Trinidads & Tobagos stolze Verlierer:Im Straßenkreuzer

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"Alle Trainer fahren auf der gleichen Straße", sagte Trainer Leo Beenhakker, "aber wir sitzen alle in verschiedenen Autos" - und es scheint ihm mehr Freude zu bereiten, dass er sich in einem Straßenkreuzer fortbewegt und nicht in einem Sportwagen.

Christian Zaschke

Leo Beenhakker will nicht Trainer von England werden, aber er hat sich dennoch ein, zwei Gedanken über die englische Nationalmannschaft gemacht. "Sie verlieren zu schnell die Geduld", sagte er, nachdem die von ihm betreute Auswahl Trinidads & Tobagos 0:2 gegen England verloren hatte.

"Sie nutzen ihr Mittelfeld viel zu wenig und erliegen immer wieder der Versuchung, mit langen Bällen auf Peter Crouch zu operieren", führte er aus. So hatte England in der Tat gegen Trinidad gespielt, und Beenhakker hatte es genau so erwartet und sein Team exzellent darauf eingestellt.

Fast schien er ein wenig enttäuscht zu sein, dass seine Annahme so präzise der Realität entsprochen hatte. Er sagte: "Ich meine es nicht als Kritik, bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Aber England sollte geduldiger spielen und das Mittelfeld benutzen." "Jaaa", sagte er dann, er nutzt dieses lang gezogene "Jaaa" öfter, er zeigt damit an, dass er nachdenkt. Nun fügte er an: "Dieser Ratschlag ist umsonst. Ich werde nichts dafür verlangen."

"Es schmerzt"

Vielleicht würde England unter Leo Beenhakker tatsächlich besseren Fußball spielen. Ausgeschlossen ist es nicht, wenn man betrachtet, was der 63 Jahre alte Trainer aus der Mannschaft von Trinidad & Tobago gemacht hat.

Wie schon beim 0:0 gegen Schweden stand das Team gut gestaffelt und war der zweiten Überraschung sehr nahe. Erst in der 83.Minute erzielte Peter Crouch den Führungstreffer, und dem Tor war ein Foul des englischen Angreifers an Trinidads Verteidiger Brent Sancho vorausgegangen.

Der erzählte: "Crouch lag praktisch auf mir. Ich sage, es war ein Foul, aber was soll man machen: Manchmal wird es gepfiffen, manchmal nicht." Und warum diesmal nicht? "Ach", sagte Sancho, "wir sind nur Trinidad & Tobago, da wird so etwas dann eben auch mal nicht gepfiffen."

Dass Crouch ihn vor dem Tor auch an den langen Haaren gezogen hatte, erwähnte Sancho erst gar nicht.

Die Spieler waren enttäuscht, weil das Unentschieden möglich war. Trainer Beenhakker sagte: "Wir können mit dem Ergebnis leben. Aber es schmerzt." Was daran liegt, dass während des Spiels die Hoffnung wuchs. "Natürlich beginnt man zu hoffen, wenn es so lange 0:0 steht", sagte Sancho.

Kein Glück

Torwart Shaka Hislop dachte sogar an mehr als ein Unentschieden. "Mit ein bisschen Glück hätten wir in Führung gehen können", sagte er. Am Ende der ersten Halbzeit hatte Englands Verteidiger John Terry auf der Linie klären müssen. "Aber es ist anders gekommen, und jetzt sind wir stolz, aber eben auch enttäuscht."

Als die Engländer in der zweiten Hälfte der zweiten Halbzeit den Druck verstärkten, boten sich Trinidad immer wieder Konterchancen. Wann immer einer der Stürmer mit dem Ball auf die Abwehr zulief, erhob sich erwartungsfroher Lärm im Stadion - das lag zum einen daran, dass Tausende Fans aus Trinidad im Stadion waren, und zum anderen daran, dass die neutralen Zuschauer auf die Sensation hofften.

Es entwickelte sich eine Stimmung wie bei einem Pokalspiel, in dem das Publikum bemerkt, der FVWeinheim kann tatsächlich den FCBayern besiegen. Die Fans des Favoriten aus England begannen nun allerdings nicht, ihre Mannschaft wegen der bescheidenden Leistung auszupfeifen, sondern feuerten sie um so intensiver an.

So entwickelte sich eine mitreißende Stimmung rund um ein nicht hochklassiges, aber spannendes Spiel.

Ein Leben lang gewartet

Ob er überrascht sei, dass so viele Fans aus der Karibik mit nach Deutschland gekommen seien, wurde Avery John gefragt, der im Spiel gegen die Schweden des Platzes verwiesen worden war. Er schüttelte den Kopf. "Wir haben unser ganzes Leben lang auf so etwas gewartet", sagte er, "die Fans und die Spieler auch."

Die Spieler haben die Gelegenheit bisher genutzt, weil sie sich nicht nur gut aus der Affäre gezogen, sondern auf hohem Niveau mitgespielt haben.

Ihr Trainer hat ein Bild gefunden, mit dem er seine Arbeit mit den Spielern nach der Partie gegen England beschrieben hat: "Alle Trainer fahren auf der gleichen Straße", sagte Beenhakker, "aber wir sitzen alle in verschiedenen Autos."

Er sah dabei aus, als würde es ihm mehr Freude bereiten, sich allmählich in einem Straßenkreuzer fortzubewegen, als in einem Sportwagen schnell zu fahren, so schnell wie irgend möglich. Und wer weiß: Wenn England im abschließenden Gruppenspiel gegen Schweden gewänne und Trinidad & Tobago gegen Paraguay ein Sieg gelänge, dann würde sich der Straßenkreuzer ins Achtelfinale bewegen.

© SZ vom 17.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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