Turnen:Nicht nur ein Held

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Tadellose Haltungsnoten: Andreas Toba, hier beim Sprung, meistert sämtliche Geräte mit großer Sicherheit und übertrifft Marcel Nguyen. (Foto: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

Andreas Toba meldet sich mit seinem Mehrkampfsieg bei den deutschen Meister­schaften zurück - nach drei Knieoperationen und als normaler Turner.

Von Volker Kreisl, Berlin/München

Das Lachen ist zurück. Nicht irgendein Lachen, nicht das gefasste Kamerastrahlen des routinierten Siegers - so würde der Turner Andreas Toba in diesem Moment nicht reagieren. Es sind zwar nur deutsche Meisterschaften, was im olympischen Spitzensport für die Besten tatsächlich eher sachliche Routine ist. Aber als Toba nach drei bitteren Jahren wieder als Meister feststand, da schwang er seine Arme in den Hallenhimmel und schüttelte die Hände über dem Kopf, immer wieder, und hätte ihm jemand einen Baumstamm hineingelegt - er hätte das wohl gar nicht bemerkt. Er ließ sich weiterreichen von Gratulant zu Gratulant, Augen und Mund weit offen vor Staunen und vor Freude.

Deutscher Meister im Mehrkampf ist Toba nun wieder, wie vor drei Jahren. Sämtliche Geräte hat der 28-Jährige gemeistert, fast mit der alten Sicherheit. 83,10 Punkte hatte er am Ende nach dem Auftritt am Sprungtisch, das ist für einen Turner, der immer noch an den letzten Details seines Formaufbaus feilt, ein achtbares Resultat. Hinter ihm lag der Mehrkampfzweite der Olympischen Spiele von 2012, Marcel Nguyen. Dritter wurde überraschend der Berliner Karim Rida, 19, den außerhalb der Hauptstadt bislang fast keiner kennt, was sich aber ändern dürfte, wenn Rida so weiter turnt.

Drei Knieoperationen hatte Andreas Toba mitmachen müssen

Überraschungen dieser Art gab es auch bei den Frauen, ganz oben stand nach dem Mehrkampf die Kölnerin Sarah Voss, die auch einige Überraschungstränen verdrückte. Nicht nur am Sprung mit ihrer Doppelschraube überragte die 19-Jährige, sondern auch am Schwebebalken: Voss war die einzige unter den deutschen Topturnerinnen, die oben blieb, also nicht mindestens einmal abgestiegen war. Elisabeth Seitz, haushohe Favoritin, passierte dies dreimal, am Ende war sie bedient. Am Sonntag gewann Seitz jedoch am Stufenbarren, womit sie ihren 22. deutschen Titel holte und den deutschen Rekord einstellte.

Über Rekorde freuen sich Sportler, weil sie damit in die Chroniken eingehen, noch mehr freuen sie sich aber über Comebacks aus tiefen Tälern. Andreas Toba hatte vor drei Jahren als neuer deutscher Meister die Form seines Lebens, dann verletzte er sich bei den Spielen in Rio gleich am zweiten Gerät der Qualifikation, dem Boden. Kreuzbandriss, verzerrtes Gesicht, Bandage - es wäre das Ende seines Olympiaauftritts gewesen, hätte ihn nicht Bundestrainer Andreas Hirsch noch gefragt, ob er sich das Pauschenpferd trotz der Schmerzen noch zutraue, und hätte er nicht geantwortet: ja. Der Rest ist bekannt, Toba turnte tipptop, wegen ihm war sein Team weiter, er selber galt fortan als "Held".

Das Problem war: Ein Held will Toba eigentlich gar nicht sein. Jedenfalls nicht ausschließlich. Er will Turner sein und nicht auf diese eine Übung in Rio reduziert werden, nach der ihn seine Turnkameraden damals gemeinsam von der Pferd-Bühne herunter gestützt und gehoben hatten. Nur, dies zu beweisen, also den Helden hinter sich zu lassen, das dauerte. Drei Knieoperationen hatte er mitmachen müssen, weil der Schaden doch nachhaltiger war als anfangs gedacht. Und als er 2018 wieder fit war, musste er sich langsam wieder an die alte Routine herantasten und zunächst mit den weniger sprungintensiven Übungen beginnen.

Nie war Andreas Toba der Ausnahmeturner, der Spezialist, der an ein oder zwei bestimmten Geräten auch mal eine Olympia-Medaille holen konnte wie Fabian Hambüchen oder Marcel Nguyen. Toba ist ein außergewöhnlich ausgeglichener Mehrkämpfer, der zwar nur wenige Höchstschwierigkeiten im Repertoire hat, dafür aber in guter Form tadellose Haltungsnoten bekommt. Hirsch sagt, Tobas Spezialgerät sei der Mehrkampf.

Dass er wieder zu alter Stärke finden würde, zeichnete sich ab, dass er schon jetzt, vor beachtlicher Kulisse in der Max-Schmeling-Halle ganz oben stünde, eher nicht. Aber Toba kam schon am Barren mit einem Resultat von 13,85 Punkten ordentlich in den Wettkampf, hielt sich am Reck beachtlich, an dem Nguyen abermals zu stark mit den Beinen flatterte. Sein bester Vortrag gelang ihm an den Ringen mit 14,4 Punkten - doch am Ende war es nicht der eine große Ausreißer nach oben, sondern eben die elegante und souveräne Ausführung.

Tobas Form kommt Chefcoach Hirsch gerade recht. In zwei Monaten beginnt die WM in Stuttgart, die auch die Qualifikation für die Olympische Spiele 2020 ist. Teams, die in Stuttgart scheitern, haben keine zweite Chance mehr. Doch die Mannschaften werden kleiner. Streichwerte gibt es immer weniger, was bedeutet, dass Spezialisten, die an ein, zwei Geräten superstark sind, aber sonst ein Risiko darstellen, kaum noch gefragt sind. Umgekehrt werden Turner wieder wichtig, die auf ihre alten Karriere-Tage noch mal an der Ausführung feilen, statt neue Höchstschwierigkeiten anzustreben. Die an allen Geräten sicher turnen und dazu auch noch elegant, was mittlerweile vom Weltverband weitaus höher bewertet wird als ein gelungenes riskantes Flug-Element.

Turner wie der 31-jährige Marcel Nguyen sind damit gemeint, der hofft, dass ihm seine Beinhaltung am Reck endlich gelingt. Oder wie Lukas Dauser, der nach seinem Bruch des rechten Mittelhandknochens und einer gelungenen Operation wieder Hoffnung schöpft, doch bei der WM im Oktober dabei zu sein. Oder wie Andreas Toba, der nun rechtzeitig wieder in Form ist und darauf hofft, bald wieder ein neu erstarkter Top-Turner zu sein und nicht nur der alte Held.

© SZ vom 05.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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