Vor dem Tschechien-Spiel:Poker im Verborgenen

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Ungewöhnlich ernsthaft: Joachim Löw betrachtet die Partie gegen Tschechien als vorläufigen Höhepunkt seiner Bundestrainerlaufbahn.

Philipp Selldorf

Berufsmäßige Beobachter, die am Mittwoch um 10 Uhr zum Training der Nationalmannschaft in die kleine Kampfbahn am Frankfurter Stadion gekommen waren, registrierten es mit Erstaunen: Schon nach 15 Minuten war Schluss.

Allerdings nicht mit dem Training der Nationalspieler, sondern mit der Erlaubnis zum Zuschauen. Zwar war den Berichterstattern angekündigt worden, dass die Übungseinheit nur während der ersten Viertelstunde zugänglich sein würde - aber jeder hatte geglaubt, dass Joachim Löw weiterhin wie Michail Gorbatschow das Prinzip Glasnost walten lassen würde.

Schließlich war Löws Informations- und Öffentlichkeitspolitik im Vergleich mit dem unerbittlichen Jürgen Klinsmann allgemein als "Wind of Change" empfunden worden.

In Erwartung des Qualifikationsspiels in Prag am Samstag behält sich Löw aber einige Firmengeheimnisse vor. Er betrachtet die Partie gegen Tschechien als vorläufigen Höhepunkt seiner Bundestrainerlaufbahn und legt daher gesteigerten Wert auf eine konzentrierte Vorbereitung.

Die U21 dominiert - im Spielcasino

Ablenkungen, etwa der vorgesehene Leistungstest in Verbindung mit den Spielern der U-21-Elf, wurden daher gestrichen. "Wir hatten das Gefühl, dass wir jede Trainingseinheit nutzen sollten", erläuterte Löw.

Zum Kräftemessen mit den Junioren kam es dennoch: beim gemeinsamen Abendessen am Dienstag, dem ein Beisammensein in einem improvisierten Spielcasino im Hotelsaal folgte.

Gespielt wurden Black Jack und Poker, unter Aufsicht professioneller Croupiers, und es gab aufsehenerregende Erkenntnisse. Die Etablierten mussten sich dem Nachwuchs geschlagen geben, einige seien gar "völlig frustriert vom Spieltisch aufgestanden", berichtet Löw, "die U 21 hat absolut dominiert".

Am Schluss waren der Mönchengladbacher Polanski und der Schalker Neuer die Spielgeldkönige, nur Lahm rettete als Dritter die Ehre der A-Nationalspieler, während Kollege Schweinsteiger wegen Bankrotts schmählich rasch ins Bett musste ("Gott sei dank war es nur Spielgeld").

Ansonsten ist die Zusammenkunft des Nationalteams von ungewöhnlicher Ernsthaftigkeit geprägt, mancher Fußballer mag sich vorkommen wie beim Fortbildungsseminar.

Schon am Dienstag gab es die erste Unterrichtsstunde, die über den nächsten Widersacher informierte, Chefscout Urs Siegenthaler referierte in Wort und Bild über die besonderen Merkmale der tschechischen Mannschaft, die Löw, nicht verwunderlich, für den "wahrscheinlich schwierigsten Gruppengegner" hält.

Sieben der 20 Auserwählten haben die Tschechen zudem aus eigener Anschauung in unschöner Erinnerung, fünf von ihnen (Lahm, Ballack, Schweinsteiger, Schneider, Podolski) haben die letzte Begegnung leibhaftig erleiden müssen. Sie brachte eine Zeitenwende im deutschen Fußball: Das 1:2 in Lissabon beendete den Auftritt bei der Europameisterschaft 2004 und veranlasste Rudi Völler zum Rücktritt.

"Das wird jetzt aber kein Thema mehr sein", meint Löw, denn zwischen 2004 und 2007 besteht nach seiner Ansicht ein Unterschied wie zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert: "Wir sind viel stabiler als vor zweieinhalb Jahren, gereifter, viel selbstbewusster und sicherer in unserem System und unserer Spielweise."

"Überraschungen nicht ausgeschlossen"

An diesem Stand des Fortschritts will man sich messen lassen. Lukas Podolski möchte die Partie am Samstag als Vorführmodell verstanden wissen, um "ein Zeichen an die anderen Nationen zu setzen", auch Schweinsteiger sieht eine "gute Chance, um in Europa zu zeigen, dass wir auch auswärts gewinnen können".

Am Erhalt des neuen Glaubens arbeitet Löw mit Sorgfalt - und wie sein tschechischer Kollege Karel Brückner, der alle Reporter vom Trainingsplatz entfernen ließ (siehe nebenstehende Meldung), lieber im Verborgenen. Laufwege, Spielzüge, Spielauslösung, die defensive Organisation, das Umschalten in die Offensive bei Balleroberung sind die wesentlichen Lektionen, "um Automatismen einzuschleifen".

Ein Schwerpunkt liegt auf der Strategie für die Deckung, die auf einer Viererkette mit Lahm als rechtem und Jansen als linkem Verteidiger sowie den zentralen Abwehrkräften Mertesacker und Metzelder aufbaut. Voraussichtlich. Bei der Aufstellung sind "Überraschungen nicht ausgeschlossen", erklärte Löw mysteriös und lobte die Neulinge Castro, Kießling und Hilbert.

Und dann gibt es noch einen Extrakursus, der den Titel trägt: "Wie verhalte ich mich gegen Jan Koller?". Vor dem in Ehren gealterten, mittlerweile in Monaco tätigen Stürmer hat Löw eine Menge Respekt, besonders dann, wenn sich der riesenhafte Angreifer mit dem zarten Mittelfeldgenie Tomas Rosicky verbündet.

Als Sonderberichterstatter wird Löw noch Torwart Lehmann (Rosickys Mitspieler beim FC Arsenal) und Verteidiger Metzelder (Kollers ehemaliger Kollege in Dortmund) hinzuziehen. Jens Lehmann machte sich das Gebot der strengen Vertraulichkeit gleich zu eigen und erwiderte auf die Frage nach einem Gegenmittel gegen den Jan Koller: "Es wäre nicht geschickt, das vorher zu sagen." Denn die Spione sind überall.

© SZ vom 22.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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