Vierschanzentournee: Loitzl siegt:Lässig im letzten Akt

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Mit zwei spektakulären Sprüngen in Bischofshofen sichert sich Wolfgang Loitzl den Sieg bei der 57. Vierschanzentournee. Die deutsche Mannschaft überzeugt erneut - vor allem Martin Schmitt.

Thomas Hahn

In der kalten Nacht stand Bischofshofens Schanze wie ein Palast aus Elfenbein, hell erleuchtet, trügerisch schön, und leise Zweifel umrankten sie. Der Loitzl wackelt, raunten jene, die seine Weite vom Probedurchgang gesehen hatten und dazu die Weiten seiner Konkurrenten um den Sieg bei der 57. Vierschanzentournee.

Wolfgang Loitzl fliegt bei der Vierschanzentournee auf Platz eins. (Foto: Foto: AP)

Aber dann erschien er auf dem Startbalken: Wolfgang Loitzl aus Bad Mitterndorf, 28, der mal ein Ärgernis für seine Trainer war, der sein Talent an ein ungesundes Phlegma zu verlieren schien, der über ein Jahrzehnt Skispringer sein musste, ehe alle Mitbewerber, Trainer, Kollegen, Kritiker und Zuschauer zu ihm aufblickten. Ein Meer aus rot-weiß-roten Fahnen lebte auf und ein Konzert aus Tröten, das sich wie der Lärm eines monströsen Hornissenschwarms über die Szene legte. Loitzl sprang. Friedlich segelte er ins Tal. Aus der Ferne sah es aus, als lande er auf einem Federbett, so weich setzte er die Ski in den eisigen Hang. 142,5 Meter, vollendete Haltung.

Fünf Mal vergaben die Kampfrichter die Traumnote 20,0, was vorher nur Loitzls Skisprungdirektor Toni Innauer 1976 beim Skifliegen in Oberstdorf erreicht hatte. Es war erst der erste Durchgang, und die Entscheidung dennoch gefallen gegen seine Gegenspieler Simon Ammann aus der Schweiz und Gregor Schlierenzauer aus Österreich. Wenig später stand Loitzl auf dem obersten Podest als Tagessieger von Bischofshofen, Gewinner der Tournee vor Ammann und Meister aller Nervenspieler. Er lächelte versonnen und er sagte: "Es ist alles wie von selbst gegangen."

Der Abspringer auf der Schanze der Flieger

Es war das emotionale Finale einer spektakulären Tournee, die der Steirer Loitzl, ein Novize auf der höchsten Ebene des Weltcups, bewältigte, als hätte er in seinem Skispringerdasein nie etwas anderes gemacht, als gegen die Besten zu bestehen. Allein diesen letzten Akt gestaltete er mit einer Lässigkeit, die ihm all seine vermeintlichen Nachteile hinweghalf. Sein Vorsprung auf Ammann nach seinen Siegen in Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck war komfortabel. Er betrug 15,8 Punkten, mancher sprach schon von Vorentscheidung. Aber die Paul-Außerleitner-Schanze schien ihn bremsen zu können, denn eigentlich lag die ihm nicht.

Ihr Profil ist anders als das der anderen drei Schanzen der Tournee. Ihr Anlauf ist lang und flach, er lässt dem Springer bei der Fahrt auf dem Schanzentisch viel Zeit für Gedanken, welche die Konzentration auf den richtigen Moment des Absprungs stören können. Sie bevorzugt Springer mit besonderem Talent für die Flugphase, Springer wie Ammann zum Beispiel oder den Skiflug-Weltmeister Schlierenzauer also.

Loitzl hingegen hat seine Stärken beim Absprung, er ist einer der kräftigsten Athleten im Skisprungweltcup, und wenn er erzählt, warum er so lange nicht zu den Besten aufschließen konnte, verweist er auf seine Schwächen in der Flugphase, die er sich erst allmählich wegtrainiert habe.

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Die früheren Sieger des traditionsreichen Skisprungvierkampfes waren allesamt wagemutig - manch einer auch abseits des Sports. Von Offizieren, Häftlingen und Maskenträgern.

Aber Loitzl kümmerte dieser Nachteil nicht. Er war ruhig, gab ausführliche Interviews. Fast schien er sich von seiner Stärke ablenken zu wollen. "Ich habe es noch nicht analysiert", sagte er zum Phänomen seiner Seriensiege, "und ich will es auch gar nicht analysieren." Er wollte auf die Schanze, er wollte seine Stärke spüren, und deshalb kam es für ihn auch nicht in Frage, die Qualifikation auszulassen, wie das Simon Ammann und Gregor Schlierenzauer taten. "Zur Zeit strotze ich so vor Kraft, da will ich keinen Sprung auslassen", sagte Loitzl.

Aber in der Qualifikation landete er etwas früher als gedacht. 134 Meter bedeuteten die viertbeste Tagesweite, und im Training am nächsten Tag brachte er sogar nur 131 Meter in den Hang, während Schlierenazuer 140,5 Meter sprang und Ammann 139 Meter. Das war der Moment, in dem bei den Beobachtern Zweifel aufkamen.

Oder war alles nur ein Bluff? "Ich glaube, er weiß ganz genau, was er macht", sagte Martin Schmitt, der als Fünfter auch in Bischofshofen Bester eines starken deutschen Teams war mit Michael Neumayer auf Platz sechs, Michael Uhrmann auch Rang acht und Stephan Hocke auf Rang 15.

Und so war es dann wohl auch, Loitzl sagte: "Mir war klar, was zu tun war, ich war relaxed, und doch konzentriert." In der Qualifikation war er absichtlich so kurz gesprungen, um einem K.o.-Duell mit den Schwänzern Ammann und Schlierenzauer zu entgehen, das Training nutzte er offenbar nur zum Warmwerden. Denn im Wettkampf flog er wieder auf den Schwingen seines Selbstbewusstseins, unbestechlich, wie an der Schnur gezogen zur Bestweite. "Der Gregor und ich haben gepokert", sagte Ammann, aber das half nichts gegen den kühlen, siegeshungrigen Loitzl.

Nach dem ersten Durchgang schien schon alles vorbei zu sein. Ein kontrollierter Loitzl erschien beim Fernsehinterview und analysierte freundlich seinen makellosen Sprung zur Pausenführung, bei dem "von vorn bis hinten alles gepasst" habe. Die Bestnoten? "Das war nur ein positiver Nebeneffekt", sagte er nüchtern. Dann stieg er wieder zum Turm empor, brachte wie selbstverständlich 143,5 Meter ins Tal und sicherte seinen dritten Tagessieg bei der Tournee vor Ammann, dem Russen Dimitri Wassiljew und Schlierenzauer, dem am Schluss etwas die Luft auszugehen schien.

Simon Ammann sah etwas traurig aus. Er hatte große Hoffnungen gehabt. Er sagte: "Ich bin nicht überglücklich, aber doch zufrieden mit dem zweiten Platz." Er musste sich fügen, bei aller Schweizer Gelassenheit. Gegen die Ruhe Loitzls war er chancenlos.

© SZ vom 07.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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