Vor Länderspiel gegen Slowakei:Kassandra im Moorbad

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In Bratislava steht die phänomenale Einstandsbilanz von Bundestrainer Löw auf dem Spiel.

Philipp Selldorf

Gleich nach der Ankunft mit der Nationalelf am Flughafen Bratislava folgte Bastian Schweinsteiger dem Beispiel seiner Mitspieler: Er telefonierte. Das wäre kaum erwähnenswert, wenn es nicht am Tag zuvor aus dem deutschen Lager besorgte Berichte gegeben hätte, dass Schweinsteiger an Ohrenschmerzen leide. Von Schmerzen war beim fröhlich telefonierenden Mittelfeldspieler aber nichts zu erkennen, im Gegenteil -nur widerwillig trennte er sich bei der Passkontrolle von seinem Mobilfunkgerät.

Bastian Schweinsteiger am Flughafen von Bratislava (Foto: Foto: AFP)

Diese Art des Elchtests für Ohrenpatienten brauchte Joachim Löw aber nicht mehr zu beaufsichtigen. Schweinsteiger hatte dem Bundestrainer bereits am Morgen vor der Abreise aus Heiligendamm mitgeteilt, dass er sich viel besser fühle, und Löw nahm das außerordentlich dankbar auf.

Ohrenschmerzen bei Schweini

Noch am Tag zuvor hatte es ihn ernsthaft bekümmert, dass Schweinsteiger, derzeit in Hochform, wegen der Entzündung im Ohrgang das Training versäumte.

"Für uns ist es enorm wichtig, dass er spielen kann", berichtete Löw am Mittag. "Er gibt Impulse und kann Spiele mitentscheiden, manchmal sogar allein entscheiden." Sicher hätten Schweinsteigers Ohren die Botschaft wie Medizin aufgenommen - wenn sie noch welche gebraucht hätten.

Für den Bundestrainer haben sich damit die Voraussetzungen vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen die Slowakei im kleinen Stadion Tehelne Pole günstig gefügt. Sämtliche Reisende meldeten sich beschwerdefrei, selbst Oliver Neuville ist während der knappen Woche mit dem Nationalteam von seiner nicht unerheblichen Achillessehnenreizung genesen.

Das Klima der Mannschaft scheint heilsam zu sein wie ein Moorbad, aber genau das ist es ja, was den Kapitän nervös macht. "Die Mannschaft strahlt große Zuversicht aus und ist voller Selbstvertrauen - das sind immer die gefährlichsten Momente", stellte Michael Ballack fest, als er im Mannschaftshotel das Schlusswort vor den deutschen Journalisten sprach.

Möglicherweise hat Ballack beim FC Bayern doch eine Prägung fürs Leben erhalten, jedenfalls kam es einem vor, als ob hier Oliver Kahn den letzten Spielführerappell vor einem bedeutenden Champions-League-Duell spräche.

Ballack: Alles oder nichts

"Es geht um alles oder nichts", sagte Ballack. "Wenn wir das morgige Spiel verlieren, wird es sehr, sehr schwer in der Gruppe", erklärte er und äußerte auch die Befürchtung, dass sich in der gegenwärtigen Hochstimmung "ein paar Prozente Nachlässigkeit einschleichen".

Dieser Kassandra-Rhetorik mochte sich der Bundestrainer nicht anschließen, doch auch ihm ist bewusst, dass sein phänomenaler Einstand als oberste Lehrkraft des deutschen Fußballs - nach vier Zu-Null-Siegen von Georgiens Trainer Klaus Toppmöller auf die Formel "19:0 für Jogi" gebracht - nur noch die Hälfte wert ist, sollte seine Mannschaft in Bratislava verlieren.

"Jedes Länderspiel kann durch eine schlechte Leistung die guten Spiele, die es vorher gab, in den Hintergrund treten lassen", weiß er. Auch Löw betrachtet die Begegnung mit den sturmstarken Slowaken als schwerste Herausforderung seiner Amtszeit. "Die Mannschaft ist stabiler geworden, das stimmt", sagt er zwar, "aber wir stehen auch erst am Anfang und müssen das noch unter Beweis stellen."

Bisher musste sich die Arbeit des Cheftrainers Löw noch in keinem Auswärtsspiel bewähren, ohnehin sind die Deutschen dieser Pflicht seit März entwöhnt - der Auftritt im Zwergstaat San Marino mit dem 13:0-Spektakel blieb ein Sonderfall.

Die Begegnung in San Marino diente immerhin als moralische Aufbauhilfe für Lukas Podolski, dem dieser Tage außer einer Menge Ferndiagnosen von Günter Netzer bis Udo Lattek auch die besondere Fürsorge seiner Mitspieler und seines Trainers zuteil wird. "Lukas ist ein Juwel im deutschen Fußball, ein Juwel!", sagte Löw am Dienstag beinahe feierlich.

Juwel Podolski

"Er ist einer der talentiertesten Spieler, die in den letzten Jahren zur Nationalmannschaft gekommen sind. Wir haben die Pflicht, ihn in Schutz zu nehmen." Den höchsten Schutz gewährt er ihm dadurch, dass er ihn für die Startelf nominiert. In Bratislava wird es Podolski vielleicht auch leichter haben als am Samstag, weil er wieder neben Lieblingspartner Miroslav Klose spielen kann, ohnehin baut Löw die Elf ja wieder zum serienmäßigen Modell um.

Von den vier Neulingen findet dank seiner Nischenbegabung als Rechtsverteidiger nur Clemens Fritz Verwendung. "Ich denke, dass wir voller Optimismus ins Spiel gehen", sagt Löw - auch wenn Michael Ballack das gar nicht gern hört.

© SZ vom 11.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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