ-Anfrage gestern nur auf seine Stellungnahme von Montag. Darin hob es ein Urteil des (2011 von den ob der Absage "schockierten" IWF-Fahndern angerufenen) Sportgerichtshofs Cas hervor, in dem es heißt, auf Basis der olympischen Charta sehe das Gericht "keine Bezüge zwischen den Olympischen Spielen und internen Konten eines internationalen Fachverbandes". Die Logik des IOC: Man habe da gar nichts tun können. Ein Präzedenzfall für olympische Selbstreinigung. Die Aussage wirkt nicht nur vorm Hintergrund wohlfeil, dass das IOC auch ohne Zugriff auf fremde Verbandskonten alle Möglichkeiten hat, Rechenschaft über den Verbleib eigener Zuwendungen zu verlangen; zumal bei Mitgliedern. Wer das damalige Cas-Urteil vom 29. Juni 2012 aber genau liest, stellt vor allem fest: Der Cas hatte damit keineswegs in erster Linie das IOC in der Sache für nicht zuständig erklärt - sondern sich selbst. Zugleich befindet er, dass der Fall bereits abgehandelt worden sei, vom IOC, sogar abschließend - weil die Zurückweisung der Sache durch den IOC-Präsident endgültig sei. Im Urteil heißt es, bezogen auf Stupps Brief: "Ein im Namen des IOC-Präsidenten versandtes Schreiben, das die Ablehnung eines Antrags der Parteien enthält, stammt von einem "sportbezogenen Organ" (...) und stellt eine "Entscheidung im Sinne der Bestimmung dar."

Umso merkwürdiger, dass das IOC nun behauptet, es habe in der Sache nichts tun können - und dabei auf ein Cas-Urteil verweist, das just das Gegenteil besagt: Das IOC habe durchaus schon selbst alles getan - nämlich den Fall abgeschlossen.

Hinzu gesellt sich die Frage, warum das IOC, ganz losgelöst von der Abklärung dubioser Geldtransfers und möglicher Korruptionshandlungen, sein Mitglied Ajan nicht den Ethikern überstellt hat, allein schon aufgrund der belastenden Aktenlage? Über Ajan hätten die Aufpasser jederzeit entscheiden können. Dass es dazu noch kommen kann, deutet sich nun an - viele Jahre zu spät. Der Ethiker würden alle Dokumente bei der ARD anfordern, teilte das IOC am Mittwoch mit. Für Ajan könnte das noch unangenehm werden, zumal vor dem Hintergrund des Audiomitschnitts. Doch die Kernfrage ist viel grundsätzlicher: Was ist, wenn das IOC Kenntnis von potenziellen Strafsachverhalten erhält? Den deutschen Strafrichter Joachim Eckert, einst Spruchkammerchef beim Fußball-Weltverband Fifa, interessiert, ob das IOC damals, ungeachtet merkwürdiger Verfahrensfragen, wissen konnte, dass mit seinen Fördergeldern unsauber umgegangen wurde. Falls ja, hätten bis zur Klärung keine weiteren Gelder ausgereicht werden dürfen. Das sieht auch der Basler Strafrechtler Mark Pieth so, der den Fall geprüft hat - und gleich auf drei relevante Straftatbestände stieß. Entscheidend für ihn: dass die stillen Schweizer Konten nie in den IWF-Bilanzen aufgetaucht sind, woraus sich ja schon der Anfangsverdacht einer wirtschaftlichen Schädigung ergibt: "Zum Beispiel auch für den Schweizer Gewichtheber-Verband, wenn die Zuwendungen nicht stimmen". Tamas Ajan hat alle Vorwürfe strikt bestritten und eigene Schritte angekündigt. Substantielles geliefert hat er bisher nicht. Und bezeichnend ist, dass er zur Selbstverteidigung nun das Statement des IOC einsetzt, demzufolge der Cas diese Sache doch längst geklärt habe. So raffiniert rotiert der autonome Sport sich um sich selbst. Unabhängige Experten wie Eckert haben einen anderen Blick auf das damalige Cas-Urteil: "Auf mich wirkt es so, als habe man hier kein Interesse gehabt, schlafende Hunde zu wecken. Dann wäre es nicht allein gegen diejenigen gegangen, die Gelder veruntreut haben, sondern auch gegen die, die das zugelassen haben - aus welchen Gründen auch immer." Ergo: das IOC.

© SZ vom 09.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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