Volleyball:Von der Kleinstadt in die Welt

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Erst war sie in Vilsbiburg überfordert, dann verließ sie den Klub als wertvollste Spielerin der Liga: Roslandy Acosta (rechts). (Foto: imago)

Die Roten Raben Vilsbiburg haben sich einen Namen gemacht als Startpunkt für die große Karriere - und so hat sich der Kader wieder verändert.

Von Katrin Freiburghaus

Marlies Wagendorp sitzt in ihrer neuen Wohnung und ist aufgeregt. Die 22-jährige Niederländerin ist einer von sechs Zugängen bei den Bundesliga-Volleyballerinnen aus Vilsbiburg. Es ist ihre erste Station im Ausland - und ihre Wahl kein Zufall. Obwohl sie international unbekannt ist, hält ihr neuer Trainer Jonas Kronseder große Stücke auf sie. "Spielerinnen wie sie haben noch keinen hohen Marktwert, das bedeutet aber nicht, dass sie schlechter sind", sagt er. Der Trainer gibt unumwunden zu, dass Vilsbiburg aus finanziellen Gründen auf die Verpflichtung von Spielerinnen setzt, die großes Potenzial besitzen, es aber noch nicht der halben Welt gezeigt haben. Von Vereinsseite folgt die Transferpolitik also einem klaren Muster. Was aber bewegt Spielerinnen aus den USA, Japan oder Nordeuropa dazu, ins ländliche Niederbayern zu wechseln?

50 potenzielle Zugänge hat sich Trainer Kronseder auf Videos angeschaut

Wagendorp musste nicht lange überlegen. "Als mir mein Agent sagte, dass sie an mir interessiert sind, konnte ich es erst gar nicht glauben", sagt sie, "es ist wirklich großartig." Ihre Begeisterung klingt ein bisschen wie bei einem Nachwuchs-Kicker, bei dem der FC Bayern angefragt hat. Das mag im ersten Moment irritieren, denn Vilsbiburg ist eine Kleinstadt mit weniger als 12 000 Einwohnern. Wenn man sich ein bisschen umhört, legen die Reaktionen in der Szene jedoch nahe, dass Wagendorps Vorfreude auch in ihrer Intensität ernst zu nehmen ist.

"Ich habe mit ein paar Leuten gesprochen, bevor ich unterschrieb, und sie haben mir alle sofort zugeraten", sagt die Mittelblockerin. Vilsbiburg gelingt es, ein Gesamtpaket anzubieten, das auch international ankommt: sportlich auf hohem Niveau solide, auf Vereinsebene familiär, insgesamt verlässlich. "Deutschland hat den Ruf, dass Gehälter gezahlt werden - auch in der vereinbarten Höhe. Und Vilsbiburg hat sich bei den Agenten einen Namen als einer der Top-Klubs in Deutschland erarbeitet", sagt Trainer Kronseder. Doch die Spielerinnen schätzen nicht nur die Zahlungsmoral. Saana Koljonen, Vilsbiburgs neue Libera aus Finnland, sagt: "Es ist gut organisiert. Wenn wir sagen, dass um 18 Uhr Training ist, ist um 18 Uhr Training. Und wenn die Leute sagen, dass sie sich um etwas kümmern, kümmern sie sich. Das mag ich."

Koljonen kennt zwei der neuen Angreiferinnen bereits. Die Amerikanerin Keao Burdine spielte in Finnland mit ihr, Courtney Felinski gegen sie. Der Mix, den Zuspielerin Naoko Hashimoto (Japan) und Kerley Becker (Brasilien) komplettieren, ist deshalb gar nicht so bunt, wie er zunächst wirkt. Kronseder hatte sich im März die ersten Listen der Spieleragenten schicken lassen, gut 50 potenzielle Kandidatinnen habe er sich auf Videos angeschaut, ehe der Kader mit sechs Spielerinnen aus der Vorsaison und sechs neuen komplett war.

Um fertige Profis einzukaufen, fehlt das Geld. Im Gegensatz zu finanziell besser gestellten Klubs im Ausland oder zur nationalen Konkurrenz aus Dresden und Stuttgart muss Vilsbiburg auf Entwicklung bauen und genaue Vorstellungen davon haben, was es von neuen Spielerinnen erwartet. Wagendorp berichtet von einem langen Telefonat mit Kronseder, an dessen Ende sie sich sicher gewesen sei, "dass die genau wissen, wofür sie mich holen".

Kronseder bestreitet nicht, dass es mit einem Risiko verbunden sei, Spielerinnen zu verpflichten, die man nur von Videos und vom Hörensagen kenne. Dass es in vielen Fällen klappt, belegen neben sportlichen Erfolgen aber auch die Transferhistorien ehemaliger Spielerinnen. Michelle Bartsch etwa entwickelte sich innerhalb einer Saison so rasant, dass sie im Jahr darauf nach Dresden und nun weiter nach Italien wechselte. Vergangene Saison war Roslandy Acosta in ihrem ersten Punktspiel noch komplett überfordert - im Frühjahr verließ sie Vilsbiburg als wertvollste Spielerin der Liga in Richtung Potsdam.

Derartige Erfolgsgeschichten sprechen sich herum. "Vom Niveau sind wir im gehobenen Mittelfeld", sagt Kronseder. An die Top-Ligen in Europa komme man nicht heran, "aber viele nehmen uns als Sprungbrett dorthin". Dass Vilsbiburg im zweithöchsten europäischen Wettbewerb, dem CEV-Pokal, startet, verstärkt den Effekt. Kronseder begreift das System, in dem die Großen bei den Kleinen einkaufen, nicht als Gegner, sondern arbeitet mit ihm. "Marlies ist in ihrem Heimatverein auch lange gefördert worden. Und jetzt, wo sie dort Verantwortung übernehmen könnte, holen wir sie", sagt er über Wagendorp. Er ziehe es vor, stolz darauf zu sein, wenn Spielerinnen in Vilsbiburg sportlich vorankämen. Je schneller, desto besser - die Saison beginnt Ende Oktober.

© SZ vom 27.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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