Von "Austria Salzburg" zu "Red Bull Salzburg":Wie der Fußball zerfällt

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In Salzburg sieht man heute schon, was aus unserem Lieblingssport mal werden wird. Traditionsclubs werden von Konzernen übernommen - und die Wirkung modernen Marketings scheint selbst in der Spielerbesetzung sichtbar zu werden.

Holger Gertz

Plötzlich sind überall Japaner. Sie stehen auf dem Parkplatz und am Eingang zum Spielertrakt. Dutzende Japaner vor dem Stadion von Red Bull Salzburg erzeugen das für wartende Japaner typische Geräusch surrender Kleinkameras. Dutzende Japaner haben Dutzende Plastiktüten dabei, darin sind Mozartbüsten aus Gips, die sie vorhin in den Souvenirgeschäften der Stadt gekauft haben. Japanische Touristen kaufen alles. Jetzt warten sie auf Tsuneyasu Miyamoto, der seit ein paar Tagen hier spielt, hier in Salzburg.

Japans Nationalspieler Tsuneyasu Miyamoto - werbewirksam eingekauft? (Foto: Foto: ap)

Dem Nationalspieler Miyamoto brach während der WM 2002 das Nasenbein, und er musste mit einer schwarzen Gesichtsmaske weiterspielen. Seitdem gibt es in Japan Comichefte, in denen er vorkommt, der Maskenmann, das Idol. Sie haben ihm in Salzburg die Nummer 17 gegeben, und im Fanshop haben sie an diesem Tag schon ein paar Trikots verkauft. An die Japaner. Es ist ein kalter Tag, die Japaner schnattern und atmen Wölkchen.

Dann kommt endlich Miyamoto, sein Haar feucht von der Dusche nach dem Training. Zwei japanische Fernsehteams sind da, die Kameraleute stürzen auf ihn zu, er muss sich sein neues Trikot vor die Brust halten, ein fleischiger Japaner fällt über ein Kamerakabel, ein anderer drängt sich mit Mozartbüste und dickem Filzstift nach vorn, nah an den Fußballer. Sie reden kurz. Dann unterschreibt Tsuneyasu Miyamoto auf dem Sockel von Wolfgang Amadeus Mozart.

Was Miyamoto trinkt, trinkt Japan

Es ist der Moment, in dem die Wirkung modernen Marketings sichtbar wird. Vor zwei Jahren hat der Unternehmer Dietrich Mateschitz - Verkäufer von jährlich drei Milliarden Dosen Red Bull - den stolzen, aber heruntergewirtschafteten Verein Austria Salzburg übernommen. Seitdem heißt er Red Bull Salzburg. Seitdem hat Mateschitz eine Menge berühmter Fußballer hergelockt, ein paar von ihnen schon nahe am Verfallsdatum, aber bitte: Der Japaner lockt die Japaner.

Die Bilder von Miyamoto mit den roten Bullen auf dem Trikot werden in Japan zu sehen sein, die Fernsehteams werden zu den Spielen kommen, der Tourist wird seine signierte Büste mit nach Hause bringen, sie wird beweisen, wen er in Salzburg getroffen hat: Mozart und Miyamoto. Man wird in Japan sagen: Wer für Red Bull spielt, der wird Red Bull auch trinken. Und was Miyamoto trinkt, trinkt Japan.

Lothar Matthäus trinkt auch Red Bull, sagt er. An diesem Tag nach dem Vormittagstraining, im Restaurant hinter der VIP-Tribüne, bevorzugt er zwar Wasser, aber er sagt, Red Bull schmeckt hervorragend. Lothar Matthäus weiß, was er seinem Arbeitgeber schuldet, das immerhin ist ihm klar, auch wenn er sonst, als Trainer, noch auf der Suche ist.

Er hat Partizan Belgrad trainiert, die ungarische Nationalmannschaft, ein Team in Brasilien, dann ist er nach Salzburg gekommen. Er wohnt auch da. "Der serbischen Sprache war ich nicht mächtig, der ungarischen nicht, auch in Brasilien brauchte man eine dritte Person für die Kontaktaufnahme zu den Spielern. Da ist die Arbeit in Salzburg ein bisschen wie nach Hause kommen."

Wie Pavarotti in Bad Salzschlirf

Matthäus war mal einer der besten Fußballer der Welt, der WM-Sieg 1990 war seiner. In der deutschen FußballAhnengalerie liegen nicht viele Spieler zwischen Beckenbauer und ihm. Ihn jetzt in Salzburg zu sehen, als Trainer von Red Bull, das wirkt irgendwie so, als sänge Pavarotti in Bad Salzschlirf.

Aber er ist ein Marketingtalent, und ob er sich die Dinge schönredet oder tatsächlich an das glaubt, was er sagt, kann man nicht heraushören, wenn er spricht. Lothar Matthäus spricht noch immer viel, und seine Worte untermalt er inzwischen mit absichtsvoll gesetzten Handbewegungen, wie ein Moderator oder Schlagersänger.

"Mozart", sagt er, "Mozart ist natürlich mit Salzburg in einer ganz engen Verbindung, Salzburg ist ja für Mozart mehr bekannt als für irgendetwas anderes, aber was die Musik angeht, ist das nicht meine Richtung." Bei seinem Tisch stehen jetzt Japaner. Matthäus sieht die Japaner. Er sagt: "Wir haben Miyamoto nach Salzburg geholt, den japanischen Völler, und natürlich ist das Medieninteresse im Land der aufgehenden Sonne deshalb sehr groß."

Es gibt nicht mehr viele Menschen, die vom Land der aufgehenden Sonne sprechen, wenn sie Japan meinen. Matthäus sagt: "Es ist ja gemunkelt worden, dass wir ihn verpflichtet haben, damit sich Red Bull in Japan besser verkauft. Aber er ist natürlich da, weil er eine Verstärkung für die Mannschaft ist."

Inventoren, Oligarchen und Geldmenschen

Matthäus lässt seinen Blick schweifen in das Vereinsheim. Kein Vereinsheim mit verstaubten, verrauchten Wimpeln an der Wand, sondern ein Restaurant. Es heißt "Bull" s Corner". In Glasvitrinen: gewienerte Bälle und Modelle von Rennwagen - Red Bull leistet sich zwei Rennställe in der Formel 1. Über der Theke eine Riesenleinwand, Fußball aus der Premiere League. Nichts in diesem Restaurant ist violett.

Matthäus hat gehört, dass das mit dem fehlenden Violett ein Problem ist. Aber es ist nicht seins. Er ist Tabellenführer mit Red Bull. Er sagt: "Natürlich ist das den eingefleischten Fans, die die Farbe ihres alten Vereins auf dem Herz tragen, ein Dorn im Auge." Er lächelt wie ein Moderator. Es berührt ihn nicht.

Vielleicht ist es so, dass der Fußball gerade zerfällt, in zwei Teile. Da sind die Investoren, Oligarchen und Geldmenschen, sie wollen wahrgenommen werden wie Roman Abramowitsch, der sich den FC Chelsea als Spielzeug hält und dadurch selbst zu einer Figur des Showgeschäfts geworden ist. Sie wollen verdienen am Fußball, wie Wiktor Wexelberg, auch ein Oligarch, dessen Unternehmen die Vermarktungsrechte an der argentinischen Nationalmannschaft hält, Freundschaftsspiele vereinbart und die Fernsehrechte verkauft.

Freundschaftsspiele soll Argentinien überall auf der Welt austragen, wo es sich rechnet - aber eher nicht mehr in Argentinien. Die Fans dort haben rebelliert, wie die Fans in Manchester, als ein amerikanischer Milliardär die Mehrheit von Manchester United übernahm. Wie die Fans des FC Wimbledon, der einfach in eine andere Stadt verlegt wurde, wo ein Shopping-Paradies aufgebaut worden ist - ein Fußballverein als Lockmittel, um Kundschaft zu ködern.

Neue Farbenlehre im Fußball

Die Fans des FC Wimbledon gründeten einen neuen Verein, den AFC, mit dem fingen sie ganz unten wieder an, und ganz unten bedeutet in dieser Ecke Englands: die Seagrave Haulage Premier Division. Auch die

Fans in Manchester haben einen neuen Verein gegründet, in dem die Werte des alten Fußballs überwintern sollen. Sogar jene Fans, die im vergangenen Jahr pöbelnd eine Mitgliederversammlung des Hamburger SV platzen ließen, sind in gewissem Sinn Teil einer Bewegung, deren Mitglieder sich als Seelenretter verstehen. Oder als Gewerkschafter in einer Szene, die Fußballvereine immer mehr zu Konzernen werden lässt, zu Spekulationsobjekten von Investoren.

Auch die Fans von Austria Salzburg haben einen neuen Verein gegründet, er heißt SV Austria Salzburg. Violett ist seine Farbe. Violett ist auch ein Symbol. In seinem Büro sitzt Moritz Grobovschek, 32, Fan der alten Austria, Vorsitzender der neuen. Das Gespräch beginnt mit Farbenlehre. Ein Verein wie Austria Salzburg ist ja nicht einfach violett auf die Welt gekommen, violett und weiß, weil der Gründer irgendwas mit der lila Kuh zu tun gehabt hätte.

Die gab es damals noch nicht, 1933, als die Salzburger Vereine Hertha und Rapid zur Austria zusammengeschlossen wurden, kurz vor dem Österreichischen Bürgerkrieg. Violett war die Farbe der Einheit. Violett war ein Statement. Violett war nicht: Marketing. Moritz Grobovschek sagt: "Der Name hat sich später öfter geändert, aber violett ist der Verein immer geblieben. Die Farben sind es, an denen wir uns festhalten konnten."

Schlachtruf: Austria

Austria Salzburg hatte verschiedene Sponsoren über die Jahre, und weil sie in Österreich nicht zimperlich sind, wenn der Geldgeber auch im Namen aufleuchten will, hieß der Verein Sparkasse Austria, Casino Austria, Casino Salzburg, Wüstenrot Salzburg und zwischendurch SV Gerngross A. Salzburg. Gerngross war, auch wenn man den Namen als Umschreibung für die Ambitionen des Vereins verstehen könnte, eine Kaufhauskette.

Es ging rauf und runter mit der Austria, erste Liga, zweite Liga, immer den Rivalen Rapid Wien im Blick, aber kaum gut genug, ihm trotzen zu können. Bis die Neunziger kamen: drei Meisterschaften, Uefacup-Finale knapp verloren gegen Inter. Zuletzt war es wieder bergab gegangen, sie spielten schlecht, verschuldeten sich. Aber sie waren violett. Und die Fans sangen über all die verschiedenen Namen hinweg ihren dreisilbigen Schlachtruf: AUSTRIA! Sie sangen ihn 72 Jahre.

Für einen Fan wie Moritz Grobovschek ist Fußball nicht nur Gewinnen. Auch Verlieren. Angst haben. Die zweite Liga im Rücken spüren. Fan eines Fußballvereins sein bedeutet, sich persönlich geehrt fühlen, wenn der oder der Fußballer sich bereiterklärt, für den eigenen Verein zu spielen. Es ist dann so, als hätte eine schöne Frau in ein Treffen eingewilligt.

Fan sein bedeutet, das grausige Gekicke der eigenen Mannschaft zu verfluchen, aber dann, in der Sommerpause, schlechte Laune zu haben, weil grad kein Fußball gespielt wird. Fan sein bedeutet, der Mannschaft überallhin zu folgen, wenigstens in Gedanken, notfalls in die dritte Liga, aber auch zum Europapokal nach Limassol. Fan sein bedeutet, eine Heimat zu haben; die Gewissheit: Auch wenn ich im Krankenhaus bin oder sogar im Gefängnis, meine Mannschaft wird spielen.

Fan sein

Fan sein heißt, eine Ahnung davon haben, dass es immer weitergeht. Und wenn die nächste Saison anfängt, kommt der Fan zum Stadion, riecht das noch nicht plattgetretene Gras, riecht das Bier, raucht eine Zigarette, trägt das neue Trikot, hört die Spieler kommen, die Schritte der Stollenschuhe im Kabinengang. Dann geht es wieder los.

Als Red Bull den Laden 2005 übernahm, erzählt Moritz Grobovschek, waren nicht alle Fans dagegen. Mateschitz" Leute versprachen einen Aufschwung. Siege, Meisterschaft, Teilnahme an der Champions League. Natürlich ist die Champions League für jeden Fan etwas Schönes, und auch mit dem Namen Red Bull hätten einige zur Not leben können. Wer schon mal Gerngross genannt wurde und gegen Gegner antritt, die "SV Josko Fenster Ried" heißen, ist so schnell nicht aus der Fassung zu bringen.

Aber etwas zerbrach, als es um die Farben ging. Grobovschek war bei den Verhandlungen dabei, als Vertreter der Initiative Violett-Weiß. Die Fans wollten violette Trikots, jedenfalls einen deutlich sichtbaren Anteil Violett in den Hemden. Aber die Männer von Red Bull - sie sind nicht nur Sponsoren, sondern mächtige Eigentümer - wollten ihre Firmenfarben, Rot-Weiß bei Heimspielen, auswärts Blau.

"Das letzte Angebot von ihnen war: ein violettes Kapitänsschleiferl, violette Torwartstutzen und möglicherweise auch das adidas-Logo auf dem Trikot violett." Die Fans, diese Fans, begriffen das Angebot so, wie es gemeint war. Red Bull war nicht länger ihr Verein. Es war vorbei. Etwas ging nicht weiter.

Es geht um Werte

Red Bull spielt am Stadtrand in Wals-Siezenheim, in einem Stadion, das auch bei der EM im kommenden Jahr genutzt wird. Man kann sich während des Spiels per SMS eine Dose Red Bull an seinen Platz bestellen. Bei jedem Heimspiel wird eine Schönheitskönigin gewählt, die Red Bullerina. Manchmal dröhnt Rindergebrüll aus den Lautsprechern. Auch treten Stimmungsmacher auf; es fühlt sich eher nach Touristensause an als nach Fußball.

Grobovschek sagt: "Klassische Fußballstimmung wie in den alten englischen Stadien gibt es auch anderswo nicht mehr, aber es muss nicht sein, dass man in ein Stadion reinkommt, und es ist eine Lichterorgel angeschaltet, dass man denkt, man ist in einer Diskothek."

Es gibt also jetzt zwei Austria Salzburgs in Salzburg. Es geht nicht nur um Farben, es geht um Werte, um eine Haltung. Die Geschichte spielt in Salzburg, aber sie könnte überall spielen, wo der moderne Kommerzfußball den alten Gefühlsfußball frisst. Der Mateschitz-Verein führt die Tabelle der ersten Liga mit zehn Punkten Vorsprung an, Grobovscheks alte neue Austria spielt in der 7. Liga, sehr erfolgreich.

Sie haben alte Austria-Spieler in den Verein geholt, als Trainer, Betreuer, und Grobovschek sagt, 1000 Zuschauer sind immer da, bei Spitzenspielen 2000. Vielleicht können sie mit ihrer Austria irgendwann in der zweiten Liga spielen, das ist das Ziel, aber wichtiger ist, dass die alte Austria, des Fußballs Kern, am Leben ist. Manchmal lebt sie sogar da, wo die Roten Bullen hausen.

Museum mit Lebendobjekten

Als Red Bull gegen Rapid Wien spielte, den alten Rivalen, spannten die Wiener Transparente, auf denen stand: "Farbenklau, Traditionsverkauf - wo hört dieser Schwachsinn auf?" Die Zuschauer vom Gegner Mattersburg hatten "Stopp dem Rinderwahn" auf Laken geschrieben, die Fans aus Ried "Nie wieder Red Bull Whiskey!" Auch das Lied "Bullenfreie Zone", zur Melodie von Vamos a la playa, wurde von Gegnerfans gesungen, die also dem huldigten, was von der Austria übrig geblieben ist.

Aber im "Bull"s Corner", dem Restaurant hinter der VIP-Tribüne, wo Lothar Matthäus über Mozart spricht und die Atmosphäre einer alten Vereinskneipe so restlos getilgt ist wie das Violett von den Trikots, hört man über sowas locker weg. Das Stadion ist gut besucht, auch ohne die alten, echten Fans, mit denen die Japaner und Deutschen und Schweizer und Tschechen im Team eh nie zu tun hatten. Nico Kovac und Alexander Knavs und Vratislav Lokvenc, dazu die Trainer Matthäus und Trapattoni, alter Bundesliga-Adel. Nach dem Training wirkt Bull"s Corner wie ein Museum mit Lebendobjekten drin.

Alexander Zickler ist auch dabei, früher bei Bayern, noch früher bei Dresden. Ewig ein Talent gewesen, aber wenn es drauf ankam, hat er sich immer schwer verletzt. Es war tragisch. Erst bei den Red Bulls hat sein Körper ihm erlaubt, ein richtiger Torjäger zu werden. Zickler sitzt Lothar Matthäus gegenüber, sie reden über Fußball und Tradition und die Farbe Violett.

Zickler trägt auch beim Essen eine Wollmütze, und wenn er spricht, klingt er wie Ballack. Er sagt: "Ich weiß nicht, warum diese Fans nicht irgendwo, ich sag mal, umdenken können. Man kann auch in Violett Stimmung machen für Rot-Weiß, das ist doch kein Problem." Lothar Matthäus sagt: "Mit Red Bull auf der Brust spielen ist immer noch besser wie mit Aspirin, bei Bayer."

"Schmeckt auch besser", sagt Zickler, der es genießt, endlich zeigen zu dürfen, was sein Spitzname all die Jahre versprochen hat: Sie nannten ihn Zico. Und Matthäus hat endlich als Trainer den Erfolg, an den er als Spieler gewöhnt war. Zwei sind angekommen.

So ist Fußball. Zwei Rote Bullen, denen egal ist, dass andere dabei etwas verloren haben.

© SZ vom 3.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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