U21-EM in Italien:Im Namen des Glaubens

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Blaue Renaissance: Federico Chiesa, Riccardo Orsolini und Patrick Cutrone feiern den Sieg gegen Spanien. (Foto: Claudio Villa/Getty Images)

Federico Chiesa schießt Italiens Nachwuchsmannschaft beim Turnier im eigenen Land zum 3:1-Auftaktsieg gegen Spanien. Der Flügelstürmer der jungen Squadra Azzurra steht für die wohl talentierteste italienische Fußballer­generation seit Jahren.

Von Sebastian Fischer, Udine

Es ist nur eine Europameisterschaft der U21-Junioren, aber in Italien brauchte es bloß einen Abend, bis ein Turnier der Fußballtalente in eine höhere Dimension vordrang. "Abbiamo Fede", titelte die Gazzetta dello Sport am Montag, nach Italiens 3:1 gegen Spanien zum Auftakt. "Wir glauben dran", kann das heißen; daran, dass es nach langer Zeit wieder italienische Nachwuchsspieler gibt, die alle anderen schlagen können. "Abbiamo Fede", das heißt aber auch: "Wir haben Fede". Federico Chiesa also, jenen Stürmer, der Italien den Glauben mit zwei Toren schenkte.

Welche Bedeutung dieses Turnier in den kommenden zwei Wochen hat, das kommt ganz darauf an, von wo man es verfolgt. Der belgische Verband zum Beispiel hat seinen Kader in einem Video bekanntgegeben, in dem er die Spieler zu Zeichentrickfiguren der Serie "South park" stilisierte, was für gesunde Selbstironie sprechen könnte. Das erste Spiel verlor Belgien 2:3 gegen Polen. Schaut man sich die Kader von England oder Frankreich an, dann fehlen die besten nach dem Stichtag am 1. Januar 1996 geborenen Talente, weil sie schon A-Nationalspieler sind und Sommerurlaub haben sollen: Dele Alli von Tottenham Hotspur etwa, oder Kylian Mbappé von Paris St. Germain.

Italien dagegen nimmt die EM überaus ernst. Im Kader stehen sechs Spieler aus der A-Nationalmannschaft. Innenverteidiger Gianluca Mancini aus Bergamo, die Mittelfeldspieler Lorenzo Pellegrini und Nicolo Zaniolo von der AS Roma, Nicolo Barella von Cagliari Calcio. Und natürlich die Angreifer Moise Kean von Meister Juventus Turin sowie eben Federico Chiesa vom AC Florenz. Mittelstürmer Kean, 19, debütierte schon mit 18 in der Nationalelf. Am Sonntag wurde er nach einer Stunde ausgewechselt, die Verteidiger hatten sich ihm mit allen Mitteln in den Weg gestellt, es war nicht sein Abend. Dafür war es der Abend von Chiesa, 21, Flügelstürmer, 13 A-Länderspiele, dessen Vorname in der Kurzform Fede Glauben bedeutet. Sein Nachname bedeutet Kirche, was die Zeitungen in Italien zu diversen religiös-spirituellen Wortspielen verleitet. La Repubblica nannte die beiden Tore Chiesas: "Due atti di Fede", zwei Glaubensbekenntnisse.

Italien schien zunächst unterlegen zu sein, lag nach einem traumhaften Tor, einem Schuss von Dani Ceballos in den Winkel, schon nach neun Minuten zurück. Spanien ist ja das Maß der Dinge bei U21-Europameisterschaften, stand bei den vergangenen vier Turnieren dreimal im Finale, gewann zweimal. Doch nach einer halben Stunde drehten die Italiener das Spiel. Chiesas ersten Treffer nach 36 Minuten begünstigte ein Torwartfehler, der Ball schlug aus spitzem Winkel in der kurzen Ecke ein. Es war aber vielmehr die vorangegangene Ballannahme nach einem weiten und hohen Pass, die Chiesas ganze Klasse zeigte: Er kontrollierte den Ball mit einer Berührung seines Spanns, als würde er einen Fanghandschuh am Fuß tragen. Sein zweiter Treffer nach 64 Minuten war ein Stürmertor aus kurzer Distanz.

Chiesas Vater Enrico spielte in den Neunzigerjahren für die Squadra Azzurra, ebenfalls als Stürmer, in der Serie A schoss er 139 Tore, die meisten für den AC Parma. Chiesa junior hat in der vergangenen Saison sechsmal getroffen, aber die Statistik verheimlicht seinen großen Wert eher. Die Fiorentina wurde Anfang Juni von Rocco Commisso gekauft, einem amerikanischen Geschäftsmann, dem auch der Klub New York Cosmos gehört. Commisso tönt, er wolle Chiesa, den Liebling des Publikums, nicht verkaufen. Rund 60 Millionen Euro soll er kosten. Juventus soll daran interessiert sein, so viel zu bezahlen.

Zunächst soll Chiesa die U21 mit seinen Toren durch das Turnier tragen, und er steht dabei nicht für weniger als ein "neues Italien, das Europa respektiert", so steht es in der Titelgeschichte des Magazins Sportweek. Man muss sich nur die Bilanzen der vergangenen Turniere anschauen, um zu erkennen, dass Italien eine Verjüngung nötig hat: Bei der EM 2016 galt Simone Zaza als eines der Gesichter der Zukunft - der Stürmer, der nach seinem berühmten kuriosen Anlauf einen Elfmeter gegen Deutschland verschoss, war damals 26. Bei der WM 2018 war Italien nicht dabei. Der letzte von fünf Titeln bei einer U21-EM liegt dementsprechend 15 Jahre zurück. Doch nun gibt es wieder Talente. Und den Eindrücken vom Sonntag zufolge kann die Generation halten, was man sich von ihr verspricht. "Die blaue Renaissance ist nicht nur ein Slogan", schrieb der Corriere della Sera.

Die Erwartungen im Land sind groß. Trainer Di Biagio sagt daher: "Man muss noch wachsen."

Trainer Luigi Di Biagio hat vor dem Turnier versucht, der Erwartungen Herr zu werden. "Jeder sagt mir, ich muss gewinnen. Jeder sagt mir, wir haben eine starke Mannschaft", so klang das. Als sein Team dann am Sonntag das Spiel drehte, schien auch er sich der Euphorie hin zugeben. Als der Schiedsrichter nach Ansicht der Videobilder einen umstrittenen Elfmeter gab, sah man Di Biagio die Entscheidung schon bejubeln, bevor Pellegrini den Strafstoß zum 3:1 verwandelt hatte. "Dieser Sieg ist für uns sehr wichtig, doch man muss noch wachsen", sagte Di Biagio später.

Es ist nur eine U21-EM. Aber es ist auch das erste Fußballturnier in Italien seit der WM 1990. Verbandschef Gabriele Gravina hat den Turniersong eines Rappers mit "Un'estate italiana" verglichen, der Hymne von damals. Das Stadion in Bologna war voll. Und als hätte es noch ein ikonisches Bild gebraucht, zeigte der TV-Sender Rai 1 einen Geistlichen auf der Tribüne, im Gewand mit Kollar. Er schob die Ärmel hoch.

© SZ vom 18.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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