TV-Dokumentation:"Fast alle wussten offenbar vor dem Spiel Bescheid"

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Solidarischer Applaus nach den Schmähungen im Bayern-Fanblock: Dietmar Hopp (Mitte), Karl-Heinz Rummenigge und Spieler am 29. Februar 2020. (Foto: Matthias Hangst/Getty)

Eklat um Fan-Schmähungen gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp in neuem Licht.

Der 29. Februar 2020 war ein denkwürdiger Tag in der Bundesliga. Doch etwas mehr als ein Jahr danach erscheint der damalige Eklat um Schmähplakate gegen Dietmar Hopp, den Mehrheitseigner der TSG-Hoffenheim, in einem neuen Licht. Beim Spiel von Hoffenheim gegen den FC Bayern hatten beide Mannschaften wegen heftiger Beleidigungen gegen Hopp aus dem Münchner Fanblock das Spielen auf dem Platz quasi eingestellt (beim Stand von 0:6). Nun berichtete nach einer Dokumentation am Samstagabend im ZDF der Reporter Jochen Breyer, der den Film zusammen mit Jürn Kruse erstellt hat, in einem taz-Interview, dass die publikumswirksamen Aktionen damals offenbar inszeniert waren. "Was mich am meisten überrascht hat: Dass vor dem Spiel in Sinsheim offenbar fast alle Bescheid wussten, was passieren würde, die TSG, der FC Bayern und der DFB."

Er habe sich in seinem 45-Minuten-Beitrag ("Der Prozess: Wie Dietmar Hopp zur Hassfigur der Ultras wurde") um eine vielschichtige Aufbereitung der Geschehnisse im Vorjahr bemüht, so Breyer. Man dürfe nicht vergessen, dass am Anfang des Ganzen immer noch die Schmähungen der Fans standen. Aber: "Dass die Reaktionen der Verantwortlichen offenbar auch geplant waren und dass dabei an der einen oder anderen Stelle überzogen wurde, das veränderte meinen Blick auf diesen Tag und auf diesen Konflikt." Die Spieler beider Teams waren wegen der Anfeindungen gegen Hopp von Schiedsrichter Dingert in die Kabine geschickt worden. Das Spiel wurde zwar fortgesetzt - allerdings nur noch mit Ballgeschiebe beider Teams.

Uli Hoeneß sagt, man dürfe auch aus heutiger Sicht die Täter und Opfer nicht verwechseln

Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Dietmar Hopp hatten sich im strömenden Regen auf den Platz begeben und demonstrativ den Hoffenheimer Fans applaudiert, die sich gegen die Schmähungen gewandt hatten. "Das war das hässliche Gesicht von Bayern München. Dafür gibt es keine Entschuldigung", rügte Rummenigge damals das Verhalten des eigenen Fanblocks. DFB-Präsident Fritz Keller sagte an jenem Abend im ZDF-Sportstudio über skandalöses Fan-Verhalten: "Wir sind am Tiefpunkt angekommen."

Allerdings: Die FC-Bayern-Fangruppierung "Schickeria" hatte offenbar bereits zwei Tage vor dem Spiel den Ehrenpräsidenten Uli Hoeneß über ihre Pläne für das Hoffenheim-Spiel in Kenntnis gesetzt. Die kritischen Kundgebungen waren eine Reaktion auf eine Kollektivstrafe des Deutschen Fußball-Bundes gegen Borussia Dortmund, das wegen wiederholter Schmähungen gegen Hopp bei Spielen in Hoffenheim zwei Jahre ohne eigene Fans antreten muss. "Ich habe ihnen gesagt, dass ich das überhaupt nicht akzeptieren kann", sagte Hoeneß in der Doku zu den damaligen Aktionen der Fans. Auch Hopp habe vorab gewusst, dass im Stadion etwas passieren könnte. Die TSG und der DFB seien ebenfalls früh informiert worden, berichtete das ZDF. Gleiches galt offenbar für den Live-Kommentator des Senders Sky, der schon vor der Übertragung beeinflusst worden sein soll und später die Vorfälle im Fanblock empört geschildert hatte.

Hoeneß betonte in der Doku nochmals, man dürfe Täter und Opfer auch aus heutiger Sicht nicht verwechseln: "Es gibt nur ein Opfer und nur eine Gruppe, die schuldig ist", es sei "pervers", wenn man versuche, nun Hopp oder Rummenigge den Schwarzen Peter zuzuschieben. Hopp wollte sich im ZDF-Film nicht mehr zu den damaligen Vorkommnissen äußern, das übernahm sein Anwalt Christoph Schickhardt: Hopp sei bereit, den Ultras die Hand zu reichen, aber er wolle Taten sehen - heißt: eine Entschuldigung. "Er fühlt sich in seiner persönlichen Ehre auf Gröbste verletzt." Das sieht Hoeneß ähnlich, er sagt: Die Fans könnten mal den ersten Schritt machen und sich bei Hopp entschuldigen.

Reporter Breyer gab sich in Sozialen Medien selbstkritisch - wegen eines Interview mit Hopp im "Sportstudio" fünf Wochen nach dem Bayern-Spiel. Dieses Interview sei zu Recht von Fangruppen kritisiert worden: "Die Kritik habe ich mir damals sehr zu Herzen genommen und mich nach der Sendung mit Vertretern der Ultra-Szene getroffen, um mir ihre Version des Konflikts anzuhören", so Breyer. Die Doku sei der Versuch, "das nachzuholen, was wir damals verpasst haben: diesen komplexen, vielschichtigen, emotional aufgeladenen Konflikt ausgewogen darzustellen". Kritische Nachfragen an Hopp waren bei jenem Interview damals nicht gestattet.

Aktuell ist es ruhig geworden im Konflikt zwischen Ultras, Hopp und DFB. Der coronabedingte Ausschluss der Fans aus den Stadien hat das Problem aber keinesfalls gelöst. Ein Fanvertreter sagte, die obszöne Wortwahl damals sei nicht der normale Sprachgebrauch, doch mit normaler Sprache "hätten wir niemals im Leben Gehör gefunden". Ein "Schickeria"-Vertreter forderte die Rücknahme der Kollektivstrafe für die Dortmunder Anhänger. Diese Strafe sei ein "Tabubruch" des DFB.

Der frühere DFB-Präsident Reinhard Grindel hatte 2017 erklärt, dass es diese Kollektiv-Sanktion nicht mehr geben solle. Doch der nach wie vor amtierende Vizepräsident Rainer Koch sah das laut Grindel anders: "Mein Verhältnis zu Rainer Koch ist durch diese Entscheidung ganz wesentlich nicht nur belastet, sondern fast zerstört worden", sagte Grindel in dem Film. Koch habe gar die "absurde Idee" gehabt, verdeckte Ermittler aus Sicherheitsfirmen in Fan-Blöcke einzuschleusen - diese Behauptung wies Koch laut ZDF zurück. Grindel räumte zudem ein, er habe auch die deutsche EM-Bewerbung für 2024 im Blick gehabt - und nur schöne Bilder aus den Stadien sehen wollen.

© SZ vom 29.03.2021 / sid, dpa, sz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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