Volleyball:Eingeschüchtert vor der roten Wand

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Die deutschen Frauen haben nach ihrer verpassten Olympia-Qualifikation die besseren Perspektiven als die ebenfalls gescheiterten Männer.

Von Sebastian Winter, Apeldoorn/München

Über eine Sache waren die deutschen Volleyballerinnen besonders froh vor dem Olympia-Qualifikationsturnier: Dass es nicht in der Türkei stattfindet, im Land des EM-Zweiten, wo das Team um Hauptangreiferin Louisa Lippmann schon öfter bittere Niederlagen erlitten hatte - auch, weil die Atmosphäre dort so hitzig ist wie fast nirgends sonst. Eine solche Atmosphäre kann erdrückend wirken, zumal auf eine der jüngsten Mannschaften des Turniers. Doch 60 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, in Apeldoorn, hoffte das Team auch auf einen gewissen Heimbonus.

Eines hatten die Spielerinnen jedenfalls nicht erwartet: Dass sie nach vier Siegen in Serie, darunter das 3:0 im Halbfinale gegen Gastgeber Niederlande, im Endspiel ums Olympiaticket dann doch in der Türkei spielen müssen. Jedenfalls unterstützte die Türkinnen eine rote Wand unter den 5321 Zuschauern, die pausenlos gegen die DVV-Auswahl pfiffen. "Es war gefühlt so, als hätten wir in Ankara gespielt", sagte Bundestrainer Felix Koslowski nach dem 0:3 (17:25, 19:25, 22:25), deutsche Anhänger waren am Sonntag nur eine Handvoll beim Finale. Von "schwachen Zahlen" sprach DVV-Sportdirektor Christian Dünnes am Montag, "Volleyball-Deutschland muss sich Gedanken machen, warum wir unsere Fans nicht mobilisieren konnten". Wobei, Unterstützung von den Rängen ist nicht alles. Die Männer um Georg Grozer hatten ja auch ihren Heimvorteil in Berlin nicht nutzen können bei der 0:3-Finalniederlage gegen Frankreich.

Die deutschen Hallen-Volleyballer müssen sich nach diesem schwarzen Wochenende neu justieren. Wie schon 2016 in Rio sind beide Auswahlen auch in Tokio nicht vertreten, die Männer waren 2012 in London letztmals dabei, die Frauen 2004 in Athen. Beide Teams haben in Apeldoorn wie Berlin gezeigt, dass sie mit Europas Spitze mithalten können, zeitweise haben sie begeisternd gespielt, das Wörtchen "Stolz" spiegelte sich in vielen Aussagen der Trainer und Funktionäre. Doch als es um alles ging in den Finals, waren sie eben auch weit von ihrer Bestform entfernt.

Die Männer waren in Aufschlag und Annahme zu schwach und generell zu abhängig von Georg Grozer, der das Team zu WM-Bronze 2014 und EM-Silber 2017 geführt hatte und nun aufhört im Nationaldress. Ein Erbe für Grozer ist nicht ansatzweise in Sicht. Die Auswahl erwartet ein riesiger Umbruch, auch Trainer Andrea Giani, Kapitän Lukas Kampa und Blocker Marcus Böhme lassen ihre Zukunft offen.

Die Frauen scheiterten gegen die überlegene Türkei, die sie in der Gruppenphase noch bezwungen hatten, an ihrer zu großen Nervosität, wie auch die junge Mittelblockerin Marie Schölzel zugab, an fehlender Erfahrung, zu schlechter Annahme und einer Angriffsquote von 35 Prozent - mit der sich auf diesem Niveau nichts gewinnen lässt. Fakt ist auch, dass die Türkei, bei der viele Profis in der heimischen Liga spielen, bereits Mitte Dezember mit der Vorbereitung begann - die Dienstwege zwischen den Istanbuler Großklubs und dem Verband sind kurz. Die Deutschen trafen sich erst nach Weihnachten. Auch weil die Profivereine, wie im Falle Lippmanns Shanghai, ihre Spieler erst zehn Tage vor solchen Turnieren abgegeben müssen.

Dennoch haben die DVV-Frauen, bei allen Tränen, die sie am Sonntag vergossen haben, die bessere Perspektive als die Männer. Hauptangreiferin Lippmann, 25, steht erst am Anfang ihrer internationalen Karriere, Außenangreiferin Hanna Orthmann, 21, sowie die Blockerinnen Camilla Weitzel, 19, und Schölzel, 22, sind drei der großen Entdeckungen dieses Turniers.

Monetär könne man den Schaden durch die verpassten Spiele nicht beziffern, sagte Sportdirektor Dünnes, "grundsätzlich ist das natürlich nicht gut". Zugleich haben die Volleyballer bislang bei der Potas-Analyse, dem Kernelement der Förderreform im Leistungssport, gut abgeschnitten.

Die Hoffnung des Verbandes liegt nun, wie schon vor den Olympiasiegen von Brink/Reckermann 2012 und Ludwig/Walkenhorst 2016, im Sand. Die WM-Zweiten Julius Thole und Clemens Wickler haben Medaillenchancen, bei den Frauen liegen Ludwig und ihre neue Partnerin Margareta Kozuch sowie Karla Borger/Julia Sude auf Olympiakurs. Ihre Hallenkollegen wird das kaum trösten.

© SZ vom 14.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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