U-21-Nationalelf:Multi-Kulti ist normal

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Wurzeln bis nach Sibirien: Der Kader der deutschen U-21-Nationalelf bei dieser EM dokumentiert die Normalität im Fußball.

Ulrich Hartmann, Göteborg

Die U21 wird bald 30. Am 10.Oktober 1979 ist erstmals eine (bundes-)deutsche Nachwuchsmannschaft unter diesem Namen angetreten. Die Ur-U21 hat ihre Premiere 0:1 in Polen verloren. Ihre bekanntesten Mitglieder waren Thomas Allofs, Pierre Littbarski und Rudi Völler. Völler war damals 18 Jahre alt und durfte drei Jahre später immer noch in der U21 spielen, als die Mannschaft zum bis heute einzigen Mal ins Endspiel einer Europameisterschaft einzog.

Dennis Aogo: "Ich bin stolz darauf, für Deutschland spielen zu dürfen, auch wenn ich die Hymne nicht singe." (Foto: Foto: rtr)

Sie verlor gegen England, aber Rudi Völler gewann den Titel des besten Turnierspielers. Diese Ehre ist bis heute keinem deutschen Spieler mehr zuteil geworden. 1982 war das bisher beste Jahr in der Geschichte der deutschen U21. Es wird schwer für die aktuelle Auswahl, die 82er-Mannschaft zu übertrumpfen, aber mit der Kraft des kulturellen Kollektivs könnte das klappen. Die U21 will in Schweden erstmals Europameister werden, und anders als vor 30 Jahren haben fast alle Spieler der deutschen Stammelf internationale Wurzeln.

Vor 30 Jahren hat kein Nationalspieler die Nationalhymne mitgesungen. Das war verpönt. Heute ist das anders. Selbst wenn einer gar nicht singen kann, gehört es zum guten Ton, "Einigkeit und Recht und Freiheit" zu beschwören. "Wir kriegen manchmal Beschwerdebriefe, wenn jemand nicht singt, und das im Fernsehen zu sehen ist", sagt der Nationalteammanager Oliver Bierhoff, "manchmal beschweren sich Zuschauer aber auch über die Frisuren der Spieler." Die Sache mit der Hymne wird intern nicht politisiert. "Wir überlassen das jedem Spieler selbst", sagt Bierhoff.

Deswegen war es auch nicht der Rede wert, dass viele U21-Spieler am Montag vor dem Spiel gegen Spanien nicht gesungen haben und dies auch in der zweiten Partie an diesem Donnerstag gegen Finnland (18.15, live im ZDF) nicht tun werden. Neun der elf deutschen Startspieler vom Montag haben internationale Wurzeln, aber das ist für keinen Einzigen der Grund, die Hymne nicht mitzusingen. "Ich habe noch nie mitgesungen und werde das auch weiterhin nicht tun", sagt der Abwehrspieler Dennis Aogo vom Hamburger SV.

Der 22-Jährige ist in Karlsruhe geboren, hat einen nigerianischen Vater und wurde vom nigerianischen Fußballverband kürzlich zum Länderspiel eingeladen. Doch Aogo hat abgesagt. Er lässt keinen Zweifel an seiner deutschen Identität. "Ich bin stolz darauf, für Deutschland spielen zu dürfen", sagt er, "auch wenn ich die Hymne nicht singe."

Andreas Beck wurde in Sibirien geboren, Sebastian Boenisch in Polen, Ashkan Dejagah in Teheran und Marko Marin in Bosnien, Jerome Boateng hat einen ghanaischen Vater, Sami Khedira einen tunesischen und Dennis Aogo einen nigerianischen, Mesut Özil hat türkische Eltern und Gonzalo Castro spanische. Die deutsche Nachwuchsmannschaft ist so international wie noch nie, aber das ist intern nicht mal ein großes Thema. "Wir kennen es aus unseren Klubs nicht anders", sagt Dennis Aogo.

Multi-Kulti ist normal geworden. "Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets, ich kenne das schon aus der Schule", sagt der Torwart Manuel Neuer. Er und Benedikt Höwedes waren in der Startelf gegen Spanien die Einzigen mit rein deutschen Wurzeln. Kulturelle oder sprachliche Unterschiede sind im Team nicht spürbar. "Alle sprechen einigermaßen Deutsch", sagt Neuer grinsend. Sogar Mundarten sind zu vernehmen. Boateng berlinert, Khedira schwäbelt ein bisschen.

Viel entscheidender als die kulturellen oder sprachlichen Einflüsse sind für eine Elf die fußballerischen. "Man sagt ja, afrikanische Fußballer hätten eine starke Physis und die Europäer taktisch gut ausgebildet sind", sagt Aogo, "eine Mischung aus beidem kann da schon sehr gut sein für eine Mannschaft." Auch der Mannschaftskapitän Khedira sieht positive Einflüsse. "Mesut Özil bringt eine gewisse Leichtigkeit ins Spiel", sagt er über den kleinen Deutsch-Türken, der in Gelsenkirchen geboren wurde, in Bremen spielt und am Montag gegen Spanien sein bestes Länderspiel gemacht hat. Özil hatte länger überlegt, ob er für Deutschland oder die Türkei spielen will und sich schließlich für den Deutschen Fußball-Bund entschieden. Jetzt ist er einer der aussichtsreichsten Spieler für eine Zukunft im offensiven Mittelfeld des A-Nationalteams.

Özil zog mit seiner Entscheidung zu Jahresbeginn allerhand Anfeindungen auf sich. Der Spieler musste seine Internetseite schließen, weil darauf unhöfliche Formulierungen hinterlassen wurden. Mittlerweile hat sich alles beruhigt. Özils Wahl wurde akzeptiert, die aller anderen Spieler auch. "Mein tunesischer Vater ist stolz darauf, dass ich für Deutschland spiele", sagt Sami Khedira. Und sollte die Elf am 29. Juni in Malmö im Finale stehen, würde dieser Stolz noch weiter wachsen.

© SZ vom 18.06.2009/jüsc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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