Turnen:Zucht und Mobbing

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Medaillen-Anwärterin für die WM im Herbst und für Olympia 2020: die japanische Turnierin Sae Miyakawa. (Foto: Kenjiro Matsuo/imago/Aflosport)

Das Kunstturnen in Japan wird von Skandalen überschattet. Im Fokus: eine aussichtsreiche Athletin und Prügel-Vorwürfe gegen ihren Trainer.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Ein Coach, der seine Athletin schlägt, angeblich um sie zu motivieren, damit sie noch härter trainiere, das ist im japanischen Sport keine Seltenheit. Doch meist werden Prügel auf Trainingsplätzen als offenes Geheimnis totgeschwiegen. Auch über Yuto Hayami, den Klubtrainer der Kunstturnerin Sae Miyakawa, die bei Olympia in Rio 2016 mit Japans Mannschaft Vierte wurde, drang viele Jahre nichts an die Öffentlichkeit. Hayami trainierte die 18-Jährige, seit sie elf war. Sie galt als Medaillenanwärterin bei der Weltmeisterschaft in Doha im Herbst und für Olympia 2020 in Tokio - bis im Juli ein anonymer Whistleblower Hayami beschuldigte, er habe die Athletin verprügelt und an den Haaren gezerrt.

Der Verband reagierte sofort und sperrte den 34-jährigen Trainer auf unbefristete Zeit. Hayami gab zu, Miyakawa gelegentlich geschlagen zu haben, aber die Anklage übertreibe massiv. Er wehrt sich gegen das strenge Strafmaß.

Der japanische Sport wird derzeit von Skandalen erschüttert. Vor einigen Monaten wurde ein Kanute überführt, der einem Mannschaftskollegen Dopingmittel in die Trinkflasche geschüttet hatte, um ihn als Konkurrent für Olympia 2020 auszuschalten. Im Mai verletzte ein Football-Spieler der Nichidai-Universität einen gegnerischen Quarterback in der ersten Minute eines Matches schwer; er rammte ihm weit ab vom Spielgeschehen den Kopf in den Rücken. Sein Trainer hatte die Tätlichkeit angeordnet, der 20-jährige Spieler sollte damit seine Härte beweisen.

Die Fälle prügelnder Betreuer sind weniger spektakulär, aber häufiger. Auch sie machen Japans Sportbehörden nervös, weil sie den Ruf des Gastgebers von Olympia 2020 gefährden. Vorigen Mittwoch berief die 18-jährige Miyakawa eine Pressekonferenz ein, um ihren Coach in Schutz zu nehmen. Die Anschuldigungen seien massiv übertrieben, sie habe die gelegentlichen Schläge akzeptiert, das alles läge weit zurück. Sie habe auch nie eine Bestrafung Hayamis verlangt. Im Gegenteil, sie wolle weiter mit ihm trainieren: "Nur mit ihm, mit niemand anderem, sonst trete ich für Doha nicht an." Dann ließ sie ihrerseits eine Bombe platzen: Sie beschuldigte Chieko Tsukahara des "Pauhara". Das Wort ist eine Nipponisierung des englischen "Power Harassment". Es steht für Mobbing durch Leute mit Macht, Chefs zum Beispiel oder Lehrer. Frau Tsukahara, die unter ihrem Mädchennamen Chieko Oda in Mexiko 1968 Olympia-Vierte geworden war, habe sie massiv gemobbt, so Miyakawa. Die 70-jährige Trainerin - verheiratet mit dem fünfmaligen Olympiasieger Mitsuo Tsukahara, dem Erfinder des Tsukahara-Abgangs vom Reck - ist die Verantwortliche für Japans Frauenteam. Und Imperatorin des japanischen Frauenkunstturnens.

Das Ehepaar Tsukahara soll massiv Druck ausgeübt haben

Ihr Mann Mitsuo ist Vize-Präsident des Turnverbands. Zugleich betreibt das Ehepaar seit Jahrzehnten eine eigene, von der Asahi-Lebensversicherung finanzierte Trainingsgruppe. Miyakawa beschuldigt die beiden nun, sie würden die besten Turner und Turnerinnen immer wieder unter Druck setzen, sie sollten doch zu Asahi-Life wechseln: "Dann würde ich hundert mal besser"; so bedränge sie Chieko Tsukahara seit Jahren. Ohne Wechsel, habe sie ihr gedroht, hätte sie keine Chance, für Olympia 2020 nominiert zu werden.

Das japanische Fernsehen, das den Fall seit Tagen ausbreitet, kennt weitere Turnerinnen, die angeblich unter Druck gesetzt wurden. Und dies ist nicht der erste Skandal der Tsukaharas. Bei den japanischen Meisterschaften 1991 sorgte das Paar dafür, dass Punktrichter die Asahi-Turner bevorteilten. Die Manipulation war so offensichtlich, dass am zweiten Tag mehr als die Hälfte der Turner die Wettkämpfe boykottierten. Die Tsukaharas legten alle Ämter nieder, kehrten aber bald durch die Hintertür zurück - wie man das von Skandalen in der japanischen Politik kennt.

Am Sonntag veröffentlichte das Ehepaar eine wortreiche Entschuldigung, es habe Miyakawa nie unter Druck setzen wollen. Am Montag räumte Chieko Tsukahara indirekt ein, sie sei die anonyme Kronzeugin gewesen, die Hayami angezeigt habe. Am Donnerstag boten die Tsukaharas Miyakawa einen Vergleich an. Den hat Miyakawa abgelehnt, weil Mitsuo Tsukahara sie im Fernsehen als Lügnerin beschimpft und ihr vorgeworfen habe, sie hätte Sponsoren getäuscht. Der Verband will den Fall bis Ende Oktober untersuchen. Dann läuft die WM bereits.

© SZ vom 07.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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