Volleyball:Das Jahr der Karotte

Lesezeit: 3 min

Was hat er denn? Herrschings Jori Mantha (stehend) scheint sich fast ein wenig über die Verzweiflung des Kollegen Tim Peter zu amüsieren. (Foto: Georgine Treybal)

Herrschings Volleyballer unterliegen Düren und üben sich in puncto Spielstätte in Geduld.

Von Katrin Freiburghaus, Herrsching

Mit den alltäglichen Auswirkungen der Corona-Pandemie geht es vielen wie mit allen unerwünschten Veränderungen: Man lernt sie nicht lieben, aber man beginnt im Rahmen des Möglichen über sie hinwegzusehen - und weiterzumachen. In der Volleyball-Bundesliga war das am vergangenen Samstag in Herrsching zu beobachten, wo sich Düren und die WWK Volleys einen emotionalen Schlagabtausch lieferten, der einer ausverkauften Halle zur Ehre gereicht hätte. Sowohl Düren als auch Herrsching sind für ihre Neigung zum hitzigen Dauerdialog miteinander und den Unparteiischen gleichermaßen geschätzt und gefürchtet - je nachdem, ob man Fans oder Schiedsrichter fragt.

Dass von dieser Atmosphäre etwas bei einem Publikum ankommt, das nur vor dem Bildschirm erlaubt ist, muss man in einer leeren Halle aber erstmal schaffen; Düren und Herrsching boten ihren Fans beim 1:3 (22:25, 25:19, 23:25, 21:25) dahingehend eine große Show. Der Hallensprecher hatte sich in seine königliche Verkleidung geworfen und schrammte mindestens einmal haarscharf an einer Verwarnung vorbei, als er seine Kritik an einer Schiedsrichterentscheidung, von wilden Gesten begleitet, sehr laut und ausdauernd zum Vortrag brachte.

Angesichts der Pandemie gibt es wichtigere Dinge als die Frage, in welcher Halle man spielt, sagt Trainer Hauser

Das Worst-Case-Szenario, eine Hauptrunde ohne Zuschauer, über das noch im Sommer am liebsten niemand laut hatte nachdenken wollen, ist längst Alltag geworden am Ammersee. "Ich will nicht, dass wir uns da gar so leid tun, weil es angesichts der Pandemie wirklich wichtigere Sachen als die Frage gibt, in welcher Halle wir spielen", sagt Hauser und spricht damit dennoch ein gewichtiges Thema an.

Denn die aktuelle Situation hat für den Tabellenvierten eine Tragweite, die über entgangene Einnahmen aus Eintrittsgeldern hinausgeht. Eigentlich hätte der Klub ja bereits in den in der Vorsaison entfallenen Playoffs seine Premiere im Münchner Audi Dome geben wollen. Nun wurde sie erneut verschoben, weil Geisterspiele dort unverhältnismäßig teuer sind, sofern sie nicht zumindest live im Fernsehen übertragen werden - und das werden sie im Fall der Herrschinger nicht. Ein Umzug in eine größere Halle mutet in Zeiten, in denen sowieso niemand hinein darf, darüber hinaus reichlich seltsam an. "Wenn es kein TV-Spiel ist, ist egal, vor welcher leeren Halle wir spielen - null ist null", fasst Hauser die Ausgangslage treffend zusammen.

Dass das lang ersehnte erste Spiel vor großer Kulisse weiter warten muss, schmerzt ihn. Es sei "ein bisschen, wie wenn einem eine Karotte hingehalten wird, die dann immer wieder jemand wegzieht". Der gelegentliche Umzug in die Spielstätte der FC-Bayern-Basketballer soll der nächste große Entwicklungsschritt in Richtung Spitzenteam werden. "Du bist, wo du spielst", hatte Geschäftsführer Fritz Frömming vor gut einem Jahr gesagt und befindet sich mit dieser Einschätzung in guter Gesellschaft. Der ganz große sportliche Sprung folgte bei den meisten Vereinen auf den Umzug in eine größere Halle - nicht umgekehrt. Musterbeispiel ist die rasante Entwicklung der BR Volleys aus Berlin zum Branchenprimus.

"Wir haben wochenlang am oberen Limit gespielt und konnten das nicht durchhalten."

Dass Herrsching bisher sportlich derart überzeugt, obwohl Außenangreifer David Wieczorek gegen Düren erstmals ernsthaft eingriff und Diagonalangreifer Jalen Penrose nach seiner Knöchelverletzung ohne Einsatz im Kader stand, wirkt da fast schon tragisch. Er sei sportlich "im Großen und Ganzen sehr zufrieden", gab Frömming trotz der Niederlage zu Protokoll, "wir haben wochenlang am oberen Limit gespielt und konnten das nicht durchhalten." Doch weder Frömming noch Hauser wähnen die strukturelle Entwicklung durch die Corona-Maßnahmen nachhaltig ausgebremst. "Wir spielen irgendwann im Audi Dome", sagt Frömming, "wir schieben das, bis es wieder geht."

Die nächste Hoffnung gilt den Playoffs. Zugute kommt den Herrschingern, dass sie offenbar einen verständnisvollen Vermieter haben. So enttäuscht sich Frömming vor einer Woche über die Liga äußerte, weil Herrsching kein Live-Spiel bekommen hatte, so voll des Lobes ist er über den FC Bayern. "Das ist vielleicht der beste Partner, den wir haben können, denn die sehen das ja alles auch", sagt er. Hinzu kommt, dass Herrsching mit dem Problem nicht allein ist. Der gesamten Sportlandschaft wurde quasi in der Bewegung der Stecker gezogen - ein kollektives Jahr der Karotte, wenn man so will.

Mit fehlender Präsenz dürfe man das allerdings nicht verwechseln, betont Hauser und fügt hinzu: "Wir haben, weil wir gut spielen, eine gute Präsenz. Daran, dass sich die Einschaltquoten des Live-Streams vervierfacht haben, hat die Erfolgssträhne mit Sicherheit großen Anteil." Noch mehr Präsenz würde seinem Team gleichwohl zuteil, wenn es am Donnerstag das Pokalfinale erreichen würde. Live im Fernsehen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: