Volleyball:Raus aus dem Versteck

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Im Einsatz für Zenit St. Petersburg: Georg Grozer hat wie die meisten Teamkollegen internationale Vereins-Erfahrung gesammelt. (Foto: Markus Fischer/Passion2Press/imago)

Deutschlands Männer starten gegen Kroatien ohne Kapitän Lukas Kampa in die EM. Rückkehrer Georg Grozer fordert dennoch ein grundsätzliches Umdenken, was die sportlichen Ambitionen angeht.

Von Katrin Freiburghaus, Tallinn/München

Große Sportveranstaltungen sind im Zeitalter sozialer Medien eine wunderbare Gelegenheit, um hinter die Kulissen zu schauen: Ein Selfie beim Aufwärmen hier, ein Bild vom Warten am Flughafen dort; der Spieler bei Krafttraining, Physiotherapie, im Angriff, beim Frühstück. Die engmaschige Dokumentation der heißen Vorbereitungsphase auf die Volleyball-Europameisterschaft der Männer auf Georg Grozers Instagram-Profil erfüllte sämtliche Erwartungen, die man an die überschäumende Begeisterung eines Jung-Nationalspielers stellen würde. Nur ist Grozer ja gar kein Jung-Nationalspieler, sondern zarte 36 Jahre alt. Sein Comeback in der deutschen Mannschaft bei der EM, in die Deutschland am Freitag gegen Kroatien startet, begleitet er dennoch mit erstaunlicher Euphorie für einen, der in seiner Laufbahn schon alles erlebt hat.

Von "Kribbeln in Herz und Magen" sprach der Diagonalangreifer dennoch. Er hatte seine Karriere in der Nationalmannschaft nach der verpassten Olympia-Qualifikation vor anderthalb Jahren ja schon beendet. Es passt aber eben auch zu Grozers Ehrgeiz, dass ihm dieses Ende missfiel - entsprechend offensiv sind seine Ansprüche für das anstehende Turnier in Estland, Polen, Tschechien und Finnland. "Ich wäre nicht zurückgekommen, wenn ich keine Ziele hätte", sagte er der SZ, "mein Ziel ist immer eine Medaille, es ist mir egal, ob das realistisch ist, man lebt von Träumen." Die jüngere Mannschaftshistorie gibt Grozer Recht: 2017 gewannen die Männer bei der EM Silber.

Die Verantwortung auf den Schultern von Kapitän Christian Fromm und anderen erfahrenen Spielern wird größer

Einen empfindlichen Dämpfer erfuhren die Ambitionen jedoch, als sich abzeichnete, dass Kapitän und Stammzuspieler Lukas Kampa im Aufgebot fehlen würde. Für ihn war die Vorbereitung nach einer Knieoperation wie für Grozer ein Wettlauf mit der Zeit gewesen. Während Grozer zu seiner Form fand und zufrieden konstatierte, dass es ihn überrasche, "dass es so gut läuft", reichte es für Kampa nicht. Diese Personalie reiße ein "Riesenloch", sagte Grozer ohne Umschweife. Auch das Trainerteam um Chefcoach Andrea Giani unternahm keinerlei Versuche, den Verlust für die Mannschaft kleinzureden. "Das Zusammenspiel von Lukas und Georg kann man nicht ersetzen", sagte Co-Trainer Thomas Ranner am Rande eines Vorbereitungsspiels gegen die Niederlande am vergangenen Wochenende.

Das war nicht als Kritik an den beiden Zuspielern Jan Zimmermann und Johannes Tille oder deren Leistung in der Vorbereitung gedacht, es versteht im Team aber auch niemand so. Zimmermann nimmt die Herausforderung sportlich und sagte: "Ich versuche, ihn gut zu ersetzen, aber auch ein bisschen mein Ding zu machen. Ich will nicht Lukas sein, ich will ich sein." Die Führungsrolle Kampas könne dagegen kein Spieler allein ausfüllen, betonte Grozer, der das aber nicht als Ausrede gelten lassen will: "Wir können diese Lücke als Mannschaft füllen, dafür muss aber jeder Spieler ein bisschen Plus dazutun." Die Verantwortung auf den Schultern von Kapitän Christian Fromm und anderen erfahrenen Spielern wird größer, für ihn selbst spüre er dagegen keinen Unterschied, sagte Grozer und lachte. "Bei mir erhöht das gar nichts. Die Verantwortung ist immer auf meiner Seite."

"Wir haben keine junge Mannschaft mehr, das muss man irgendwann mal akzeptieren."

Er bezog seine Aussage nicht ausschließlich auf die spielerische Leistung, bei der Grozer schon aufgrund seiner Position zwangsläufig eine exponierte Stellung inne hat, sondern vor allem auf den mentalen Bereich. Mit dem Selbstverständnis von der jungen, unerfahrenen Mannschaft müsse Schluss sein, vermeintliche Jugend hat aus seiner Sicht als Versteck ausgedient. "Ich höre das immer wieder, aber wir haben keine junge Mannschaft mehr, das muss man irgendwann mal akzeptieren", sagte er. Es sei an der Zeit, dass "auch im Kopf ankommt, dass wir Mitte zwanzig, Anfang dreißig sind und im Ausland gespielt haben - die Erfahrung ist also eigentlich da, darauf kann man es nicht mehr schieben, wir müssen jetzt Leistung bringen".

Die soll im 24 Mannschaften starken Teilnehmerfeld mindestens für das Viertelfinale reichen. In der Vorrunde trifft das deutsche Team in der Gruppe D nach dem Kroatien-Spiel noch auf Estland, Lettland, die Slowakei und Frankreich. Die besten Vier jeder Gruppe spielen in über Kreuz gesetzten Achtelfinals die Runde der letzten Acht aus.

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