Turniervorschau:Pfade wie Morast

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Angelique Kerber hat schwierige Gegnerinnen, Favoritinnen sind andere. Das Turnier bietet außerdem vielerlei Attraktionen. Fragen und Antworten vor dem Auftakt.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Jeder hat die gleiche Chance auf den Sieg, statistisch betrachtet. Sie liegt bei 1:128. So viele Profis starten an diesem Sonntag ins zweite Grand-Slam-Turnier der Saison, jeweils im Frauen- und Männereinzel. Ein Novum steht bereits fest: Erstmals seit 1978 fehlen die beiden amtierenden Champions des vorangegangenen, ersten Grand Slams, der Australian Open. Der Schweizer Roger Federer lässt diesmal die Veranstaltungen auf Sand aus, er setzt alles auf die Rasen- und Hartplatz-Events, vor allem auf Wimbledon. Die Amerikanerin Serena Williams ist schwanger. Das war die 35-Jährige auch in Melbourne, als sie ihren 23. Grand-Slam-Titel errang. Aber nun ist das Bäuchlein doch sichtbar groß. Sie will nächstes Jahr zurückkommen. Das Fernbleiben der beiden hat natürlich Einfluss auf die Wettbewerbe. Drei wichtige Fragen aus sportlicher Sicht zu den French Open 2017.

Wer sind die Favoriten?

Bei den Männern wird nur ein Name als der Top-Kandidat gehandelt. Rafael Nadal könnte die persönliche La Décima holen, den zehnten Coupe des Mousquetaires am 11. Juni hochstemmen. Man kann sich seiner Erfolge erinnern, die der Spanier wieder in diesem Jahr errungen hat, in Madrid etwa siegte er sehr überzeugend. Man kann sich aber auch nur seinen Schlagarm ansehen. Der Bizeps ist wieder derart muskulös, dass er an Nadals Glanzzeiten erinnert. Warum gerade bei ihm die Muskelkraft so wichtig ist? Nadals Spiel lebt extrem von dem Spin, den er vor allem der Vorhand mitgibt. Dafür braucht er Power, wenn er den Arm aus dem Handgelenk heraus auf den Ball peitschen lässt. Weitere Kandidaten, falls Nadal mal patzt, sind Novak Djokovic, der letztes Jahr hier sein noch fehlendes Grand-Slam-Turnier gewann und dann in ein Motivationsloch fiel. Stan Wawrinka, Sieger von 2015. Und dann kommt schon eine Riege mehrerer Spieler. Andy Murray, der Weltranglisten-Erste, schwächelte zuletzt etwas. Die Jungen dafür nicht, allen voran der Deutsche Alexander Zverev und der Österreicher Dominic Thiem. Die beiden trainierten am Samstag zusammen.

Nicht die Favoritin auf der roten Asche von Paris: Der ehemaligen Nummer Eins Angelique Kerber werden nur Außenseiterchancen eingeräumt. (Foto: Yoan Valat/dpa)

Bei den Frauen ist das Feld offener. Die klare Favoritin fehlt. Die Deutsche Angelique Kerber ist zwar als Weltranglisten-Erste an 1 gesetzt. Aber sie sagte auch, ihr Verhältnis zu Sand sei "kompliziert". Das belegt ihre Statistik seit zwei Jahren. Wie letzte Saison hat sie zu oft zu früh auf diesem Belag verloren. Größere Chancen werden anderen eingeräumt. Die Ukrainerin Elena Svitolina, an der Kerber dieses Jahr schon mehrmals verzweifelte, triumphierte kürzlich in Rom und bezwang drei Top-Ten-Spielerinnen. Die Franzosen setzen ihre Hoffnungen in Kristina Mladenovic, die aus einer sportverrückten Familie stammt und mit ihrem Charisma eine wunderbare Geschichte wäre. Ansonsten ist vieles Kaffeesatzleserei, also: noch mehr als sonst. Titelverteidigerin Garbiñe Muguruza sucht 2017 ihre Form, Simona Halep war angeschlagen, Karolina Pliskova wirkt manchmal verwundbar.

Was sagt das Draw?

Das Draw ist die Auslosung, und es ist deshalb so wichtig, weil es der Pfad jedes Spielers durchs Turnier ist. Am Freitag wurde gelost, das Spekulieren konnte sofort beginnen. Profis schwören zwar meist, sie würden nicht aufs Draw schauen, aber manchmal gibt dann doch einer zu, dass fast alle eben doch aufs Draw schauen. Kerber hat eine schwere Aufgabe zum Start in der Russin Ekaterina Makarowa. Sie hat überhaupt einen Pfad, so tückisch wie durch ein englisches Moor. In der dritten Runde könnte sie auf die Lettin Jelena Ostapenko treffen, die zur Riege vieler junger Spielerinnen zählt, die neuerdings in der Spitze andocken. Im Achtelfinale könnte Petra Kvitova warten. Interessant auch: Muguruza trifft auf die Italienerin Francesca Schiavone, die 2010 in Roland Garros triumphierte und ihren letzten Paris-Start hat.

Nicht die einzige, aber sicherlich eine der größten Attraktionen: Andre Agassi (links) coacht seinen Schützling Novak Djokovic zum ersten Mal während eines Grand-Slam-Turniers. (Foto: Christophe Simon/AFP)

Im Männer-Tableau ist interessant, dass Nadal im Halbfinale gegen Djokovic spielen könnte. Er ist zusammen mit dem Serben in der unteren Hälfte des Tableaus. In der oberen ist Murray an Nummer eins gesetzt, Alexander Zverev hat dort einen Kraftakt vor sich in dem Spanier Fernando Verdasco. In Madrid aber hatte der 20-Jährige den Linkshänder besiegt. Der Japaner Kei Nishikori wäre sein möglicher Achtelfinalkontrahent. Unterhaltsam dürften die Partie von Philipp Kohlschreiber gegen den Australier Nick Kyrgios werden sowie die von Dustin Brown gegen den französischen Akrobaten Gaël Monfils.

Was sind die heißen Themen bislang?

Die Rückkehr von Petra Kvitova hat alle internationalen Berichterstatter in den Bann gezogen. Sie war vergangenen Dezember zuhause in Proßnitz von einem Einbrecher überrascht und bei ihrer Verteidigung schwer verletzt worden, an ihrer linken Schlaghand. Zwei Finger erlitten einen Nervenschaden, alle Finger wurden verletzt, der Heilungsprozess war sehr schwierig. Im März griff sie erstmals wieder zum Schläger, nun also Paris. Bei den Männern ist der erste Auftritt des früheren Weltranglisten-Ersten Andre Agassi als Trainer von Djokovic eine Art Spektakel, das viele genau beäugen. Agassi ist etwas runder geworden, aber seine beidhändige Rückhand hämmert er noch immer unnachahmlich übers Netz. Interessant war Agassis Bekenntnis im französischen Fernsehen. Er wollte erst absagen, dann aber riet ihm seine Frau, er solle den Job annehmen. Seine Gattin ist Steffi Graf, die ihrerseits 22 Grand Slams gewann.

© SZ vom 28.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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