Volleyball:"Ich habe ja ansonsten alles erreicht"

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„So etwas kann man nicht verdauen“: Georg Grozer (hier im September 2019 bei der EM in Brüssel) hätte seine Nationalmannschaftskarriere gerne mit den Olympischen Spielen in Tokio diesen Sommer beendet. Doch Deutschland verlor das entscheidende Finale der Qualifikation gegen Frankreich. (Foto: Conny Kurth / imago)

Georg Grozer, Deutschlands bester Volleyballer, über die Rückkehr nach Unterhaching zum CEV-Cup-Viertelfinale mit seinem Klub St. Petersburg, das Modell der Alpenvolleys und sein Leben als Volleyballprofi in Russland.

Interview von Sebastian Winter

Georg Grozer wartet in St. Petersburg gerade auf seinen Friseurtermin, als sein Telefon klingelt. Der Schnitt soll kurz werden, "ich war ja schon fast zwei Monate nicht mehr Haare schneiden", sagt der beste deutsche Volleyballer, der in der russischen Metropole sein Geld verdient. Star-Friseure einfliegen lassen wie manch Profifußballer? Grozer lacht: "Die können sich diesen Luxus leisten." An diesem Dienstag (18.30 Uhr) spielt der 35-Jährige in Unterhaching gegen die Alpenvolleys mit seinem Klub St. Petersburg. Das CEV-Cup-Viertelfinale steht an, Grozer möchte den zweitwichtigsten europäischen Wettbewerb unbedingt gewinnen. Ein Gespräch über die Leiden nach der verpassten Olympia-Qualifikation, volleyballverrückte Töchter, besonderen Sponsorendruck, Volleyball-Millionäre und seine Rückkehr an jenen Ort, an dem er vor zehn Jahren mit Friedrichshafen deutscher Meister wurde.

SZ: Herr Grozer, das CEV-Cup-Viertelfinale gegen die Alpenvolleys Unterhaching ist Ihr erster Auftritt in Deutschland nach der verpassten Olympia-Qualifikation in Berlin im Januar. Wie sehr schmerzt die Finalniederlage gegen Frankreich noch?

Georg Grozer: So etwas kann man nicht verdauen, ich rede auch nicht gerne darüber. Auch weil es mein letztes Spiel für die deutsche Nationalmannschaft war. Wir waren kurz davor, noch einmal Olympia zu erleben. Für mich ist das eine der größten Enttäuschungen in meiner Karriere.

Nach dem Schlusspfiff sind Sie direkt aus der Halle gerannt.

Ja, ich bin aus der Halle raus, habe meine Töchter nach Hause gebracht und musste wegen eines wichtigen Ligaspiels wieder nach Russland zu meinem Klub St. Petersburg. Ich musste meine Arbeit machen. Meine Kollegen verlassen sich auf mich, ich bin eine tragende Person in dieser Mannschaft. Das Spiel gegen Kemerovo haben wir dann immerhin mit 3:1 gewonnen.

Wenigstens ein kleiner Trost?

Na ja, die Tage in den eigenen vier Wänden sind trotzdem verdammt schwer, da hat man keine Lust, aus dem Bett rauszukommen. Ich habe lange mit ganz vielen Leuten nicht telefoniert, auch meine Familie wusste, dass sie mich in Ruhe lassen muss. Ich habe das mit meiner Freundin (die tschechische Nationalspielerin Helena Havelkova, Anm.) verarbeitet, sie kann mir da mehr helfen.

Hat Sie die Knieverletzung, die Sie sich gleich zu Beginn des Finales gegen Frankreich beim Zusammenprall mit einem Gegenspieler unter dem Netz zugezogen haben, noch begleitet?

Ich hatte noch ziemliche Probleme. Du sagst auch nicht so einfach, dass du verletzt bist. Hier gibt es keine große Regeneration, hier herrscht eine ganz andere Mentalität. Das Knie war ziemlich lang geschwollen, voll Wasser, es waren Muskelfasern angerissen. Die Flüssigkeit musste raus. Es wurde therapiert, jetzt ist es zu 80 Prozent wieder geheilt.

Am Dienstag kehren Sie mit St. Petersburg nach Deutschland zurück. Können Sie sich an Ihren letzten Auftritt in Unterhaching noch erinnern?

Ja klar, dort bin ich 2010 mit Friedrichshafen gegen Unterhaching Meister geworden. Ein schönes Erlebnis. Ich bin froh, jetzt wieder in Deutschland zu spielen und meine Töchter sehen zu können, die nach Unterhaching kommen. Sie haben schulfrei, auch für mich ist das optimal. Ich vermisse sie, sie vermissen mich - es sollte jetzt so sein, dass wir uns wenigstens für drei Tage sehen können.

Oft sehen Sie Leana und Loreen monatelang nur über Skype. Früher haben Sie so auch Würfelspiele mit ihnen gespielt.

Ja, aber gerade passt es sehr gut. Im Herbst waren sie in St. Petersburg, vor der Olympia-Qualifikation in Berlin habe ich sie abgeholt und wir waren nach Weihnachten im Trainingslager in Kienbaum und später eben bei der Olympia-Quali. Jetzt sehe ich sie in Unterhaching, dann in den Osterferien und vier bis fünf Wochen im Sommer.

Werden die beiden auch Volleyballprofis, wie Ihr Vater Georg, Ihr Bruder Tim oder Ihre Schwester Dora, die beim Schweizer Erstligisten Pfeffingen spielt?

Sie sind volleyballverrückt, die Zwölfjährige spielt inzwischen beim Moerser SC und in der Auswahl der Nationalmannschaft. Jetzt können sie das Spiel vom Papa sehen, zum Training gehen, und wenn ich mich ausruhe, gucken sie Fernsehen. Sie sind ja groß, zwölf und neun Jahre alt.

Was erwartet Sie sonst in Unterhaching?

Ein schweres Spiel, die Alpenvolleys sind keine einfache Mannschaft. Auf dem Zettel sind wir stärker, keine Frage, aber es ist immer hart, gegen Klubs zu spielen, die einen freien Kopf und nichts zu verlieren haben. Die Alpenvolleys werden alles versuchen, um zu gewinnen. Und wir können einen schlechten Tag erwischen.

Wie finden Sie es überhaupt, dass eine österreichische Mannschaft aus Innsbruck mit deutschem Lizenznehmer aus Unterhaching in der Bundesliga spielt?

Gut. Innsbruck war immer schon stark. Damals mit Friedrichshafen habe ich dort eine meiner bittersten Niederlagen kassiert in der Champions League. Warum also nicht umziehen, wenn die österreichische Liga nicht so gut ist? Innsbruck steigert das Niveau, das ist nicht schlecht für den deutschen Volleyball.

Die Alpenvolleys sind Zweiter hinter Berlin. Und das Dreijahresprojekt, das nach dieser Saison ausläuft, soll fortgeführt werden. Könnte es den ersten transnationalen deutschen Meister geben?

Berlin ist in diesem Jahr ziemlich stark, sie haben mit Sergej Grankin (russischer Olympiasieger, Anm.) einen erfahrenen Zuspieler und starke Profis aus den USA und auch aus Deutschland mit Moritz Reichert. Der Unterschied ist noch zu groß, Berlin ist eine andere Kategorie.

Verfolgen Sie die deutschen Klubs?

Ab und zu schon. Wenn mein Bruder Tim mit Rottenburg spielt, oder Düren mit Michael Andrej und Björn Andrae, das sind sehr gute Freunde von mir. Ich schaue auch ab und zu Champions League, wenn Berlin gegen Kemerovo und Novy Urengoy spielt, unsere russische Konkurrenz.

Die russische Liga gilt als beste der Welt, St. Petersburg ist dort ein junger, aufstrebender Klub, der vom örtlichen Gasriesen gesponsert wird. Wie wohnt und leben Sie als Volleyballprofi dort?

Ich habe eine Drei-Zimmer-Wohnung, nicht so weit von der Halle entfernt und versuche, ein möglichst normales Leben zu führen, was schwer ist mit dem Training, den Spielen, den Reisen. Als meine Töchter im Oktober zu Besuch waren, sind wir in ein, zwei Museen, und mit meiner Mama in die Stadt gegangen. Aber ich bin nicht so der Touristik-Typ und auch nicht hier, um Sehenswürdigkeiten anzuschauen, sondern um Volleyball zu spielen.

Also dann: Wie steht es gerade um St. Petersburgs Volleyballer?

Wir hatten im neuen Jahr ein paar Rhythmusprobleme. Jetzt fangen bald die Playoffs an und wir haben den Rhythmus rechtzeitig wieder gefunden. Dieses Jahr ist der Ablauf der Playoffs ganz anders wegen der Olympischen Spiele, es gibt nur eine K.o.-Runde und dann wird direkt ein Final-Six-Turnier ausgetragen. Wir können es dorthin schaffen, wir haben gute Spieler. Aber da gibt es auch großen Druck, das ist ganz anders als in Deutschland. Ich könnte stundenlang darüber reden.

Eine Kurzversion?

Gazprom, unser Hauptsponsor, hat seinen Hauptsitz in St. Petersburg. Er will immer gewinnen. Irgendwann soll St. Petersburg nach seinem Wunsch die beste Volleyball-Mannschaft der Welt sein. Man darf aber nicht vergessen, dass St. Petersburg erst seit drei Jahren in der ersten Liga spielt, das ist ein ganz frischer Verein. Sie stecken nicht wenig Geld hinein, entsprechend wollen sie nur Siege. Unsere Mannschaft muss außerdem eine gewisse Ausstrahlung haben. Da steckt großer Nationalstolz dahinter, in Russland sind alle Sportfanaten. Die Volleyballer, die 2012 Olympiasieger wurden, sind hier für immer Helden. Wenn Berlin in der Champions League gegen russische Klubs verliert, ist das kein großes Desaster. Wenn wir verlieren, gibt es Besprechungen, mehr Druck, manchmal Kürzungen der Prämien.

Fliegen Sie im Privatjet nach Unterhaching, so wie Ihr Ligakonkurrent Zenit Kasan das gemacht hat?

Nein, wir fliegen ganz normal. So weit wie Kasan, die das fast immer machen, sind wir noch nicht. Wir sind dieses Jahr zweimal zu wichtigen Spielen innerhalb Russlands mit dem Privatjet geflogen.

Aber mit Volleyball wird man in Russland trotzdem kein Millionär, oder?

Warum nicht? Die russischen Volleyballer verdienen gut, schon wenn sie in der Jugend mit dem Sport anfangen. Sie können ihr Geld früh auf die Seite legen. Sie verdienen auch in der Nationalmannschaft, anders als in Deutschland. Wenn man durchgehend vom Verein und vom Verband bezahlt wird - wer da nicht schlau ist und reich wird, der macht etwas falsch.

Und Sie?

Millionär hin oder her, ich kann mich nach meiner Karriere sicher nicht auf meinen Arsch setzen und nichts mehr machen.

Vor längerer Zeit haben Sie sich von Ihrer Frau Violetta getrennt und sind aus dem gemeinsamen Haus in Moers ausgezogen, wo auch Ihr legendäres Männerzimmer stand. Wo ist Ihr derzeitiger Lebensmittelpunkt, außerhalb von St. Petersburg?

Der ist inzwischen in meinem Haus in Ungarn. Gerade streichen die Handwerker dort den Raum, der später das Männerzimmer werden soll. Mit dem Poker- und Roulettetisch, dem Spielautomaten, der Heimkinoanlage in einem Corvette-Spoiler. Die beleuchtete Regalwand mit 200 Bacardi-Flaschen steht, und wenn ich aus St. Petersburg zurück bin, mache ich das fertig.

Und vorher gewinnen Sie noch den CEV-Cup, den zweithöchsten europäischen Wettbewerb?

Den würde ich definitiv gerne gewinnen, das ist der einzige Klub-Wettbewerb, bei dem ich keine Goldmedaille habe, sondern nur Silber. Ich habe ja ansonsten alles erreicht, war Klub-Weltmeister, habe die Champions League gewonnen.

Sehen die Zuschauer in Unterhaching dann einen Georg Grozer, der beim Aufwärmen den Ball wie früher vom Boden an die Decke schlägt?

Ach Quatsch, das mache ich nicht mehr, damit musste ich seit meinen Durchblutungsstörungen im Schlagarm aufhören. Ich hoffe wir spielen guten Volleyball und gehen mit einem Sieg nach Hause.

© SZ vom 25.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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