Triathlon:Einsamer Erfolg

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Inzwischen ist sie Profi: Anabel Knoll, rechts, bei einem Triathlon auf Kuba. (Foto: Ernesto Mastrascusa/Agencia EFE/imago)

Die Ingolstädter Triathletin Anabel Knoll nimmt zum ersten Mal an Olympischen Spielen teil. Ausgerechnet bei ihrem größten sportlichen Erlebnis wird ein Mensch fehlen: ihr Trainer und Vater.

Von Frederik Kastberg

"Hab' ich gewonnen? Ehrlich?" Dass sie wirklich nach Tokio fliegen würde, konnte Anabel Knoll, 25, im ersten Moment noch nicht so recht glauben. Erst, als ihr Vater und Trainer Roland Knoll seine Tochter in die Arme nahm und ihr die frohe Botschaft ins Ohr flüsterte, wurde aus Knolls Olympia-Traum langsam Wirklichkeit. Die Ingolstädter Triathletin hatte sich im verbandsinternen Qualifikationsrennen gegen ihre sieben Konkurrentinnen durchgesetzt und sich damit den vakanten Platz im Olympia-Team gesichert. In 21 Minuten und 53 Sekunden legte sie die 350 Meter Schwimmen, 6,7 Kilometer Radfahren und 1,9 Kilometer Laufen am Trainingsstützpunkt im brandenburgischen Kienbaum zurück. Weil jede Teilnehmerin einzeln gestartet war, musste Knoll aber bis zum Ende zittern, ob ihre Zeit reichen würde. Mit 13 Sekunden Vorsprung sicherte sie sich schließlich das Olympia-Ticket.

Das war Ende Mai. Doch erst jetzt, wenige Tage vor Beginn der Spiele, ist das Turnier so richtig in ihrem Kopf angekommen. "Eine Woche vor dem Flug dachte ich mir: ,Oh Gott, das passiert jetzt wirklich!' Ich kann es trotzdem nicht so richtig fassen und mir auch noch nicht vorstellen, wie die Stimmung vor Ort ist." Die wird wahrscheinlich eher mau, wenn sie am kommenden Dienstag um 6:30 Uhr Ortszeit ins Hafenbecken von Tokio springt, denn Zuschauer sind bei den Spielen bekanntermaßen nicht erlaubt. "Ich glaube schon, dass es komisch ist, wenn keinerlei Fans da sind", sagt sie, "aber ich bin froh, dass die Spiele überhaupt stattfinden."

Staffel-Premiere in Tokio

Für Knoll werden es die ersten sein. Neben ihrem Start im Einzelrennen über die olympische Distanz von 1,5 Kilometern Schwimmen, 40 Kilometern Radfahren und 10 Kilometern Laufen, tritt sie auch in der Mixed-Staffel an, die in Tokio ihre Premiere feiert. Dabei müssen Knoll und ihre Teamkollegen Laura Lindemann, Jonas Schomburg und Justus Nieschlag abwechselnd jeweils einen Sprint-Triathlon über 300 Meter Schwimmen, 6,8 Kilometer Radfahren und 2 Kilometer Laufen absolvieren. Die Sprint-WM-Dritte Lindemann führt die Staffel an und geht als erste an den Start. Bei der Europameisterschaft in Kitzbühel holte das deutsche Team vor wenigen Wochen noch die Silbermedaille, allerdings in anderer Besetzung.

Anabel Knoll war damals wegen einer kleinen Blessur nicht dabei. Sie wird in Tokio zum ersten Mal überhaupt an einem Staffel-Rennen teilnehmen: "Es ist im Endeffekt auch nur ein Triathlon, nur mit dem Unterschied, dass dich davor und danach jemand abklatscht." Ihr langfristiges Ziel waren ohnehin die Spiele 2024 in Paris. "Dass sie sich jetzt so souverän qualifiziert hat, hat mich dann schon sehr, sehr verwundert. 13 Sekunden klingt nicht viel, sind bei so einem kurzen Rennen aber schon fast eine Welt", erzählt ihr Vater. Der 53-Jährige, selbst ehemaliger Top-Triathlet und von 2009 bis 2012 Bundestrainer der Deutschen Triathlon Union (DTU), trainiert seine Tochter "schon immer". Die Begeisterung für den Sport hat aber ein anderer in ihr entfacht: Jan Frodeno. Bei dessen Olympiasieg 2008 in Peking fiebert Anabel vor dem Fernseher mit und ist fasziniert von der Goldmedaille und dem anschließenden Medienrummel. "Mir war bis dahin noch nicht so richtig klar, was Triathlon ist und was mein Papa überhaupt macht", sagt sie, "aber danach dachte ich mir: ,Schaut ganz cool aus, das kannst du auch mal machen.'"

Anabel Knoll. (Foto: Horstmüller/imago/Horstmüller)

Zwei Jahre später absolviert sie ihren ersten Triathlon - und schafft direkt den Sprung in den Bayern-Kader. Was verheißungsvoll beginnt, gerät in den Jahren danach ein wenig ins Stocken. "Ich habe das alles immer ein bisschen lockerer gesehen", gesteht Anabel Knoll. Hinzu kommen Verletzungen und ihr vierjähriges Studium in den USA, das ihr im Nachhinein vielleicht mehr abverlangt habe, als sie damals gedacht hätte. Seit ihrem Bachelor-Abschluss 2019 betreibe sie den Sport nun aber zu "hundert Prozent als Profi", obwohl sie nebenbei noch ihren Master in Ökologie und Biodiversität in Bayreuth macht. Ihr Vater ist dabei immer an ihrer Seite, schreibt Trainingspläne, steht mit der Stoppuhr am Beckenrand und begleitet sie ins Trainingslager, was das Verhältnis der beiden aber nicht nachhaltig belastet: "Manchmal kommt mehr der Trainer durch als der Papa, gerade, wenn man sich vom Papa mal ein motivierendes Wort wünscht. Aber eigentlich funktioniert es sehr gut." So beschreibt es auch der Papa selbst, wenngleich seine Tochter ihn ab und zu schon mal "auf die Palme" bringe.

Frust über Fußball-EM

Der vorläufige Höhepunkt ihrer Karriere folgt nun also in Tokio. Doch ausgerechnet dort kann ihr Vater nicht dabei sein, die Pandemie erlaubt es nicht. Ein Physiotherapeut, der Teamarzt sowie zwei Offizielle des Verbands durften mit dem Team vergangenen Sonntag ins Flugzeug steigen. "Es ist natürlich schade, dass Familie und Freunde keine Chance haben, am größten Erfolg, den ich in meinem Leben bislang erreicht habe, teilzuhaben", sagt die Triathletin. Andererseits könne sie die Maßnahmen verstehen: "Lieber ohne Zuschauer als gar nicht." Wenig Verständnis hat sie hingegen dafür, dass bei der Fußball-Europameisterschaft in den vergangenen Wochen Zehntausende in Europas Stadien durften. "Es ist schon traurig zu sehen, dass im Fußball, wo das Geld drin ist, dann einfach gesagt wird: ,Ja okay, dann machen wir halt mal ein Stadion mit 60 000 Leuten voll'", sagt sie und spricht von einer "Zweiklassengesellschaft". Dass es im Fußball wieder so laufe, würde aber auch niemanden verwundern, "weil man es ja gewohnt ist, dass es da immer anders läuft als in allen anderen Sportarten".

Ändern könne sie daran aber ohnehin nichts, sagt Knoll und konzentriert sich lieber auf ihre eigenen Rennen. "Ich bin noch nie gegen die ganz Großen gestartet, aber möchte in die bessere Hälfte, also in die Top 25, kommen. Ich gehe aber offen rein und mach' einfach mal." Größere Chancen auf eine Spitzenplatzierung dürfte sie mit der Staffel haben, mit der sich das deutsche Team insgeheim eine kleine Chance auf einen Podestplatz ausrechnet. Auch Anabel Knoll glaubt, "dass wir vorne mitmischen können". Roland Knoll sieht es ganz locker: "Sie soll einfach ihr Bestes geben und dann wird man sehen, was rauskommt", sagt er als Trainer und ergänzt als Vater: "Als Elternteil ist es das Wichtigste, dass sie gesund und munter wiederkommt."

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