Türkgücü München:Offene Geheimnisse

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Hat die Partie zwischen Schweinfurt und Schalke gerichtlich verhindert: der Münchner Verein Türkgücü München. (Foto: Markus Fischer/imago images)

Investor Hasan Kivran koppelt die Aufstiegs-Entscheidung nun unter anderem an einen Gehaltsverzicht einiger Spieler - sieben von neun lehnen ab.

Von Christoph Leischwitz

Die neueste Verpflichtung von Türkgücü München: ein 18-Jähriger aus der Bayernliga-U19 des FC Deisenhofen. Bei Kerem Kayuk mag es sich um ein gutes Talent handeln, eine Verstärkung für den eigentlich bevorstehenden Drittliga-Aufstieg ist er aber erst einmal nicht. Die Personalie ist eher ein Zeichen dafür, welch einen radikalen Sparkurs sich der Regionalliga-Spitzenreiter aktuell auferlegt. Nachdem Geschäftsführer Max Kothny gegenüber der SZ den Aufstieg in die dritte Liga bereits in Frage stellte, wurden vergangene Woche mehrere Spieler aufgefordert, künftig auf Gehalt zu verzichten: Türkgücüs Präsident Hasan Kivran berief den Spielerrat zu einer Videokonferenz ein. Danach waren die Vertreter des Teams angehalten, das Anliegen den Kollegen mitzuteilen. Per WhatsApp-Nachricht gaben sie bekannt, dass die Spieler, deren Verträge über Ende Juni 2020 hinaus laufen und für die dritte Liga gelten, im Aufstiegsfall Einbußen akzeptieren sollen.

Türkgücü bestätigte diese Vorgänge auf SZ-Anfrage und erklärte, dabei seien Spieler angesprochen worden, die sich über einem "bestimmten Gehaltsniveau" befänden. Danach wurden ihnen individuelle Vertragsvorlagen zugesandt. Drei Tage Zeit hatten sie für die Entscheidung, bis zum vergangenen Freitag.

Mit geplanten "Mindererlösen" von rund zwei Millionen Euro in der kommenden Drittliga-Saison angesichts von fehlenden Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen werde sich der Verein im Aufstiegsfall in einer finanziell schwierigen Lage befinden, sagt Geschäftsführer Kothny. Den Spielern wurde vom Spielerrat ausgerichtet, es werde ohne den Lohnverzicht wohl keine dritte Liga für Türkgücü geben. Zögen alle Kandidaten mit, würde aber auch dies keine Aufstiegsgarantie bedeuten, es würde lediglich die Wahrscheinlichkeit erhöhen. Gebe es Verweigerer, werde man sehr wahrscheinlich auf die dritte Liga verzichten müssen. Nach SZ-Informationen soll es sich in den meisten Fällen um einen Verzicht zwischen 20 und 25 Prozent des Gehalts handeln.

Lediglich zwei der neun betroffenen Akteure hatten bis zur ersten Deadline am Freitag einem Gehaltsverzicht zugestimmt. Auch das bestätigte der Klub. Worüber die anderen sieben unter anderem gegrübelt haben dürften: Dieser Gehaltsverzicht gilt mit sofortiger Unterschrift ja auch dann, wenn die kommende Drittliga-Saison mit Zuschauern angepfiffen werden könnte oder irgendwann zur Normalität zurückkehren würde. Kothny sagte, wenn nur zwei Spieler einer Gehaltsreduzierung zustimmen, mache das die Sache sicher nicht besser.

Am Montag entwarf Kivran dem Vernehmen nach in einer weiteren, sehr kurzen Konferenz gegenüber einigen Spielern ein düsteres Nichtaufstiegs-Szenario. An diesem Dienstag soll schon die nächste Konferenz folgen. Aus dem Umfeld ist zu hören, dass sich einige Spieler, gelinde gesagt, unter Druck gesetzt fühlen. "Am Ende entscheidet über den noch möglichen Aufstieg unser Präsident. Der Gehaltsverzicht ist ein Baustein für einen krisensicheren Etat", entgegnet Kothny. Seine persönliche Meinung: Womöglich sei es jetzt die bessere Idee, freiwillig in der Regionalliga Bayern zu bleiben.

Ob Kivran das prognostizierte Drittliga-Finanzloch selbst stopfen will, ist nach wie vor unklar. Möglicherweise versucht er momentan, den Eigenbeitrag so gering wie möglich zu halten - mit dem Risiko, dass sich die Stimmung in der Mannschaft mehr und mehr verschlechtert. Es ist denkbar, dass die vielen Ungewissheiten den Investor am Projekt Profifußball zurzeit zweifeln lassen. Doch es gibt auch Stimmen im Umfeld der Spieler, die sagen: alles nur Bluff. Während man dem Personal auf unpersönlichem Weg ausrichten lasse, doch bitte auf Gehalt zu verzichten, bekomme Türkgücü den Aufstieg doch gerade zum Nulltarif: Die Kicker befinden sich in Kurzarbeit, bei einem Saisonabbruch stehen keine Siegprämien und auch keine Stadionkosten an. Die Glaubwürdigkeit habe angeblich schon jetzt schweren Schaden genommen. Für diese These spräche, dass sich so wenige Spieler dem Sparplan anschließen wollen, obwohl die meisten von ihnen von der dritten Liga träumen. Der Verein hält auf Nachfrage dagegen, dass Türkgücü immerhin freiwillig das Kurzarbeitsgeld der Spieler aufstocke.

Die Fußballszene ist gut vernetzt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Türkgücü derzeit auch mit drittligaerfahrenen Spielern in Kontakt ist. Die Nachricht kommt bei den aktuellen Kickern an, sie machen sich ihre Gedanken. Zumal der Verein bei den vorigen zwei Aufstiegen ja bereits mehr oder weniger den gesamten Kader ausgetauscht hat, also, vorsichtig formuliert: vor Personalwechseln nicht zurückschreckt.

Es ist ein ebenso offenes Geheimnis, dass man in Verhandlungen mit Trainerkandidaten steht. Kothny sagt gegenüber der SZ, dass diese Frage erst geklärt werde, wenn man wisse, in welcher Liga man künftig spielt. Der Vertrag von Reiner Maurer läuft Ende Mai aus, bezüglich einer Verlängerung hat es nie ernsthafte Gespräche gegeben. Viele bei Türkgücü blicken in eine ungewisse Zukunft: Die Verträge von Co-Trainer Andreas Pummer und Michael Hofmann oder auch von Kapitän Yasin Yilmaz laufen am 30. Juni aus. Es gibt zudem Arbeitsverhältnisse, die sich nur bei Aufstieg verlängern.

Und zu den offenen Geheimnissen gesellen sich auch weiterhin offene Fragen. Ob etwa ein Drittligist Türkgücü München wie gewünscht im Grünwalder Stadion spielen darf, ist immer noch nicht geklärt.

© SZ vom 19.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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