Volleyball:Györgys Wade streikt

Lesezeit: 3 min

Die deutschen Volleyballer bangen vor dem K.o.-Spiel in der Olympia-Qualifikation um ihren Hauptangreifer Georg Grozer. Ein deutsches Aus würde für Grozer das Karriereende im Nationalteam bedeuten.

Von Sebastian Winter, Berlin/München

Georg Grozer war am Dienstagabend gar nicht in der Max-Schmeling-Halle, er pflegte lieber seine lädierte Wade im Hotel. Die 2:3-Niederlage der deutschen Volleyballer gegen den EM-Zweiten Slowenien im letzten Gruppenspiel der Olympia-Qualifikation schaute er sich dort am Fernseher an - erleichtert, denn seine Mannschaft stand da schon sicher im Halbfinale. "Ich glaube, er hat das Spiel aus der Badewanne geguckt", sagte Kapitän Lukas Kampa schmunzelnd. Und weiter: "Er wird doppelt so stark zurückkommen. " Doppelt so stark?

Beim Auftaktsieg gegen Tschechien war Grozer bester Scorer, den zweiten Satz gewann er nach Rückstand quasi alleine, teils mit Assen, die den Tschechen in Überschallgeschwindigkeit um die Ohren flogen. Auch beim Erfolg danach gegen Belgien war Grozer bester Mann, bevor er kurz vor Schluss aufs Parkett sank und dick bandagiert die Halle verließ. Nun bangen die Deutschen vor dem K.o.-Spiel an diesem Donnerstag gegen Bulgarien (20.10 Uhr/ Sport 1) alle um die Wade, die er sich bereits bei der Europameisterschaft im Herbst gezerrt hatte - das Aus mit dem gehandicapten Grozer kam im Viertelfinale.

Ist er fit, schlägt er die Bälle dem Gegner in Überschallgeschwindigkeit um die Ohren: Georg Grozer. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Jetzt geht es aber um weitaus mehr, um Tokio, wohin nur der Sieger des Acht-Nationen-Turniers reist. Scheitern die Deutschen, dann endet auch Grozers Nationalmannschafts-Karriere, das hat er zuletzt immer wieder betont. Gewinnen sie auch das Finale am Freitag, hört er erst nach den Spielen in Japan auf. "Olympia ist immer an Nummer eins für mich, ich hoffe, das hier ist nicht mein letzter Auftritt", sagte Grozer der Süddeutschen Zeitung noch vor dem Turnierstart. Er sagte auch: "Natürlich spiele ich eine große Rolle, mit meiner Erfahrung, meinem Stil. Ich bin mit 35 Jahren der routinierteste Spieler." Und doch sei er "noch immer vor jedem Spiel sehr nervös. Ich habe mein Ritual, um damit umzugehen: Ich rasiere mich, höre meine Playlist. Dann gehe ich aufs Feld. Aber dieses Turnier wird körperlich und mental sehr anstrengend". Wie recht er hatte.

Alles blickt nun auf den wuchtigen, tätowierten Diagonalspieler mit der großen Sprungkraft und dem noch gewaltigeren Armzug, der die Bälle wie die Mitspieler fordert und grimmig schauen kann wie ein ungarischer Braunbär. Von dort zog György, wie Georg in seinem Geburtsland heißt, 2002 nach Moers, seines Vaters wegen, Georg Grozer senior, der als "Hammerschorsch" deutscher Meister wurde und den Europapokal gewann. Auch der Junior startete in Moers seine Karriere - und wurde zum bislang wohl besten und auch bestbezahlten deutschen Exportschlager in Sachen Volleyball. Polen, Russland, Südkorea, China - Grozer spielt seit fast zehn Jahren in den stärksten Ligen der Welt, seit 2018 rollt für ihn der Rubel in St. Petersburg. 2014 wurde er nicht nur Champions-League-Sieger und Klubweltmeister mit Lokomotiv Belgorod, sondern auch WM-Dritter mit der DVV-Auswahl - das erste Edelmetall für die Deutschen bei Weltmeisterschaften seit dem Sieg der DDR 1970. Damit verblasste auch sein Schmerz von den Olympischen Spielen 2012 in London, als Grozer im verlorenen Viertelfinale die Erwartungen nicht erfüllen konnte.

Dieses Profileben hatte auch für Grozer seinen Preis. Seine Frau Violetta und die Töchter Leana und Loreen blieben in Moers, als er ins Ausland wechselte, er sah sie kaum, spielte über Skype mit den Mädchen Würfelspiele. Vor zwei Jahren trennte er sich von seiner Frau, zog aus dem gemeinsamen Haus in Moers aus, wo er zumindest in den Sommern ein paar Wochen verbrachte. Und wo er sich auch ein "Männerzimmer" eingerichtet hatte, samt Poker- und Roulettetisch, Spielautomaten, einer Heimkinoanlage mit Dolby-Surround-System und ausgeleuchteter Regalwand samt 200 Flaschen Rum, wie er dem volleyball-magazin einst im Rahmen einer Homestory verriet. Ein wenig Machismo gehörte schon immer zu Grozer, auch deshalb schillert er mehr als andere im Team. Inzwischen ist er mit der tschechischen Profivolleyballerin Helena Havelková liiert.

Seine Töchter begleiteten ihn Ende Dezember zum Trainingslager. Bruder Tim und Schwester Dora - beides Volleyballprofis - können wegen eigener Verpflichtungen nicht, seine Mutter, "mein größter Fan", muss wegen einer Operation passen. Zum Vater hat er den Kontakt vor langer Zeit abgebrochen, "das Verhältnis ist immer noch beim Alten", sagt Grozer junior.

Man vergisst bei dieser Vita leicht, dass es noch weitere kaum zu ersetzende Spieler im Team gibt: Den Regisseur Kampa, 33, den 2,12 Meter langen Mittelblocker Marcus Böhme, der durch keine Haustür passt. Oder das Angriffs-Duo Christian Fromm, 113 Kilo, und Denis Kaliberda: Allein dieses Quartett vereinen mehr als 750 Länderspiele. Grozers Ersatzmann Simon Hirsch, gegen Slowenien bester deutscher Scorer, sagt dennoch: "So eine Mannschaft braucht natürlich den Georg, er hebt sie auf ein anderes Niveau." Mit seiner Athletik, den Sprungaufschlägen, der Schlaghärte. Aber vor allem, und das sehen sie als fast noch wichtiger an: Mit dem Respekt, den er gegnerischen Spielern und Trainern einflößen kann. "Georg wird uns nicht alleine durch die Quali prügeln", sagt Kampa, "aber wenn wir alle auf Weltklasseniveau spielen, kann er den Unterschied machen."

Und seine Blessur? Bundestrainer Andrea Giani sagte am Mittwoch: "Es ist strukturell nichts kaputt. Es kann aber sein, dass beim Einschlagen die Wade wieder zumacht." Vieles deutet erneut auf eine Zerrung hin, wie bei der EM. Ein humpelnder Georg Grozer und eine gescheiterte DVV-Auswahl? Es wäre der denkbar bitterste Schlussakt in dieser einzigartigen Karriere.

© SZ vom 09.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: