Volleyball:Heimspiele in Österreich

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Kommt der nächste deutsche Meister aus Innsbruck? Die Alpenvolleys Haching sind gerade das skurrilste Spitzensport-Experiment.

Von Sebastian Winter, Innsbruck/Unterhaching

Es geht auch um Bier bei dieser Versuchsreihe, aber am Anfang sollten Zahlen stehen: Die Alpenvolleys Haching sind Tabellenführer in der Volleyball-Bundesliga (VBL). Wie die meiste Zeit der bisherigen Saison, die vier Monate läuft. Pokalsieger Friedrichshafen? Hechelt als Zweiter hinterher. Meister Berlin? Ist mit acht Punkten Rückstand Vierter. Die beiden großen Volleyballklubs plagen Probleme, die Liga ist spannend wie seit Jahren nicht, und für die Alpenvolleys bietet sich eine riesige Chance. General Manager Hannes Kronthaler sagt: "Das Finale liegt absolut in unserem Bereich."

Das ist eine markante Aussage für einen Frischling, der seine zweite Saison in der Bundesliga spielt. Und der in Innsbruck residiert - mit Münchens Vorstadt Unterhaching als Zweitwohnsitz. In Innsbruck tragen die Profis die eine Hälfte ihrer Heimspiele aus, in Unterhaching die andere, wie das Derby an diesem Sonntag gegen die Volleys aus Herrsching, die eine nicht mal halb so lange Anfahrt haben. Am Mittwoch spielen die Alpenvolleys in Berlin. Sie fliegen. Mit dem Reisebus würden sie locker zehn Stunden brauchen.

Markante Aussagen gehören zum Standardrepertoire von Kronthaler, einem der wenigen potenten Macher, die Geld in Volleyball investieren. Alle Fäden laufen beim Baulöwen und einstigen Rekordnationalspieler Österreichs zusammen, der jeden um den Finger wickeln kann, der nicht bei drei auf dem Patscherkofel ist. Wenn er von seinem Klub spricht, benutzt der 53-Jährige gerne die Ich-Form: "Man darf nicht vergessen, dass ich ein Champions-League-Verein bin seit zehn Jahren. Wir haben immer diese Klasse gehabt."

Mehr eigene Talente einbinden? Bislang ist der junge Jonas Sagstetter der Quotendeutsche

Die Klasse war so groß, dass Österreichs Dauermeister Hypo Tirol Innsbruck im Sommer 2017 die heimische Langeweile verlassen hat, um nach Deutschland überzusiedeln. Mit einer Wildcard der Liga, dem Sponsorennetzwerk Kronthalers - und dem TSV Unterhaching als Lizenznehmer. So weit wollte es die VBL dann doch nicht kommen lassen, dass jeder x-beliebige ausländische Klub mal schnell für 50 000 Euro Wildcard-Gebühr in Deutschland spielen kann. Die Hachinger, einst Pokalsieger und 2014 mangels Hauptsponsor aus der Liga verschwunden, waren mit ihrer Halle und Expertise der ideale Steigbügelhalter, TSV-Geschäftsführer Mihai Paduretu möchte sie wieder in höheren Sphären etablieren.

Eineinhalb Jahre ist das hierzulande wohl skurrilste Spitzensport-Experiment nun alt, auf drei Jahre - mindestens - ist es angelegt. Die Halbzeitbilanz glänzt aus sportlicher Sicht. In ihrer ersten Saison wurden die Alpenvolleys Dritter, in der zweiten haben sie bisher 15 ihrer 16 Ligaspiele gewonnen, in der Hinrunde Friedrichshafen 3:2 bezwungen und Berlin 3:0 aus Innsbrucks Olympiahalle gejagt. Das Aus im DVV-Pokal-Achtelfinale war ein Wermutstropfen, und im europäischen CEV-Cup scheiterten sie in der zweiten Runde - ihr Gegner war Klubweltmeister Trentino. Zu ihrem Leidwesen kam es nicht mal zu einem Heimspiel: Wegen der Schneelast auf der Unterhachinger Halle und des Verbots von höchster Stelle, Europapokalspiele der Alpenvolleys in Innsbruck auszutragen, fanden beide Partien in Trient statt. So können sich das Neun-Nationen-Team und sein slowakischer Trainer Stefan Chrtiansky, ein passionierter Jäger, auf die Liga konzentrieren. Und erster deutscher Meister mit Hauptwohnsitz in Österreich werden.

Dass ein ausländischer Klub mal schnell ins deutsche Profisport-Business einsteigt, hat es noch nicht gegeben. Die Tilburg Trappers (Niederlande) reüssieren in der Eishockey-Oberliga, dürfen aber nicht in die DEL 2 aufsteigen, wenn sie Meister werden. Im Rugby (RC Luxemburg) oder anderen Sportnischen gibt es zwar grenzübergreifende Erstligisten, aber das ist eher der Tatsache geschuldet, dass es in ihren Ländern keine Liga gibt.

Volleyball ist als Mannschaftssport die Nummer fünf in Deutschland hinter Fuß-, Hand-, Basketball sowie Eishockey und damit auch nicht gerade der Nabel der Sportwelt, aber Kronthaler plant den großen Wurf. Er möchte den Etat kommende Saison in Richtung zwei Millionen Euro steigern (mehr haben nur Berlin und Friedrichshafen), spätestens 2020 den Titel gewinnen und Champions League spielen, klar. Dass mögliche Playoff-Finalspiele in Unterhaching ausgetragen werden müssen, weil die Liga keine Korkenknallerei in Österreich erlaubt, nimmt Kronthaler hin. Weniger einverstanden ist er mit dem Verbot, Europapokal-Spiele in Tirol auszutragen. Sollten die Alpenvolleys ins Ligafinale kommen und sich für die Champions League qualifizieren, hätten sie dadurch ein Problem. Die Unterhachinger Halle ist eigentlich zu klein für den Europacup.

So gut die sportliche Zwischenbilanz ausfällt, so dürftig ist sie in Sachen Zuschauerinteresse, Identifikation und Vermarktung in Bayern. Spiele in der Innsbrucker Olympiahalle sehen im Schnitt 800 Zuschauer, gegen Berlin auch mal knapp 1500, das sind weit mehr als die paar Dutzend, die Innsbrucks Spiele in der österreichischen Liga verfolgten. In Unterhaching kamen bislang zu weniger attraktiven Spielen aber gerade 500 Fans. Ist ja auch schwierig, einem Profi-Ensemble aus Südamerikanern, Polen, Russen und Slowaken zuzujubeln, das in Innsbruck lebt, dort trainiert und ab und an zu "Heimspielen" nach Unterhaching reist. Der Plan war auch, mehr deutsche und österreichische Talente einzubauen. Doch bislang ist der junge Landshuter Jonas Sagstetter der Quotendeutsche, seine Spielanteile hielten sich in Grenzen.

Sie wissen um die Probleme einer Fusion: "In der Wirtschaft überleben nur 35 Prozent."

Paduretu, zugleich Sportdirektor der Alpenvolleys, und Kronthaler eint das Ziel, Volleyball voranzubringen, doch der TSV-Geschäftsführer gibt zu: "Wir sind in kaltes Wasser geworfen worden." Um Weihnachten herum habe er sich mal wieder mit dem Thema Fusionen beschäftigt, "in der Wirtschaft überleben nur 35 Prozent", sagt er. Im Sport? "Wir müssen kämpfen, wachsen, die Kommunikation muss besser werden. Und wir haben von Anfang an gesagt, das Projekt muss auch von Zuschauern angenommen werden. Aber wir sind auf gutem Weg, auch damals waren es viele kleine Schritte." Damals, als er Haching zwischen 2009 und 2013 zu vier Pokaltiteln und ins Playoff-Finale führte, bevor der Sponsor Generali absprang.

Eigentlich wünscht sich die VBL, den zahlungskräftigen Großraum München mit seinen Weltfirmen zu erobern, sie strebt in die Ballungszentren, die Herrschinger oder früher die Hachinger sind dort aber eher Randerscheinungen. Zugleich drängelt das österreichische Mutterschiff, das fast alle Sponsoren und Spieler beschafft hat, sein Unterhachinger Beiboot, Sponsoren zu besorgen. Kronthaler möchte für die neue Saison zusätzlich 300 000 Euro im Etat, am liebsten in Bayern, wo er sein Projekt bekannter machen will. Bislang: Fehlanzeige. Immerhin klappt die Logistik, die LED-Banden werden zu Heimspielen immer in einem Container hin- und hergekarrt.

Was, wenn sich das Projekt nicht entwickelt, wenn das Interesse der Sponsoren und Zuschauer weiterhin so mäßig bleibt? "Dann ist die Chance 50:50, dass es weitergeht", sagt der General Manager. Eines scheint für ihn aber festzustehen: "Ein Hannes Kronthaler spielt nie mehr in der österreichischen Bundesliga. Mein Verein vielleicht, aber ich nicht mehr als sein Chef. Ich würde dann zuschauen und im VIP-Raum ein Bier trinken. Da kann man mich dann besuchen."

Ja, das Bier, auch in Unterhaching wollen sie sich offenbar ein süffigeres, jüngeres Image als in der Vergangenheit verpassen. Und am Sonntag gegen Herrsching bloß nicht mehr eine Schmach erleben wie vor einem Jahr. Da verloren sie nicht nur 2:3, ihnen war auch schnell das Bier ausgegangen. Damit diese Peinlichkeit - in Bayern! - nicht wieder passiert, fährt nun eine Start-up-Brauerei mit Leiterwägelchen samt großem Vorrat in der Halle umher. Ihr Slogan lautet, kein Scherz: "Rammlerbräu - Des bummst di' richtig!"

© SZ vom 16.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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