U-21-WM: Ein Elfmeterkrimi:Und sie hörten nicht mehr auf

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"So ein Spiel habe ich noch nie erlebt", sagte Schiedrichter Knut Kircher nach der Partie Holland gegen England - ein Elfmeterdrama mit den üblichen Verdächtigen.

Christof Kneer

Von einem Fußballverband muss man wahrscheinlich schon erwarten können, dass er die Biographie seiner Trainer überprüft, bevor er sie einstellt. Ob das auch für die englische FA gilt, ist aber eher ungewiss, denn könnte man sonst auf die Idee kommen, Stuart Pearce eine Mannschaft anzuvertrauen? Wer Pearce Gutes will, könnte sagen, dass er zweimal im Leben einen Elfmeter verwandelt hat, bei der EM 1996, im Viertel- und Halbfinale, im Elfmeterschießen gegen Spanien und Deutschland. Gegen Deutschland - und damit geht's ja schon mal los - stand am Ende dennoch eine 6:7-Niederlage, und wer Pearce realistisch betrachtet, muss also feststellen, dass er und der Elfmeter keine Freunde mehr werden. Im Halbfinale der WM 1990 schaffte er es etwa, den deutschen Torwart Illgner zum Helden zu machen, was ein ziemliches Kunststück ist. Bodo Illgner hatte kein Talent für Elfmeter, aber gegen den Schuss von Pearce hat er sich einfach nicht wehren können. Pearce ballerte dem Wehrlosen ans Knie.

Gianni Zuiverloon freut sich: Holland gewinnt nach Elfmeterschießen (Foto: Foto: dpa)

Stabile Selbstironie

Dieser Fehlschuss hat den im Übrigen exzellenten englischen Linksverteidiger Stuart Pearce berühmt gemacht, aber das ist jetzt nicht mehr das einzige historische Ereignis, bei dem er dabei war. Pearce ist heute Trainer der englischen U-21-Auswahl, die am Mittwochabend im Halbfinale der U-21-EM dem Gastgeber Niederlande unterlag - mit 12:13 (1:1, 1:1, 0:1) nach Elfmeterschießen. Ein Ergebnis, das nicht ganz an den Elfmeter-Weltrekord herankam (Argentinos Juniors - Racing Club Avellaeda 20:19), aber für einen neuen Europarekord reichte es locker. Es war das längste Elfmeterschießen in offiziellen Uefa-Spielen - und bis es feststand, mussten 32 Elfmeter geschossen werden. ,,Immerhin haben wir die Entscheidung bis zum 32. Elfmeter hinausgezögert, das ist ja ein Schritt in die richtige Richtung'', sagte Pearce.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Fußballgott immer die Engländer quält. Es braucht dazu einen mit stabiler Selbstironie ausgestatten Volksstamm, anders wäre das alles ja gar nicht auszuhalten. Und diesmal steckte so viel Ironie im Elfmeterschießen wie nie zuvor: Nicht nur, dass es natürlich wieder Engländer sein mussten; sie verloren dann auch noch gegen Holländer, die in der Kunst des Elfmeterverschießens mindestens genauso bewandert sind - und wie zum Hohn wurde diese Partie auch noch von einem Schiedsrichter aus einem Land überwacht, das der Überlieferung nach niemals auch nur einen einzigen Elfmeter verschoss: von Knut Kircher aus Rottenburg bei Tübingen in Deutschland.

,,So ein Spiel hab ich wirklich noch nie erlebt'', sagt Kircher. Aber ein guter Schiedsrichter rechnet ja mit allem, weshalb sich Kircher am Morgen vor dem Spiel extra noch mal in sein Hotelzimmer zurückzog. Er hat dort sein Regelheft ausgepackt und sicherheitshalber noch mal die Unterregel der Unterregel studiert. ,,Es gehört zur professionellen Vorbereitung, dass man sich auch auf unwahrscheinliche Fälle einstellt'', sagt er.

Er hat also nicht überlegen müssen, als die unwahrscheinlichen Fälle einer nach dem anderen eintraten. ,,Die Engländer mussten in der Verlängerung einen Spieler wegen Verletzung vom Feld nehmen, obwohl sie schon dreimal gewechselt hatten'', erzählt er. ,,Sie waren beim Elfmeterschießen also nur noch zu zehnt, und die Regel besagt, dass dann auch die andere Mannschaft einen Spieler vom Feld nehmen muss.'' Und dann schossen sie also, und sie hörten nicht mehr auf. Nach je fünf Schützen stand es 3:3, dann starteten die Einzelduelle, und irgendwann schleppte sich der englische Verteidiger Steven Taylor zum Punkt. ,,Der war auch verletzt und konnte nur noch humpeln'', sagt Kircher.

Sechs Spieler doppelt

Taylor hätte den Schuss verweigern können, dann hätten die Holländer auch wieder einen Schützen rausnehmen müssen, und beide hätten nur noch mit neun Spielern weitergeschossen. Kircher hat Taylor gefragt, ob er verzichten wolle, ,,aber der hat nur mit dem Kopf geschüttelt''. Und dann hat er den Elfmeter reingehauen, cool und humpelnd.

Am Ende hatten jeweils sechs Spieler doppelt antreten müssen, bis das Spektakel beendet war. Anton Ferdinand war es schließlich, der den Pearce machte - der Bruder des A-Nationalspielers Rio Ferdinand donnerte den 31. Elfmeter an die Latte, worauf der Holländer Gianni Zuiverloon vorübergehend vergaß, dass er Holländer ist und den letzten Elfmeter ins Tor bolzte. Vermutlich wird die Holländer jetzt keiner mehr aufhalten können auf dem Weg zum EM-Titel; am Samstag steigt das Finale gegen Serbien.

Stuart Pearce hat Knut Kircher am Ende noch die Hand geschüttelt und ist dann in der Kabine verschwunden. Er hat sich vermutlich gefühlt wie 2002, nach seinem letzten Spiel als aktiver Fußballer. Da gab es Elfmeter für sein Team, und der gegnerische Keeper hat ihm versprochen, den Ball reinzulassen. Stuart Pearce hat verschossen.

© SZ vom 22.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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